Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

1.ß 43 EStDV 1952 gilt nach seinem Sinn und Zweck dann nicht, wenn die getrennte Besteuerung sich zum Nachteil der Steuerpflichtigen auswirken würde.

2.Hat jeder Ehegatte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) unterliegen, so steht im Falle der Zusammenveranlagung gemäß § 26 EStG jedem Ehegatten der Pauschbetrag für Werbungskosten des § 14 Abs. 1 Ziff. 1 EStDV 1952 zu.

EStG 1952 § 26; EStDV 1952 §§ 14 Abs. 1 Ziff. 1, 43.

 

Normenkette

EStG § 26; EStDV § 14 Abs. 1 Ziff. 1, § 43

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Telefonist. Er hatte als solcher im Jahre 1952 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Da er blind ist, erreichten die Freibeträge eine solche Höhe, daß ein Lohnsteuerabzug entfiel.

Der Stpfl. hat im Jahr 1952 ein Wohngebäude errichtet. Die Inanspruchnahme der erhöhten Absetzung für Abnutzung (AfA) des § 7 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) hatte zur Folge, daß sich in diesem Jahr ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung ergab.

Die Ehefrau des Stpfl. hatte im Jahr 1952 als Postassistentin ebenfalls Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Hiervon wurde eine Lohnsteuer in Höhe von 143,85 DM einbehalten. Um einen Ausgleich seines Verlustes aus Vermietung und Verpachtung mit den Einkünften seiner Ehefrau zu erwirken, hat der Stpfl. seine Veranlagung unter Einbeziehung der Einkünfte seiner Ehefrau gemäß ß 46 EStG wegen Vorliegens eines berechtigten Interesses beantragt. Das Finanzamt hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, daß nach ß 43 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Ehefrau in einem dem Ehemann fremden Betrieb bei der Zusammenveranlagung auszuscheiden seien.

Auf die hiergegen eingelegte Sprungberufung hat das Finanzgericht dem Begehren des Stpfl. stattgegeben. Es vertritt die Auffassung, daß der Einbeziehung der Lohneinkünfte der Ehefrau in die Zusammenveranlagung die Vorschrift des § 43 EStDV nicht entgegenstehe. Diese Vorschrift bezwecke eine Steuervergünstigung. Sie würde sich jedoch bei der ihr vom Finanzamt gegebenen Auslegung verbösernd auswirken. Allerdings entspreche die Auffassung des Finanzamts dem Wortlaut der Vorschrift des § 43 EStDV. Es sei aber in der Rechtsprechung anerkannt, daß auch Entscheidungen gegen den Wortlaut des Gesetzes geboten sein könnten, wenn Sinn und Zweck einer Vorschrift dies erfordere. Die Bedeutung des § 43 EStDV liege darin, daß bestimmte Einkünfte der Ehefrau entgegen § 26 EStG bei der Zusammenveranlagung auszuscheiden seien und dadurch der Progression des Steuertarifs entzogen würden. Darüber hinaus würde auch ein doppelter steuerfreier Betrag der Besteuerung entzogen. Diese Vergünstigung allein entspreche dem Sinn und der wirtschaftlichen Bedeutung des § 43 EStDV. Durch diese steuerliche Begünstigung sollte im Jahr 1941 - bei Schaffung der Vorschrift - aus wehrpolitischen Gründen der Arbeitseinsatz der Ehefrauen gefördert werden. An der Tendenz der Begünstigung habe sich auch späterhin nichts geändert, wenngleich nunmehr soziale Gründe die Beibehaltung der Bestimmung veranlaßt haben mögen.

Im Streitfall würde die Anwendung der Vorschrift des § 43 EStDV entgegen ihrem Sinn und Zweck zu einer Benachteiligung des Stpfl. führen. Sie sei daher abzulehnen. Zu dem gleichen Ergebnis sei auch das Urteil des Finanzgerichts Karlsruhe vom 24. Juli 1953 (Der Betriebs-Berater 1953 S. 699) gekommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts ist unbegründet.

