Leitsatz (amtlich)

Hat die Enteignungsbehörde die Entschädigung nicht förmlich "in Land" festgesetzt (§§ 100, 113 Abs. 2 Nr. 8 BBauG), kann § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG-Niedersachsen nicht - auch nicht entsprechend - auf den Erwerb von Grundstücken angewendet werden, die der Betroffene freihändig als Ersatz für die Grundstücke kauft, die er im Rahmen einer Einigung (§ 110 BBauG) auf eine Stadtgemeinde übertragen hat. Das gilt auch dann, wenn die Vertragsparteien den Ersatzlanderwerb übereinstimmend als "Entschädigung in Land" werten und die Stadtgemeinde an dem Erwerb durch Zahlung des Kaufpreises unmittelbar an den Veräußerer mitwirkt.

 

Normenkette

BBauG §§ 100, 110, 113

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Eigentümer eines Hofes in der Stadt G, dessen Grundstücke nach den Bebauungsplänen der Stadt für den sozialen Wohnungsbau ausgewiesen oder vorgesehen waren. Bezüglich einer Fläche von 1,1549 ha war ein Enteignungsverfahren eingeleitet. Dieses Verfahren wurde durch eine Einigung vor der Enteignungsbehörde abgeschlossen. Danach waren von dem Kläger die von der Enteignung betroffenen Grundstücke auf die Stadt zu übertragen, des weiteren 3,6979 ha Grund und Boden, die im Bereich eines "in Bearbeitung befindlichen Bebauungsplanes" lagen und schließlich 2,7500 ha als Ersatzland für Dritte. Den Entschädigungsbetrag dafür hatte die Stadt teils durch Scheck teils durch Überweisung auf ein Konto des Klägers zu entrichten.

Durch Kaufvertrag hat der Kläger einen Hof in C erworben. Den Kaufpreis zahlte die Stadt vereinbarungsgemäß nach vollzogener Auflassung unmittelbar durch Scheck an den Veräußerer.

Das FA (Beklagter und Revisionskläger) zog den Kläger zur Grunderwerbsteuer heran. Der gegen den Bescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das FG gab der Klage statt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet.

Der Grundstückserwerb des Klägers ist nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG von der Besteuerung ausgenommen.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG ist u. a. der Erwerb eines Grundstücks durch einen Entschädigungsberechtigten als "Entschädigung in Land nach § 100 des Bundesbaugesetzes" von der Besteuerung nach dem Grunderwerbsteuergesetz freigestellt. Die Vorschrift geht von dem allgemeinen Gedanken aus, daß der Erwerb von Ersatzland durch einen von einer Enteignung Betroffenen und Entschädigungsberechtigten grundsätzlich nicht der Besteuerung unterliegen soll (vgl. die amtliche Begründung zu dem Gesetzesentwurf, Niedersächsischer Landtag - 4. Wahlperiode - Landtagsdrucksache Nr. 837, Verhandlungen des Niedersächsischen Landtages - 4. Wahlperiode 1959 - S. 4180, 4186). Dadurch sollen die einschneidenden Wirkungen einer Enteignung gemildert werden. Der Gesetzgeber hat diese Vergünstigung jedoch nicht nur an die Einleitung eines Enteignungsverfahrens geknüpft, sondern von bestimmten weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht.

§ 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG ist seinem Wortlaut nach - wie das FA zutreffend hervorhebt - unmittelbar an die entsprechenden Vorschriften des § 100 BBauG gekoppelt und bezieht diese damit in den Befreiungstatbestand ein. Die Vorschrift setzt deshalb für ihre (unmittelbare) Anwendung voraus, daß ein förmliches Enteignungsverfahren im Sinne der §§ 104 ff. BBauG stattgefunden hat, und daß zugunsten des Enteignungsbetroffenen - abweichend von dem Regelfall einer Entschädigung in Geld; § 99 BBauG - eine Entschädigung in Land festzusetzen ist (§ 100 Abs. 1, 2 BBauG) oder festgesetzt werden kann (§ 100 Abs. 3 BBauG). Die Festsetzung einer Entschädigung in Land ist unter bestimmten, u. a. in § 100 Abs. 1 und 3 BBauG im einzelnen festgelegten Voraussetzungen zulässig. Danach muß der Enteignungsbetroffene zur Sicherung seiner Berufs- oder Erwerbstätigkeit auf Ersatzland angewiesen sein, oder es muß diese Art der Entschädigung nach den in Abs. 3 näher beschriebenen Gesichtspunkten billig sein. Außerdem muß der Enteignungsbegünstigte - hier: die Stadt - über als Ersatz geeignete Grundstücke verfügen oder solche zu angemessenen Bedingungen oder durch Enteignung beschaffen können (§ 100 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBauG). Damit beschränkt das Gesetz die grunderwerbsteuerrechtliche Vergünstigung eindeutig auf den Ersatz im Rahmen eines Enteignungsverfahrens mit allen dargelegten weiteren Voraussetzungen beim Enteignungsbegünstigten und dem Enteignungsbetroffenen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Falle überhaupt die volle Ersatzlandbeschaffung von der Besteuerung ausgenommen werden könnte oder nur der Teil, der der Fläche entspricht, wegen derer ein Enteignungsverfahren gegen den Kläger tatsächlich eingeleitet worden war (1,1549 ha). Eine Steuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG kann schon deshalb nicht eintreten, weil nicht alle Voraussetzungen dieser Gesetzesvorschrift eindeutig vorliegen, insbesondere das ausdrücklich festgelegte Tatbestandsmerkmal "Entschädigung in Land nach § 100 des Bundesbaugesetzes" nicht erfüllt ist.

