Entscheidungsstichwort (Thema)

Nacherhebung von GrESt (Verjährung im Falle interner Freistellung)

 

Leitsatz (NV)

1. § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c GrEStG Nds. ist nicht erfüllt, wenn eine Gemeinde ein Grundstück zur Schaffung einer Schule (1975) erwirbt, sodann der Landkreis als zuständiger Schulträger eine Teilfläche auf eigene Kosten mit einem Schulzentrum bebaut und die Gemeinde schließlich die Teilfläche auf den Landkreis überträgt.

2. Zur Frage, inwieweit eine interne Freistellung von der GrESt den Verjährungsbeginn gemäß oder entsprechend § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO (i. d. F. ab 1. Januar 1966) hinausschieben konnte.

3. Zur Frage der Verjährung bei der Annahme, daß die interne Freistellung die Entstehung der GrESt bis 1977 oder später hinausgeschoben habe.

 

Normenkette

AO i.d.F. ab 1. Januar 1966 § 145 Abs. 2 Nr. 4; AO 1977 § 170 Abs. 2 Nr. 1, § 171 Abs. 8; EGAO 1977 Art. 97 § 3 Abs. 1; EGAO 1977 § 10 Abs. 1 S. 1; GrEStG Nds. § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c; GrEStDV 1940 § 3 Abs. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klin., eine Gemeinde, kaufte am 17. April 1975 ein unbebautes Grundstück. In dem Kaufvertrag erklärte sie, der Vertrag solle der Schaffung einer Schule dienen. Das beklagte FA stellte den Erwerbsvorgang gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c GrEStG Nds. zunächst von der GrESt frei.

Auf einer Teilfläche des erworbenen Grundstückes errichtete der Landkreis H als zuständiger Schulträger auf eigene Kosten ein Schulzentrum. Am 7. Dezember 1981 schließlich übertrug die Klin. diese Teilfläche auf den Landkreis. Das FA erhob daraufhin durch Bescheid vom 21. Februar 1983 die GrESt auf den Erwerb vom 17. April 1975 insoweit, als sie auf die Teilfläche entfiel, die der Landkreis für die Errichtung des Schulzentrums verwendet und anschließend erworben hatte. Es berief sich darauf, daß die Gemeinde den steuerbegünstigten Zweck (Errichtung einer Schule) aufgegeben habe.

Der von der Klin. eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das FA bekräftigte seine Auffassung, daß die Klin. die Schule hätte selbst errichten müssen, um den steuerbegünstigten Zweck zu verwirklichen.

Die Klin. hat Klage erhoben und die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides beantragt. Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt:

Die Schulträgerschaft für die Schule habe von vornherein beim Landkreis gelegen. Die Gemeinde sei nur für Grund- und Hauptschulen zuständig. Der Landkreis sei aber haushaltsmäßig nicht in der Lage gewesen, kurzfristig die für das Schulzentrum erforderliche Fläche zu erwerben. Deshalb sei sie, die Klin., als Käuferin aufgetreten. Der steuerbegünstigte Zweck sei dadurch erfüllt worden, daß der Landkreis auf der für das Schulzentrum vorgesehenen Teilfläche auf seine Kosten die Schule errichtet habe.

Das FG hat der Klage stattgegeben und sein Urteil wie folgt begründet:

Das FA habe den Erwerbsvorgang zu Unrecht vorläufig von der GrESt freigestellt gehabt. Da die beabsichtigte Zweckverwirklichung durch den Landkreis nicht steuerbegünstigt sei, hätte das FA die Steuer nach den erforderlichen Ermittlungen sofort festsetzen müssen. Für eine Erhebung der Steuer sei unter diesen Umständen wegen der inzwischen eingetretenen Verjährung kein Raum mehr.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, die Klage (unter Aufhebung der Vorentscheidung) abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

Entgegen der Auffassung des FG ist der angefochtene Steuerbescheid frei von Rechtsfehlern.

1. Die Klin. hat die Voraussetzungen für eine (teilweise) Befreiung ihres Grundstückserwerbes gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c GrEStG Nds. deshalb nicht erfüllt, weil sie das erworbene Teilgrundstück nicht selbst zur Errichtung und Unterhaltung einer Schule verwendet hat; die Errichtung der Schule erfolgte vielmehr durch den Landkreis, der später das Teilgrundstück selbst erworben hat. Eine derartige nur mittelbare Verwendung des Teilgrundstückes zu dem begünstigten Zweck aber ist nicht von der GrESt befreit. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats zu vergleichbaren Vorschriften (vgl. z. B. die Urteile vom 14. April 1965 II 30/62 U, BFHE 82, 478, BStBl III 1964, 420; vom 12. März 1980 II R52/77, BFHE 130, 341, BStBl II 1980, 472, und vom 13. Oktober 1982 II R 164/80, BFHE 137, 90, BStBl II 1983, 139; vgl. ferner Boruttau / Egly / Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., Anhang Tz. 850 h und 1028 a). Hieran hält der Senat fest.

