Leitsatz (amtlich)

Wurde in den Jahren 1964 und 1965 aufgrund einer nach dem 9. Oktober 1962 beantragten Baugenehmigung ein Gebäude hergestellt, das außer Fabrikationszwecken auch Wohnzwecken dient, so kann die Steuervergünstigung des § 7 e EStG für dieses Gebäude nicht gewährt werden. Auch für denjenigen Gebäudeteil, der Fabrikationszwecken dient, kommt die Vergünstigung nicht in Betracht.

 

Normenkette

EStG § 7e; EStDV § 22 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für ein in den Streitjahren 1964 und 1965 hergestelltes Gebäude die Sonderabschreibung nach § 7 e EStG i. V. m. § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV in Anspruch nehmen können.

Die Kläger sind Eheleute. Sie wurden für die Streitjahre 1964 und 1965 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger, der aufgrund des Bundesvertriebenengesetzes vom 23. Oktober 1961 - BVFG - (BGBl I, 1882) zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen berechtigt war, betrieb ein Unternehmen zur Herstellung von Textilwaren. Am 16. April 1964 beantragte er die Baugenehmigung zur Erweiterung und Aufstockung einer Fertigungshalle sowie zum Einbau von Wohnräumen in den aufgestockten Gebäudeteil. Das Gebäude wurde in den Streitjahren 1964 und 1965 mit einem Kostenaufwand von insgesamt 328 545 DM hergestellt; auf den die Wohnung enthaltenden Gebäudeteil entfielen hiervon 128 545 DM.

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für die Streitjahre nahmen die Kläger für das Gebäude die Bewertungsfreiheit gemäß § 7 e EStG i. V. m. § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV in Anspruch. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) folgte den Angaben der Kläger in ihren Steuererklärungen und setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre zunächst unter Berücksichtigung der geltend gemachten Sonderabschreibung fest. Im Anschluß an eine im Jahre 1969 durchgeführte Betriebsprüfung stellte sich das FA unter Berufung auf § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV 1965 auf den Standpunkt eine Sonderabschreibung für ein Gebäude, das außer Lager- und Fabrikationszwecken auch noch Wohnzwecken dient, sei nur dann zu gewähren, wenn der Antrag auf Baugenehmigung vor dem 10. Oktober 1962 gestellt wurde. Demgemäß berichtigte das FA die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre. Die Berichtigung wurde auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt.

Die Einsprüche, mit denen sich die Kläger gegen den Wegfall der Sonderabschreibung wendeten, hatten keinen Erfolg. Auf die Klage hob das FG die berichtigenden Einkommensteuerbescheide und die Einspruchsentscheidungen auf. Zur Begründung seines Urteils führte das FG im wesentlichen aus: Dem Kläger stehe die Bewertungsfreiheit nach § 7 e EStG für das von ihm errichtete Gebäude zu. Die Voraussetzungen des in § 22 Abs. 3 Satz 1 und 2 EStDV normierten Vergünstigungstatbestandes seien bereits erfüllt gewesen, bevor die neue Regelung des § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV die Vergünstigung davon abhängig gemacht habe, daß die Baugenehmigung vor dem 10. Oktober 1962 beantragt wurde. Die Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 3 EStDV enthalte eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkungsanordnung; sie könne daher nicht beachtet werden.

Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung des § 7 e EStG sowie der §§ 22 Abs. 3 Satz 3 und 84 Abs. 6 EStDV. Es ist der Auffassung, daß die Vorschriften des § 22 Abs. 2 Satz 3 und des § 84 Abs. 6 EStDV keine rechtsunwirksamen Gesetzesänderungen enthielten, sondern lediglich klarstellende Bedeutung hätten.

Das FA hat keinen förmlichen Antrag gestellt.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie sind der Ansicht, die Revision sei unzulässig, weil kein Revisionsantrag gestellt worden sei; die Revision sei aber auch unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Revision ist zulässig, obwohl es an einem förmlichen Revisionsantrag fehlt.

Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO muß zwar die Revision oder die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten. Das Fehlen eines förmlichen Antrags ist jedoch dann unschädlich, wenn aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder der Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen ist, daß und inwieweit der Revisionskläger das Urteil anfechten und dessen Aufhebung beantragen will (Beschluß des BVerwG vom 8. November 1954 GrS 1/54, BVerwGE 1, 222; Urteil des BFH vom 26. Juli 1974 III R 94/73, BFHE 113, 164, 166, BStBl II 1974, 725, 726). Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Aus dem Vorbringen des FA ergibt sich eindeutig, daß es die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage begehrt.

