Leitsatz (amtlich)

1. Gegen Verfügungen der Finanzämter, die nach vorangegangener Androhung ein Erzwingungsgeld nach § 202 AO festsetzen, ist in den Ländern der früheren britischen Zone die unmittelbare Berufung an das Finanzgericht gegeben.

2. Das Finanzgericht ist im Geltungsbereich der Verordnung Nr. 175 über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten befugt, das vom Finanzamt festgesetzte Erzwingungsgeld selbst herabzusetzen.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4; AO §§ 202, 166, 167 Abs. 2, §§ 304-305; VO Nr. 175 über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten § 18 Buchst. a, § 21 Abs. 2

 

Tatbestand

Gegen den Beschwerdeführer (Bf.), der in einem Lande der früheren britischen Zone als "freischaffender Propagandist und Berichter" lebt, ist durch die den Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens bildende Verfügung des Finanzamts vom 15. Mai 1956 nach vorangegangener Androhung vom 23. März 1956 wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1955 ein Erzwingungsgeld von 50 DM festgesetzt worden. Streitig ist, ob die Festsetzungsverfügung zu Recht ergangen ist.

Auf die Berufung des Bf. wurde das festgesetzte Erzwingungsgeld von 50 DM vom Finanzgericht auf 10 DM herabgesetzt. Die Kosten der Berufung wurden zu 4/5 dem Lande, zu 1/5 dem Rechtsmittelführer auferlegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, im Ergebnis jedoch nicht begründet.

Das Berufungsverfahren (Anrufen des Finanzgerichts und des Bundesfinanzhofs) ist gegeben. Auf das Urteil des erkennenden Senats II 125/52 U vom 29. August 1952, Slg. Bd. 56 S. 647, Bundessteuerblatt (BStBl) 1952 III S. 250 f., wird Bezug genommen. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat in dem nicht amtlich veröffentlichten, aber in Steuerrechtsprechung in Karteiform, Rechtsspruch 1 zu § 50 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) abgedruckten Beschluß IV 128/55 vom 15. März 1956 entschieden, daß gegen eine Verfügung des Finanzamts in den Ländern der früheren britischen Zone die unmittelbare Anrufung des Finanzgerichts gegeben sei. Der Senat tritt dieser Entscheidung -- insoweit unter Aufgabe der Begründung seines Urteils II 183/53 U vom 24. Februar 1955, Slg. Bd. 60 S. 314, BStBl 1955 III S. 120, 121 -- für diejenigen Fälle bei, in denen eine Festsetzungsverfügung, die nach vorangegangener Androhung auf Grund von § 202 der Reichsabgabenordnung (AO) erlassen wurde, angefochten wird. Wenn die Verordnung Nr. 175 im § 18 Buchst. a gegen die Androhung eines Erzwingungsgeldes in den Ländern der früheren britischen Zone die unmittelbare Beschwerde an das Finanzgericht vorsieht, so kann es der Sinn des Gesetzes nicht sein, bei einem auf Grund von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gegebenen Berufungsverfahren betreffend die -- der Androhung folgende -- Festsetzung des Zwangsmittels eine vorherige Ausschöpfung des Verwaltungsbeschwerdeweges zu verlangen. Ein unterschiedlicher Rechtsmittelzug bei der Androhung und bei der Festsetzung des Erzwingungsgeldes kann hinsichtlich der -- nach der Verordnung Nr. 175 für Rechtsmittel gegen die Androhung nicht erforderlichen -- vorherigen Ausschöpfung des Verwaltungsbeschwerdeweges ebensowenig gewollt sein wie eine unterschiedliche Behandlung in der Frage der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ohne Rücksicht auf die Streitwertgrenze (vgl. zu letzterem das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 382/51 U vom 24. Januar 1952, Slg. Bd. 56 S. 133, BStBl 1952 III S. 55, und das bereits angeführte Urteil II 125/52 U vom 29. August 1952).

