Leitsatz (amtlich)

1. Die dem Steuerpflichtigen zugestellte schriftliche Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses ist wirksam, auch wenn sie nicht von dem Beamten unterzeichnet ist, der die Ausschußsitzung nach § 25 Abs. 2 FVG in der Fassung des StÄndG 1961 geleitet hat. Der Mangel kann durch nachträgliche Unterschrift des zuständigen Beamten geheilt werden.

2. Das Finanzgericht muß in der Sache entscheiden, wenn der Steuerpflichtige zu erkennen gibt, daß er formelle Mängel des Einspruchsverfahrens nicht rügen will.

 

Normenkette

FVG i.d.F. des Art. 20 des StÄndG 1961 § 23 Abs. 2; FVG i.d.F. des Art. 20 des StÄndG 1961 § 25 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Instandsetzungen und Umbauten der Jahre 1958 und 1959 an dem im Jahre 1955 erworbenen Haus teilweise Erhaltungsaufwand sind. Da das Finanzamt (FA) in dem Einkommensteuerbescheid 1958 und in dem vorläufigen Einkommensteuerbescheid 1959 diese Kosten in vollem Umfang als Herstellungsaufwand behandelte, legten die Steuerpflichtigen (Stpfl.) gegen beide Steuerbescheide Einspruch ein. Das FA erließ anschließend einen endgültigen Einkommensteuerbescheid für 1959, gegen den die Stpfl. ebenfalls Einspruch einlegten.

Auf Antrag der Stpfl. fand am 28. September 1962 vor dem Steuerausschuß für den Bezirk des FA eine mündliche Verhandlung statt, die der Vertreter des Vorstehers des FA, Regierungsrat A, als Vorsitzender des Steuerausschusses leitete. Die Interessen der Finanzverwaltung nahm der für die Stpfl. zuständige Sachgebietsleiter, Steueramtmann B, wahr. Im Anschluß an die mündliche Verhandlung beschloß der Steuerausschuß: "Der Einspruch wird als unbegründet zurückgewiesen." Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung und über die -- den Beteiligten nicht verkündete -- Entscheidung ist von Regierungsrat A und der Protokollführerin unterschrieben. Nachdem das FA in eigenem Namen am 17. Januar 1963 den endgültigen Steuerbescheid für 1959 nach § 93 AO aufgehoben hatte, sandte es den Stpfl. die folgende Einspruchsentscheidung zu:

"Finanzamt

StNr. 10/78, Rechtsm.Liste 22. Januar 1963

Nr. 589/58, 453/59, 483/59

Herrn.......................................................................

Einspruchsentscheidung

In der Einkommensteuersache 1958/59 der Eheleute .....................................hat auf die Einsprüche des Genannten gegen die Einkommensteuerbescheide vom 11. Januar 1960 und vom 25. August 1961 der Steuerausschuß für den Bezirk des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung vom 28.9.1962 entschieden: I. Die Einsprüche werden als unbegründet zurückgewiesen. II. Die Kosten des Verfahrens ........"

Es folgen Rechtsmittelbelehrung und Entscheidungsgründe. Die Ausfertigung war mit den Worten "Im Auftrag ....... (B)" von diesem Beamten unterschrieben.

Die Berufung der Stpfl. hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1965 S. 137 veröffentlicht ist, führte aus: Die angefochtene Einspruchsentscheidung sei keine Entscheidung des Steuerausschusses, sondern ihrem Inhalt nach eine Willenserklärung des FA in der Form einer Einspruchsentscheidung. Dies ergebe sich aus der Aufschrift und aus der Tatsache, daß die Verfügung von einem Beamten des FA unterzeichnet sei, der bei der Steuerausschußsitzung nicht als Steuerausschußmitglied, sondern als Vertreter des FA und mithin als Parteivertreter mitgewirkt habe. Es sei anzunehmen, daß dieser Beamte auch die Entscheidungsgründe abgesetzt habe. Der Steuerausschuß habe zwar laut Sitzungsprotokoll vom 28. September 1962 über den Einspruch entschieden. Diese Entscheidung sei jedoch für die Beteiligten noch nicht wirksam geworden. Da der Steuerausschuß nach dem Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG) in der Fassung des Art. 20 des Steueränderungsgesetzes vom 13. Juli 1961 -- StÄndG 1961 -- (BGBl 1961 I S. 981, BStBl 1961 I S. 444) eine eigene, dem FA gleichgeordnete Verwaltungsbehörde sei, müsse wegen funktioneller Unzuständigkeit der Verwaltungsakt des FA als nichtig betrachtet werden. Die Sache sei an das FA zurückzuverweisen. Wenngleich der Mangel von den Beteiligten auch nicht beanstandet worden sei, so sei er doch von Amts wegen zu beachten.