2. In der Sache selbst ist dem FA insoweit beizupflichten, als es die unrichtige Anwendung des § 7 e EStG rügt. Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß die Voraussetzungen für die Steuervergünstigung nach § 7 e EStG vorgelegen haben.

a) Nach § 7 e EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung des StÄndG 1964 vom 16. November 1964 (BGBl I, 885, BStBl I 1964, 553) bzw. in der Fassung vom 10. Dezember 1965 (BGBl I, 1901, BStBl I 1965, 686) können Steuerpflichtige, die aufgrund des BVFG zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen berechtigt sind, ihre frühere Erwerbsgrundlage verloren haben und den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG oder nach § 5 EStG aufgrund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln bei Gebäuden, die im eigenen gewerblichen Betrieb unmittelbar der Fertigung oder der Bearbeitung von zum Absatz bestimmten Wirtschaftsgütern dienen, neben der nach § 7 EStG von den Herstellungskosten zu bemessenden AfA im Wirtschaftsjahr der Herstellung des Gebäudes und in dem darauffolgenden Wirtschaftsjahr bis zu je 10 v. H. der Herstellungskosten absetzen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht erfüllt.

Das von den Klägern hergestellte Gebäude dient nicht nur den im Gesetz genannten Fertigungszwecken, sondern ist darüber hinaus auch für Wohnzwecke bestimmt. Eine solche gemischte Nutzung zu Fertigungs- und Wohnzwecken steht der Gewährung der Vergünstigung entgegen.

Es ließe sich zwar die Auffassung vertreten, daß Gegenstand der in § 7 e EStG vorgesehenen Vergünstigung nicht unbedingt ein vollständiges Bauwerk sein müsse, sondern hierfür schon ein Gebäude t e i l genüge. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Sonderabschreibung nach § 7 e EStG würden in diesem Fall schon dann gegeben sein, wenn ein Gebäude t e i l den in § 7 e EStG vorgesehenen steuerbegünstigten Zwecken dienen würde. In einem entsprechenden Sinne legt der Große Senat des BFH den in § 7 Abs. 1 EStG verwendeten Begriff "Gebäude" aus (Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132); hiernach können im Rahmen der - die allgemeine Gebäudeabschreibung regelnden - Vorschrift des § 7 Abs. 1 EStG einzelne Gebäudeteile gesondert behandelt werden, sei es als notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen, sei es als notwendiges Privatvermögen, und zwar je nach dem Umfang, in dem das Gebäude eigen- oder fremdbetrieblich, zu Wohnzwecken durch Vermietung oder Eigengebrauch genutzt wird. Wenn Gebäudeteile in verschiedenen Nutzungs- und Funktionszusammenhängen stehen, ist es nach Auffassung des Großen Senats gerechtfertigt, diese Gebäudeteile als jeweils selbständige Wirtschaftsgüter anzusehen (vgl. Abschn. II 3 d des Beschlusses, BFHE 111, 252 f.).

Diese Auslegung kann dem Begriff "Gebäude" in § 7 e EStG indessen nicht zugrunde gelegt werden. Die Vorschrift gewährt Sonderabschreibungen nur für bestimmte Gebäudearten, wie sich schon aus der Überschrift des § 7 e EStG ergibt (BFH-Urteil vom 8. Dezember 1967 VI R 114/66, BFHE 91, 157, BStBl II 1968, 270). Wenn dort als Gegenstände der Bewertungsfreiheit nur "Fabrikgebäude, Lagerhäuser und landwirtschaftliche Betriebsgebäude" genannt sind, so wird damit zum Ausdruck gebracht, daß die Vergünstigung nur für Herstellungskosten gelten soll, die für Gebäude der genannten Art entstanden sind. Daß es sich um Gebäude handeln muß, die nur diesen Zwecken dienen, läßt sich auch aus § 7 e Abs. 1 Satz 3 EStG ableiten. Hiernach sollen die Wiederaufbaukosten für ein durch Kriegseinwirkung zerstörtes Gebäude nur dann steuerbegünstigt sein, wenn dieses Gebäude ohne den Wiederaufbau nicht oder nicht mehr voll zu einem der in Satz 1 bezeichneten Zwecke (Fertigung, Bearbeitung von zum Absatz bestimmten Wirtschaftsgütern usw.) verwendet werden kann. Die Forderung nach der Ausschließlichkeit der Nutzung zu den im Gesetz genannten Zwecken läßt sich ferner der Entstehungsgeschichte entnehmen (vgl. hierzu BFH-Bescheid vom 1. April 1952 und Urteil vom 1. Juli 1952 I 24/52 S, BFHE 56, 506, BStBl III 1952, 197). Im übrigen hätte es der Regelung des § 22 Abs. 3 EStDV, nach der gewisse Fälle einer gemischten Gebäudenutzung in den Anwendungsbereich des § 7 e EStG mit einbezogen werden sollen, gar nicht bedurft, wenn die dort genannten gemischtgenutzten Gebäude schon von vornherein durch die Vorschrift des § 7 e EStG begünstigt gewesen wären. In diesem Sinne hat auch der BFH die Vorschrift des § 7 e EStG ständig ausgelegt (vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 16. Mai 1957 VI 65/56 U, BFHE 64, 607, BStBl III 1957, 228; BFH-Bescheid vom 16. Dezember 1958 und Urteil vom 14. Juli 1959 I 126/58 U, BFHE 69, 425, BStBl III 1959, 420; BFH-Urteile VI R 114/66 und vom 20. Juni 1974 IV R 19/70, BFHE 113, 98, BStBl II 1974, 674).