Auch in der Sache selbst ist die Vorentscheidung im Ergebnis zutreffend. Die Anordnung des Finanzamts, die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1955 abzugeben, entsprach den gesetzlichen Vorschriften, die das Finanzamt in der Verfügung vom 23. März 1956 angeführt hat. Der Steuerpflichtige muß diesen Bestimmungen entsprechende Steuererklärungen, auch Umsatzsteuer-Voranmeldungen, selbst dann abgeben, wenn nur geringe Beträge anzugeben sind. Die Eingabe des Bf. vom 21. Januar 1957, mit der er seine "Gesamt-Einnahme" auf 3512,34 DM beziffert, erfüllt die Voraussetzungen der vom Finanzamt geforderten Erklärung deshalb nicht, weil sie nicht die im Gesetz vorgeschriebene Versicherung der Angabe nach bestem Wissen und Gewissen enthält (vgl. dazu § 166, insbesondere Abs. 1 Satz 1, in Verbindung mit § 167 Abs. 2 AO). Der Bf. wird diese Versicherung noch nachzuholen haben. Sein Einwand, es sei nicht sinnvoll und verletze Recht und Billigkeit, wenn das Finanzamt, dem seine ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt seien, ihn immer wieder zu Steuererklärungen auffordere, ist hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1955 nicht zutreffend. Es bedeutet keinen Ermessensmißbrauch, wenn das Finanzamt von dem Bf., der jahrelang keine Steuererklärungen abgegeben hatte, für 1955 eine Klarstellung der Umsatz- und Einkommensverhältnisse verlangte.

Der Bundesfinanzhof hat allerdings mehrfach entschieden (vgl. insbesondere den Beschluß IV 216/51 S vom 10. Oktober 1951, Slg. Bd. 55 S. 513, BStBl 1951 III S. 209), daß das Verlangen der Abgabe von Steuererklärungen (Steuervoranmeldungen) dann eine Verletzung von Recht und Billigkeit darstellen kann, wenn einwandfrei und klar feststeht, daß eine Steuerpflicht nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung lag indessen jedenfalls für 1955 nicht vor. Ob für die Zeit ab 1956 etwa im Hinblick auf § 4 Ziff. 17 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) etwas anderes gelten würde, unterliegt im Streitfall nicht der Entscheidung des Senats.

Für 1955 war somit die Anordnung des Finanzamts gerechtfertigt.

Die Festsetzung eines Erzwingungsgeldes im Betrage von 50 DM hat die Vorinstanz jedoch mit zutreffenden Gründen als Ermessensverletzung angesehen. Gleiches wird bereits von der Androhung eines Erzwingungsgeldes in Höhe von 50 DM zu gelten haben. Das Finanzgericht hat das festgesetzte Erzwingungsgeld von 50 DM auf 10 DM selbst herabgesetzt. Das erscheint unbedenklich. Zwar ist es nach Ziff. 7 des Gutachtens des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (Slg. Bd. 55 S. 277, BStBl 1951 III S. 107, 110) grundsätzlich nicht zulässig, daß das Finanzgericht bei reinen Ermessensakten der Finanzverwaltungsbehörden das Ermessen selbst ausübt. In den Ländern der früheren britischen Zone tritt jedoch das Finanzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 175 an die Stelle der dem Finanzamt übergeordneten Verwaltungsbehörde; es ist deshalb in Beschwerdesachen auch befugt, angedrohte Erzwingungsgeldbeträge selbst zu ermäßigen. Dann aber kann es nicht im Sinne des Gesetzes liegen, hinsichtlich der (der Androhung folgenden) Festsetzung des Erzwingungsgeldes -- abweichend von der Rechtslage bei der Androhung -- dem Finanzgericht die Befugnis zur Herabsetzung des Erzwingungsgeldes zu versagen (im Ergebnis ebenso Hübschmann-Hepp-Spitaler, AO § 202 Anm. 20 vorletzter Absatz). Soweit der Senat früher eine abweichende Rechtsauffassung in dieser Frage vertreten hat, wird sie nicht mehr aufrechterhalten.

Zu beanstanden ist es auch nicht, daß die Vorinstanz eine völlige Aufhebung des Erzwingungsgeldes abgelehnt hat.

Entgegen den Ausführungen des Bf. liegen auch wesentliche Verfahrensmängel der Vorinstanz nicht vor. Die Rechtsbeschwerde ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 307 AO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl III 1958, 117

BFHE 1958, 305

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