Das FA rügt mit der Revision unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts und Verfahrensmängel, vor allem, daß das FG den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt habe. Aus dem Entwurf der Einspruchsentscheidung gehe hervor, daß die Entscheidung mit ausdrücklicher Billigung des Vorstehers gefertigt sei. Das FG hätte auch nicht beachtet, daß der Steueramtmann Vertreter des ständigen Vertreters des Vorstehers sei und in dieser Eigenschaft auch für den Vorsteher des FA als Vorsitzender des Steuerausschusses hätte handeln können.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuweisen.

Die Stpfl. beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie haben von einer Stellungnahme abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Es ist dem FG darin zuzustimmen, daß nach dem Inkrafttreten des StÄndG 1961 (a. a. O.) eine schriftliche Entscheidung des Steuerausschusses nicht mehr unter der Aufschrift des FA ergehen darf. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in den Urteilen IV 16/51 S vom 2. März 1951 (BStBl 1951 III S. 81, Slg. Bd. 55 S. 215) und III 27/51 S vom 3. März 1951 (BStBl 1951 III S. 103, Slg. Bd. 55 S. 267) dargelegt hat, waren die Steuerausschüsse ursprünglich nur Organe der FÄ. Nach der neuen Fassung des FVG durch Art. 20 StÄndG 1961 (a. a. O.) wurden sie aber zu Selbstverwaltungsorganen, die selbständig neben den FÄ stehen (Nr. 75 des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses -- 14. Ausschuß -- vom 28. April 1961, Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode zu Drucksache 2706 zu Art. 14 a -- später Art. 20 -- des StÄndG 1961). Der Gesetzgeber hat die Bestimmungen über die Steuerausschüsse aus Abschn. IV des FVG mit der Überschrift "Finanzämter" herausgenommen und für sie einen neuen Abschn. V mit der Überschrift "Steuerausschüsse" geschaffen. Ebenfalls ordnete er in dem neu gefaßten § 23 Abs. 1 FGV an, daß die Steuerausschüsse nicht mehr "bei den Finanzämtern", sondern "für den Bezirk der Finanzämter" zu bilden seien. In § 23 Abs. 2 Satz 2 FVG wurde dem Vorsteher des FA auch die Befugnis zur Geschäftsführung für den Steuerausschuß übertragen. Auf Grund dieser organisatorischen Verselbständigung mußten schriftliche Einspruchsentscheidungen des Steuerausschusses im Jahre 1963 unter der Aufschrift "Der Steuerausschuß für den Bezirk des Finanzamts ....." ergehen, wie auch die inhaltlich gleichen Ländererlasse "betr. Tätigkeit des Steuerausschusses in Einspruchssachen" vorsehen (vgl. Abschn. II Ziff. 2 des Erlasses des saarländischen Ministers für Finanzen und Forsten vom 2. März 1962, BStBl 1962 II S. 95).

Wie das FG ebenfalls zutreffend ausführt, durfte der Steueramtmann als Interessenvertreter des FA nicht die angefochtene Entscheidung unterschreiben. Einspruchsentscheidungen des Steuerausschusses haben nach der Neuregelung einen urteilsähnlichen Charakter. Der Steuerausschuß entscheidet in seiner Gesamtheit auf Grund des Gesetzes nach freiem Ermessen, ohne daß er an Weisungen der Finanzbehörden gebunden ist (vgl. Urteil des Senats VI 78/63 S vom 3. Juli 1964, BStBl 1964 III S. 566, Slg. Bd. 80 S. 257). Einspruchsentscheidungen müssen daher -- ähnlich wie steuergerichtliche Urteile -- von dem Vorsitzenden der Sitzung, d. h. dem Vorsteher des FA oder dem Beamten, den dieser mit der Leitung der Sitzung beauftragt hat (§ 25 Abs. 2 FVG) unterschrieben werden. Der Vorsitzende kann zwar einen Beamten des FA beauftragen, nach seinen Weisungen die Einspruchsentscheidung des Ausschusses abzusetzen. Der Vorsitzende der Steuerausschußsitzung muß aber durch seine Unterschrift auf dem Entwurf und auf der für den Steuerpflichtigen bestimmten Ausfertigung nach außen hin die Verantwortung dafür übernehmen, daß die schriftliche Entscheidung im Rechtsspruch und in den Entscheidungsgründen die Ansicht des Steuerausschusses bei der Beratung und Abstimmung richtig wiedergibt (vgl. Urteil des FG Münster in Entscheidungen der Finanzgerichte 1965 S. 406; Abschn. II Ziff. 2 letzter Satz der gemeinsamen Ländererlasse, a. a. O.).