-I. - Das Finanzgericht hat zutreffend ausgeführt, daß die Vorschrift des § 43 EStDV 1952 dazu bestimmt sei, eine steuerliche Erleichterung gegenüber der die Progression erhöhenden Haushaltsbesteuerung des ß 26 EStG zu bieten. Dieser Sinn und Zweck des § 43 EStDV 1952 würde ins Gegenteil verkehrt, falls man die getrennte Besteuerung auch dann durchführen würde, wenn sie sich zum Nachteil der Steuerpflichtigen auswirkt. Das würde z. B. dann eintreten, wenn - wie im Streitfall - den Einkünften der Ehefrau aus nichtselbständiger Arbeit Verluste des Ehemanns gegenüberstehen, die ohne Zusammenveranlagung nicht ausgeglichen werden können. Von diesen Erwägungen ausgehend hat daher - worauf das Finanzgericht bereits hingewiesen hat - das Finanzgericht Karlsruhe in dem UrteilII 273/53 vom 24. Juli 1953 entschieden, daß § 43 EStDV nur zu Gunsten von Eheleuten anzuwenden ist. Ebenso haben sich auch die süddeutschen Finanzverwaltungen auf den Standpunkt gestellt, daß die Zusammenveranlagung von Eheleuten stets dann vorzunehmen ist, wenn sie zu einem günstigeren Gesamtergebnis führt (vgl. Steuerwarte 1953 S. 141).

Der Wortlaut des § 43 EStDV 1952 steht dieser Rechtsauffassung nicht entgegen. Wie der erkennende Senat in dem Urteil IV 561/53 U vom 2. September 1954 Slg. Bd. 59 S. 237, Bundessteuerblatt - BStBl - III S. 302) ausgeführt hat, ist in der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, der sich der Bundesfinanzhof angeschlossen hat, anerkannt, daß auch gegenüber einem an sich klaren Wortlaut eines Gesetzes dem Zweck und der wirtschaftlichen Bedeutung Geltung zu verschaffen sei, wenn diese erkennbar eine vom klaren Wortlaut abweichende Auslegung verlangen. Siehe auch das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/52 U vom 16. April 1953, Slg. Bd. 57 S. 427, BStBl 1953 III S. 166) sowie die hier aufgeführten weiteren Entscheidungen. Eine Auslegung entgegen dem klaren Wortlaut wird dann möglich sein, wenn der Gesetzgeber an gewisse Fälle nicht gedacht hat, wenn aber anzunehmen ist, daß er die dem Ergebnis der Auslegung entsprechende Regelung getroffen haben würde, falls sie ihm bekannt gewesen wäre. Ebenso wird dann eine Auslegung entgegen dem Wortlaut am Platz sein, wenn eine wörtliche Auslegung im Sinn des Gesetzes widerspricht. In einem solchen Fall ist es Aufgabe des Richters, den wirklichen Sinn des Gesetzes zu ermitteln und diesem gegenüber dem Wortlaut den Vorrang einzuräumen.

Das Finanzgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Verordnungsgeber bei der erstmaligen Einführung der Vorschrift im Jahr 1941 keine Veranlassung hatte, den Wortlaut anders zu fassen. Denn in diesem Zeitpunkt konnte § 43 EStDV nicht zu einer Verböserung führen, weil eine Erstattung bezahlter Lohnsteuern ohnehin ausgeschlossen war. Schließlich hat auch der Bundesminister der Finanzen der von dem erkennenden Senat vertretenen Auffassung Rechnung getragen, indem er in der EStDV 1953 dem § 43 einen zweiten Satz hinzugefügt hat, wonach die Ehegatten die Einbeziehung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Ehefrau in einem dem Ehemann fremden Betrieb in die Zusammenveranlagung bis zum Ablauf der Steuererklärungsfrist beantragen können.

-II. - Das Finanzgericht hat im Zuge der Zusammenveranlagung bei der Ermittlung des Einkommens sowohl für den Ehemann als auch für die Ehefrau bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit den Pauschbetrag für Werbungskosten abgesetzt.

