Leitsatz (amtlich)

Der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen GmbH durch den ersten Erwerber ist dann nicht im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erforderlich, wenn nicht zusätzlich das Stammkapital der Gesellschaft herabgesetzt wird.

 

Normenkette

KVStG 1959 § 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchstb. b

 

Tatbestand

I.

1. Das Stammkapital der Klägerin, einer GmbH, wurde durch Beschluß ihrer alleinigen Gesellschafterin vom 12. Dezember 1962 um 2 000 000 DM auf 10 000 000 DM erhöht. Die Kapitalerhöhung wurde in das Handelsregister eingetragen.

2. Mit Bescheid vom Februar 1963 setzte das beklagte FA die Gesellschaftsteuer für den Erwerb der Gesellschaftsrechte durch den ersten Erwerber auf 50 000 DM (2 1/2 v. H.) fest. In der Einspruchsentscheidung setzte es die Steuer herab, indem es teilweise den ermäßigten Steuersatz nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1959 berechnete. Nach seinen Ermittlungen war durch die Kapitalerhöhung eine Überschuldung der Klägerin in Höhe von X DM beseitigt worden.

3. Die Klage wies das FG ab.

Den ermäßigten Steuersatz nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b. KVStG 1959 könne die Klägerin nicht in Anspruch nehmen; ein Verlust am Stammkapital könne nur dann durch eine Kapitalerhöhung beseitigt werden, wenn diese mit einer Kapitalherabsetzung verbunden sei.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Der Erwerb der Gesellschaftsrechte durch die Gesellschafterin als dem ersten Erwerber unterlag der Gesellschaftsteuer (§ 2 Nr. 1 KVStG 1959).

1. a) Nach den Berechnungen des FA, welche die Klägerin nicht angegriffen hat, war diese mit X DM überschuldet. Demnach war das gesamte Stammkapital von bis dahin 8 000 000 DM verloren. Dieser Verlust konnte durch eine Kapitalzuführung von 2 000 000 DM -- das entspricht der Kapitalerhöhung -- nach Deckung der Überschuldung nur zu Y DM ausgeglichen werden. Von dieser Seite bestünde somit kein Hindernis, entsprechend dem Antrag der Klägerin die Kapitalzuführung über den Betrag von X DM hinaus mit dem ermäßigten Steuersatz -- und zwar hier nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 -- zu besteuern.

b) Die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 scheitert im vorliegenden Fall jedoch daran, daß die Klägerin nicht außerdem das Kapital um einen Betrag herabgesetzt hat, der ungefähr -- d. h. in den Grenzen des § 5 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) -- dem eingetretenen Verlust am Stammkapital entsprach.

Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 ermäßigte sich die Steuer auf 1 v. H. beim Erwerb von Gesellschaftsrechten, bei der Veräußerung eigener Gesellschaftsrechte und bei Leistungen, soweit sie u. a. zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital einer inländischen GmbH erforderlich waren. Dieser Wortlaut ist in anderem Sinne eindeutig, als die Klägerin meint. Zwar war es im wörtlichen Sinne möglich, den Verlust am Stammkapital durch Leistungen nach § 2 Nr. 4 KVStG 1959 zu decken, weil diese der Kapitalgesellschaft einen Vermögenszuwachs brachten; gleiches konnte auch noch für Fälle des § 2 Nr. 3 KVStG 1959 gelten. Weitere Einzahlungen auf das Stammkapital nach § 2 Nr. 2 KVStG 1959 bewirkten dagegen bei der Kapitalgesellschaft keinen Vermögenszuwachs, sondern nur die Erfüllung entsprechender Ansprüche dieser Gesellschaft. Erst recht wäre § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 nach seinem bloßen Wortlaut im Bereich des § 2 Nr. 1 dieses Gesetzes nicht anwendbar gewesen; es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Erwerb von Gesellschaftsrechten durch den ersten Erwerber einen Verlust am Stammkapital hätte decken können. Demnach ließen sich die beiden Vorschriften allenfalls im Wege einer über den Wortlaut hinausgehenden, auf Sinnzusammenhang und Zweck des Gesetzes ausgerichteten Auslegung miteinander in Einklang bringen. Erst bei dieser Betrachtungsweise wurde die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 in den Fällen des § 2 Nr. 1 überhaupt verständlich. Zwar knüpfte die letztgenannte Vorschrift an den Erwerb von Gesellschaftsrechten durch den ersten Erwerber an; sie wollte aber ebenso wie die übrigen Tatbestände des § 2 die Kapitalzuführungen an die Gesellschaft erfassen. Demnach wurden auch spätere Leistungen auf das noch nicht voll eingezahlte Stammkapital erst zu diesem Zeitpunkt nach § 2 Nr. 2 besteuert, obwohl der Wortlaut des § 2 Nr. 1 eine solche Einschränkung nicht erkennen ließ. Ebenso ist die Steuerermäßigung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 auf diese Kapitalzuführung auszurichten. Die Einzahlungen eines Gesellschafters beim ersten Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer GmbH sind erforderlich zur Erfüllung seiner Verpflichtung auf Einzahlung der Stammeinlage (§ 19 GmbHG). Werden aber diese Zahlungen gerade nicht auf das frühere, verlorengegangene Stammkapital geleistet, so können sie auch für sich allein nicht im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 erforderlich sein, um diesen Verlust am alten Stammkapital zu decken. Vielmehr ist diese Erforderlichkeit erst im Zusammenhang mit einer weiteren Maßnahme gewährleistet, nämlich der gleichzeitigen Kapitalherabsetzung Erst jetzt ist -- falls die Kapitalerhöhung mindestens dem eingetretenen Kapitalverlust entspricht -- die Gesellschaft kapitalmäßig wieder wie vorher ausgestattet und der Verlust am Stammkapital beseitigt.