Da die Steuerausschußsitzung vom 28. September 1962 von Regierungsrat A geleitet wurde, mußte dieser auch die Einspruchsentscheidung unterschreiben. Entgegen der Ansicht des FA kommt es nicht darauf an, ob der Vorsteher des FA die Abfassung der Entscheidung durch sein Namenszeichen auf dem Entwurf gebilligt hat und ob der Steueramtmann als Vertreter des ständigen Vertreters des Vorstehers zur Leitung von Steuerausschußsitzungen befugt war. Die Unterschrift des Ausschußvorsitzenden ist im Streitfall schon deswegen von Bedeutung, weil das Sitzungsprotokoll nicht klar zeigt, über welche Einsprüche der Steuerausschuß tatsächlich entschieden hat. Gegenstand der Verhandlung waren nach dem Protokoll der Einspruch gegen die Veranlagung 1958 und die beiden Einsprüche gegen die vorläufige und endgültige Veranlagung 1959. In der im Protokoll niedergelegten Entscheidung heißt es hingegen nur, daß "der Einspruch" als unbegründet zurückgewiesen wird.

Der Senat tritt aber dem FG nicht darin bei, daß die Einspruchsentscheidung wegen der fehlerhaften Bezeichnung "Finanzamt ..." und weil ein nicht zuständiger Beamter sie unterschrieben hat, eine Willenserklärung des FA und wegen funktioneller Unzuständigkeit nichtig sei. Aus dem Kopf der Einspruchsentscheidung:

"..... hat auf die Einsprüche ..... der Steuerausschuß für den Bezirk des Finanzamts in der mündlichen Verhandlung vom 28.9.1962 entschieden: ....."

ist für einen unbefangenen Leser ersichtlich, daß das FA keine eigene Einspruchsentscheidung getroffen hat. Trotz der erwähnten Mängel ließ die dem Stpfl. zugegangene Ausfertigung erkennen, daß eine Entscheidung des Steuerausschusses ergangen war. Die Stpfl. haben das dann auch nicht bezweifelt oder gerügt.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuweisen. Das FG muß vor einer Zurückverweisung der Sache an das FA prüfen, ob es die erwähnten Mängel der Einspruchsentscheidung heilen kann. In erster Linie muß es die Stpfl. fragen, ob sie die Mängel rügen wollen. Verzichten die Stpfl. auf eine Rüge, so muß das FG trotz der Mängel sachlich entscheiden. Die festgestellten Mängel der Entscheidung berühren nicht die Grundordnung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, so daß es der Entscheidung der Prozeßbeteiligten überlassen werden kann, ob sie sich durch die Mängel beschwert fühlen (vgl. BFH-Urteile VI 264/61 U vom 1. Dezember 1961, BStBl 1962 III S. 140, Slg. Bd. 74 S. 371; IV 66/62 U vom 17. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 228, Slg. Bd. 76 S. 628). Rügen die Stpfl. den Mangel, so muß das FG prüfen, ob der damalige Vorsitzende des Steuerausschusses bereit ist, seine Unterschrift nachzuholen und damit die Verantwortung für die Einspruchsentscheidung nach außen hin zu übernehmen (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs II ZR 310/53 vom 27. Oktober 1955, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 18 S. 350; Urteil des Reichsgerichts VII 150/35 vom 31. Januar 1936, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 150 S. 147; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, § 315, Anm. II 2 b; Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 28. Aufl., § 315, Bem. 1 C). Mit der Unterschrift sind dann die Mängel der Einspruchsentscheidung geheilt. Ist die Heilung der Mängel in dieser Weise nicht möglich, so muß das FG die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufheben. Das FA hat dann noch über den Einspruch zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411975

BStBl III 1966, 232

BFHE 1966, 55

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