Im Streitfall hat es an einer ausschließlichen Nutzung des vom Kläger erstellten Gebäudes zu Fertigungszwekken gefehlt. Die Kläger können deshalb ihr Begehren, für das von ihnen hergestellte Gebäude die Abschreibungsfreiheit zu erlangen, nicht auf § 7 e EStG stützen.

b) Die Kläger können sich zur Inanspruchnahme der Vergünstigung nach § 7 e EStG auch nicht auf § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV in seiner vor Inkrafttreten der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1965 geltenden Fassung vom 30. April 1962 (BGBl I, 293, BStBl I 1962, 551) berufen.

Diese Vorschrift sieht zwar vor, daß die Bewertungsfreiheit des § 7 e EStG bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen unter Umständen auch dann gewährt werden kann, wenn ein Teil des Gebäudes Wohnzwecken dient. Wie der erkennende Senat jedoch in seinem Urteil IV R 19/70 entschieden hat, ist die Vorschrift des § 22 Abs. 3 EStDV seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einschränkung des § 7 b EStG vom 16. Mai 1963 (BGBl I, 319, BStBl I 1963, 476) unwirksam geworden. Nach dem Gesetz vom 16. Mai 1963 sollten gewisse Gebäude, bei denen der Antrag auf Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 gestellt worden ist, nicht mehr nach § 7 b EStG begünstigt werden. Wie im Urteil IV R 19/70 näher ausgeführt, wurde mit dieser Änderung ein Teil der gesetzlichen Vorschriften aufgehoben, zu deren Durchführung § 22 Abs. 3 EStDV ergangen war. Daher stellte die in § 22 Abs. 3 EStDV enthaltene Regelung mit Inkrafttreten des Gesetzes vom 16. Mai 1963 keine "Durchführung" des Gesetzes mehr dar. Das hat zur Folge, daß die in § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV vorgesehenen Vergünstigungen außer Kraft getreten sind, sofern es sich nicht um Fälle handelte, in denen der Antrag auf Baugenehmigung bereits vor dem 10. Oktober 1962 gestellt worden war. Die in die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1965 eingefügte Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 3, nach der die Sätze 1 und 2 des § 22 Abs. 3 EStDV nur noch anzuwenden sind, wenn der Bauantrag vor dem 10. Oktober 1962 gestellt wurde, enthält insofern nur noch eine Klarstellung. - Das Vertrauen in den Fortbestand der in § 22 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStDV enthaltenen Regelung wird, wie der erkennende Senat in seinem Urteil IV R 19/70 ausführlich begründet hat, nicht geschützt. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das BFH-Urteil IV R 19/70 Bezug genommen.

3. Obschon damit feststeht, daß die Kläger keinen Anspruch auf die Sonderabschreibung nach § 7 e EStG geltend machen können, kann gleichwohl über die Sache noch nicht abschließend entschieden werden.

Wie sich aus den Feststellungen des FG ergibt, handelt es sich bei den angefochtenen Bescheiden um Berichtigungen, die das FA auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt hat. Die Frage, ob die Voraussetzungen für die Vornahme von Berichtigungsveranlagungen nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO vorgelegen haben, ist dabei vom FG nicht näher geprüft worden. Nach der der Vorentscheidung zugrunde gelegten Rechtsauffassung kam es hierauf auch nicht an, da das FG schon aus materiell-rechtlichen Erwägungen zu einer Aufhebung der angefochtenen Bescheide kam. Die Prüfung ist jedoch nunmehr nachzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71531

BStBl II 1975, 814

BFHE 1976, 352

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