Der Niederschrift über die Einigung vor der Enteignungsbehörde kann weder in sachlicher noch in formeller Hinsicht entnommen werden, daß die Entschädigung zugunsten des Klägers in Land festgesetzt worden ist. Es liegt vielmehr - wie das FG im einzelnen zutreffend festgestellt und ausgeführt hat - eine Entschädigung in Geld vor, die die Stadt an den Kläger zu leisten hatte, Daß die Beteiligten des Enteignungsverfahrens und die Vertragsparteien des Kaufvertrages über den Hof in C die Geldentschädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb des Hofes als "Entschädigung in Land" gewertet und so ausdrücklich bezeichnet haben, kann den objektiven Mangel der gesetzlich geforderten Festsetzung der Entschädigung in Land durch die Enteignungsbehörde nicht ersetzen. Es genügt auch nicht, daß der Kläger den Hof in C "zur Vermeidung einer Enteignung seines Besitzes für den sozialen Wohnungsbau" erworben hat (Umkehrschluß aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 und 7 GrEStBBauG; vgl. u. a. Urteil des Senats vom 28. April 1970 II 121-122/65, BFHE 99, 406, BStBl II 1970, 671, und vom 16. Juni 1971 II R 45/66, BFHE 103, 361, BStBl II 1972, 65).

Der klare und hinsichtlich der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung eindeutige Gesetzeswortlaut läßt weder eine wirtschaftliche oder ähnlich geartete Ausweitung noch eine entsprechende Anwendung im Wege einer Gesetzesanalogie zu. Zwar sind nach der Entsprechung des Senats (vgl. u. a. das Urteil II 121-122/65 mit weiteren Nachweisen) die Vorschriften über Befreiungen von der Grunderwerbsteuer nicht eng, sondern unter Würdigung des mit der (Ausnahme-) Vorschrift verfolgten Zwecks auszulegen. Das kann aber nicht dazu führen, einen gesetzlich eindeutig begrenzten Befreiungstatbestand auf Sachverhalte auszudehnen, die die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllen. Das gilt auch dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG - wie im Streitfall - zwar zum Teil erfüllt sind, jedoch dem Enteignungsbegünstigten die freihändige Beschaffung geeigneten Ersatzlandes zu angemessenen Bedingungen nicht auferlegt (§§ 110 Abs. 2 Satz 2, 113 Abs. 2 Nr. 8 BBauG) worden und dementsprechend eine (förmliche) Festsetzung der Entschädigung in Land gemäß § 100 Abs. 1 BBauG durch die Enteignungsbehörde unterblieben ist. Ob dies auf persönlichen, besonderen wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen beruht, ist ebenso unerheblich wie eine möglicherweise gegebene Unsicherheit der Beteiligten bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

Die Vielzahl der anderen in § 1 Abs. 1 GrEStBBauG aufgeführten Befreiungsvorschriften und deren Inhalt lassen im Vergleich untereinander erkennen, daß der Gesetzgeber die Grunderwerbsteuerbefreiungen im Zusammenhang mit Enteignungen (vgl. Nr. 7 und Nr. 10) genau geregelt hat. Daran sind die Finanzverwaltungsbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Es ist ihnen versagt, aufgrund eigener Wertungen einen im Gesetz nicht vorgesehenen Befreiungstatbestand von sich aus zu schaffen (vgl. u. a. Urteile des Senats vom 13. Januar 1970 II 132/65, BFHE 98, 453, BStBl II 1970, 440, unter 3. und II R 45/66). Das würde geschehen, wenn die Rechtsprechung § 1 Abs. 1 Nr. 10 GrEStBBauG auf Fälle anwenden würde, in denen - wie im Streitfall - der Entschädigungsberechtigte nicht unmittelbar durch den Enteignungsbegünstigten aufgrund einer Festsetzung der Enteignungsbehörde in Land entschädigt wird, sondern Bargeld zum Erwerb ihm geeignet erscheinender Grundstücke erhält.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71171

BStBl II 1975, 88

BFHE 1975, 537

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