2. Die Klägerin meint, nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes genüge es, daß der erste Erwerb von Gesellschaftsrechten zur Deckung eines Verlustes am Stammkapital erfolge. Von der Erreichung des Zweckes und demnach von einer gleichzeitigen Kapitalherabsetzung werde die Steuervergünstigung nicht abhängig gemacht. Dieser Einwand ist bereits insoweit durch die Ausführungen zu 1) widerlegt, als der bloße Wortlaut des Gesetzes gegen die Klägerin spricht. Sieht man darüber hinweg, so betrachtet die Klägerin offenbar eine gleichzeitige Kapitalherabsetzung gesellschaftsteuerrechtlich als zweitrangige Maßnahme, die gegenüber der Kapitalzuführung bedeutungslos ist. Die Klägerin verwendet damit ähnliche Argumente wie Ott (GmbH-Rundschau 1967, 126), nach dessen Ansicht mit der Deckung des Verlustes "materielle Vorgänge" gemeint sind, "nicht aber formale Fragen mit Konten, Bilanzausweis und Gesetzesvorschriften des Gesellschaftsrechts". Diese Argumentation übersieht, daß es sich bei dem Stammkapital und den betreffenden Vorschriften des Gesellschaftsrechtes (vgl. z. B. § 5, 9 und 30 GmbHG) nicht nur um formale Fragen handelt. Überdies knüpft das Kapitalverkehrsteuergesetz vielfach (wie z. B. in § 2 Nr. 1 bis 3) an Vorgänge an, die durch die Vorschriften des Gesellschaftsrechts bedingt sind. Wird das Stammkapital nicht gleichzeitig herabgesetzt, so kann das in der Regel nur den Sinn haben, daß die Gesellschafter später aus anderen Mitteln das Kapital auffüllen wollen und nach ihrer eigenen Vorstellung erst diese späteren Zahlungen zur Deckung des Verlustes am Stammkapital erforderlich sind. Sie können außerdem später Gewinne auf neue Rechnung vortragen und damit das alte Stammkapital gesellschaftsteuerfrei auffüllen (vgl. das Urteil des RFH vom 22. Oktober 1942 II 79/41, RFHE 52, 237). Auf diesem Wege wäre das Stammkapital steuerbegünstigt erhöht worden, ohne daß zu dieser Steuervergünstigung ein Anlaß bestünde.

3. Die vorstehende Auslegung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1959 steht nicht im Widerspruch zu dem Urteil des BFH vom 14. November 1962 II 291/59 U (BFHE 76, 175, BStBl III 1963 , 63). Dort hatte der BFH entschieden, daß einer GmbH der ermäßigte Steuersatz nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1955 für eine Kapitalerhöhung zur Deckung der Überschuldung nicht deshalb verweigert werden könne, weil nicht gleichzeitig eine Kapitalherabsetzung durchgeführt worden sei. Der Unterschied zwischen dem dort entschiedenen Fall und dem hier zu beurteilenden Sachverhalt besteht darin, daß eine Überschuldung im Gegensatz zum Verlust am Stammkapital durch Kapitalerhöhung ohne gleichzeitige Kapitalherabsetzung beseitigt werden kann. Zwar erhöht sich dadurch gleichzeitig ein Verlust am Stammkapital. Das hat aber der BFH in dem Urteil II 291/59 U als unerheblich angesehen, weil die Fälle der Überschuldung und des Verlustes am Stammkapital in zwei getrennten Tatbeständen des § 9 Abs. 2 KVStG 1955 geregelt seien und nicht mehr, wie in § 13 Buchst. b KVStG 1922, eine Einheit darstellten. Deshalb könne man den ermäßigten Steuersatz für eine Kapitalerhöhung zur Deckung einer Überschuldung nicht mit der Begründung versagen, daß gleichzeitig der Verlust am Stammkapital vergrößert werde. Ob insoweit bei einer späteren Kapitalerhöhung zur Beseitigung des Verlustes am Stammkapital die Steuervergünstigung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KVStG 1955 versagt werden müsse, hatte der BFH offengelassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71243

BStBl II 1975, 241

BFHE 1975, 276

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