2. Offenbleiben kann, ob die GrESt für den Grundstückserwerb, soweit hier über ihn zu befinden ist, deshalb bereits 1975 entstanden ist, weil die Klin. von vornherein nicht die Absicht hatte, das Schulzentrum selbst zu errichten und bei nur interner Freistellung die Entstehung der GrESt möglicherweise nicht hinausgeschoben wurde (vgl. zu dieser Frage die Senats-Urteile vom 13. Februar 1985 II R 74/82, BFHE 143, 163, BStBl II 1985, 374, und vom 11. Juli 1985 II R 106/82, BFHE 144, 169, BStBl II 1985, 593). Jedenfalls hat die interne Freistellung 1975 die Hinausschiebung des Verjährungsbeginns gemäß oder entsprechend § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung bewirkt, falls davon auszugehen sein sollte, daß die GrESt bereits 1975 entstanden ist.

3. Gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO begann die Verjährung in den Fällen, in denen die Steuerfestsetzung wegen befristeter, bedingter oder sonst ungewisser Verhältnisse ausgesetzt oder vorläufig erfolgt war, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Ungewißheit beseitigt wurde. Der Ausdruck ,,wegen bedingter, befristeter . . . Verhältnisse" stellt klar, daß u. a. Fälle gemeint waren, die sich in Schwebe befanden, in denen die Entwicklung zur Steuerpflicht oder zur Steuerfreiheit hin noch nicht abgeschlossen war. Hieraus folgt, daß die Vorschrift auch auf die Fälle anwendbar sein muß, in denen der Erwerb in bestimmter Absicht materiell-vorläufig steuerfrei ist, die materiell-endgültige Steuerbefreiung aber von der Verwirklichung dieser Absicht abhängt. Denn auch in diesen Fällen ist zunächst ungewiß, ob die weitere Entwicklung zur endgültigen Steuerfreiheit oder zur Steuerpflicht führt.

Hat der Steuerpflichtige die Freistellung von der Steuer im Hinblick auf eine derartige steuerbegünstigte Absicht beantragt, so liegen danach ungewisse Verhältnisse i. S. des § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO vor, die es bei Aussetzung der Steuerfestsetzung rechtfertigen, den Beginn der Verjährung hinauszuschieben. Hierzu reicht auch eine nur interne Aussetzung der Steuerfestsetzung aus (vgl. das Urteil vom 31. August 1977 II R 27/76, BFHE 123, 292, BStBl II 1978, 120).

An diesem Ergebnis ändert sich auch dadurch nichts, daß die im Erwerbszeitpunkt bestehende Verwendungsabsicht der Klin. eine Steuerbefreiung nicht rechtfertigte. Auch wenn man mit dem VII. Senat die Anwendung der Vorschrift auf die Fälle der objektiven Ungewißheit beschränkt (vgl. das Urteil vom 18. Dezember 1979 VII R 75-76/77, BFHE 129, 530; vgl. auch Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. IV, S. 316, § 145 Anm. 2 Abs. 2), ist der vorliegende Fall bei Anwendung des § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO dem Fall der objektiven Ungewißheit gleichzustellen. Dies ergibt sich daraus, daß es dem Wesen des gestuften Tatbestandes des § 4 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c, Abs. 2 GrEStG entspricht, die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zunächst hinauszuschieben und für die materiell vorläufige Freistellung (die Aussetzung der Steuerfestsetzung) einen Antrag des Steuerpflichtigen genügen zu lassen (vgl. BFHE 143, 163, 166, BStBl II 1985, 374; BFHE 144, 169, 172, BStBl II 1985, 593).

4. Welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um von der Beseitigung der Ungewißheit i. S. des § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO ausgehen zu können, ist im Gesetz nicht konkret festgelegt. In Fällen der vorliegenden Art ist die Ungewißheit jedenfalls solange nicht behoben, als die Nachversteuerungsfrist nicht abgelaufen ist und auch keine Anzeige i. S. des § 3 Abs. 4 GrEStDV 1940 eingegangen ist.

5. Sollte die Steuer 1975 entstanden sein, so folgt daraus, daß die Ungewißheit zumindest bis zum Ablauf der Nachversteuerungsfrist dauerte, da eine Anzeige durch die Klin. nicht erstattet worden ist. Eine Verjährung kann unter diesen Umständen nicht eingetreten sein.

Wird demgegenüber angenommen, daß die interne Freistellung die Entstehung der GrESt hinausgeschoben hat, so wäre die GrESt mit der Fertigstellung des Schulzentrums entstanden (vgl. BFHE 144, 169, 171, BStBl II 1985, 593). Sollte die Fertigstellung bereits 1976 erfolgt sein, so würde ebenfalls § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO mit der Folge des Nichteintritts der Verjährung bis zur Festsetzung der Steuer gelten.

Nichts anderes ergibt sich, wenn das Schulzentrum erst 1977 oder später fertiggestellt worden sein sollte. Gemäß Art. 97 § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 EGAO 1977 sind in diesem Falle die Vorschriften der AO 1977 über die Festsetzungsverjährung anwendbar. Der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist würde im genannten Falle durch die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 8 AO 1977 verlängert worden sein, soweit der Beginn der Festsetzungsfrist nicht bereits durch § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 i. V. m. § 3 Abs. 4 GrEStDV 1940 hinausgeschoben sein sollte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414900

BFH/NV 1988, 120

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