Es ist hierbei der in den "Entscheidungen der Finanzgerichte", Jahrgang 1955, Urteile 42 und 194, sowie in dem Großkommentar zur Einkommensteuer von Hartmann-Böttcher (Anm. 7 b zu § 26 EStG) und in dem Kommentar von Littmann, Das Einkommensteuerrecht (4. Aufl. Anm. 2 zu §§ 26, 27 EStG), vertretenen Auffassung gefolgt.

Der Vorsteher des Finanzamts bekämpft diese Rechtsauffassung mit der Begründung, daß nach dem Willen des Verordnungsgebers mit den Einkünften, von denen gemäß § 14 EStDV die Pauschbeträge für Werbungskosten abzusetzen sind, im Fall der Haushaltsbesteuerung nicht die Einkünfte der einzelnen dem Haushalt angehörigen Personen gemeint seien. Es sei vielmehr hierunter die Summe der Einkünfte der einzelnen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft aus jeder der im Abs. 1 Ziff. 1 - 3 a. a. O. genannten Einkunftsarten zu verstehen.

Die Prüfung der Rechtsbeschwerde zu diesem Streitpunkt ergibt folgendes:

In dem Wortlaut des EStG und der Durchführungsverordnung kann die generelle Lösung der von dem Vorsteher des Finanzamts aufgeworfenen Streitfrage nicht gefunden werden. Der erkennende Senat ist in den von ihm entschiedenen Einzelfällen der von dem Vorsteher des Finanzamts vertretenen Auffassung dann nicht gefolgt, wenn sie zu offensichtlich unbilligen Ergebnissen führt. So hat er in dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 359/51 S vom 10. Oktober 1951 (Slg. Bd. 55 S. 493, BStBl III S. 201) ausgeführt, daß dann, wenn von zusammenzuveranlagenden Ehegatten jeder Ehegatte eine unter § 3 Ziff. 4 EStG 1949 fallende Rente oder mehrere solcher Renten bezieht, jedem der Ehegatten der Freibetrag von 600 DM zusteht.

Er hat ferner in dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 83/52 U vom 29. Mai 1952 (Slg. Bd. 56 S. 500, BStBl III S. 194) entschieden, daß die bei der Haushaltsbesteuerung vorgenommene Zusammenveranlagung der Einkünfte des Ehemannes aus freier Berufstätigkeit als Arzt und der Einkünfte der Ehefrau aus künstlerischer Tätigkeit als Graphikerin daran nichts ändert, daß die aus jeder der beiden Tätigkeiten erzielten Einkünfte solche aus hauptberuflich ausgeübter Tätigkeit des einzelnen Ehegatten bleiben. Vgl. hierzu auch die Ausführungen von Kaatz in der Finanz-Rundschau 1952 S. 187 und 307.

Auch in Fällen, in denen es sich um die Gewährung der Werbungskostenpauschale handelt, vermag der Senat der Auffassung des Vorstehers des Finanzamts nicht zu folgen. Wären im Streitfall der Ehefrau des Stpfl. an Stelle der Pauschale auf Grund von Einzelnachweisungen Werbungskosten zugebilligt worden, so dürfte kein Zweifel bestehen, daß diese auch bei einer Zusammenveranlagung in voller Höhe zu berücksichtigen wären. Im Lohnsteuerabzugsverfahren hat jeder Ehegatte die ihm gesetzlich zustehende Pauschale erhalten. Geht man davon aus, daß die Werbungskostenpauschale zur Abgeltung der tatsächlich entstandenen Werbungskosten dienen soll, dann würde es zu einem unbilligen und daher nicht zu vertretenden Ergebnis führen, wollte man der Ehefrau lediglich wegen der Haushaltsbesteuerung die ihr im Lohnsteuerabzugsverfahren zuerkannte Pauschale entziehen. Der Senat vertritt daher die Auffassung, daß der Anspruch des Stpfl. auf Gewährung der Werbungskostenpauschale sowohl für ihn selbst wie für seine Ehefrau berechtigt ist.

Hiernach war der Rechtsbeschwerde des Vorstehers auch in diesem Punkt der Erfolg zu versagen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408309

BStBl III 1955, 390

BFHE 1956, 495

BFHE 61, 495

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