Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Aussetzung des Verfahrens für den Fall, daß der Bundesfinanzhof eine Vorschrift (hier: § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG) für nichtig erachtet hat und deswegen eine Landesregierung beim Bundesverfassungsgericht die abstrakte Normenkontrolle beantragt hat.

 

Normenkette

FGO § 74; BVerfGG § 76 Nr. 2; GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Art. 100 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Bfin., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft. Sie wurde gemäß § 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 KVStG zur Gesellschaftsteuer herangezogen, nachdem der Kapitalanteil des Kommanditisten erhöht worden war. Das Finanzgericht (FG) hat das Verfahren über die Anfechtung dieses Bescheids ausgesetzt bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG auf Antrag der Bayerischen Staatsregierung (- 1 BvF 3/65 -).

 

Entscheidungsgründe

Die dagegen erhobene Beschwerde ist unbegründet. Das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses entspricht dem Beschluß des erkennenden Senats II S 2/66 vom 23. Februar 1966 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 86 S. 248 - BFH 86, 248, BStBl III 1966, 402). An der dort vertretenen Rechtsansicht hält der Senat fest.

Richtig ist zwar der Standpunkt der Beschwerde, daß grundsätzlich die Frage, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, für sich allein und als solche keinen Aussetzungsgrund bildet, wenn das angerufene Gericht selbst darüber entscheiden kann. Dem Regelfall gegenüber weist aber der vorliegende entscheidende Besonderheiten auf. Denn hier hat sich das im letzten Rechtszug zuständige Gericht nicht für, sondern gegen die Gültigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG entschieden (Urteil des Bundesfinanzhofs II 12/61 S vom 3. Dezember 1964, BFH 81, 55, BStBl III 1965, 19); eine Vorlage an das BVerfG (Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) scheidet aus, weil die Vorschrift vorkonstitutionellen Rechts ist. Haben somit auch die erkennenden Gerichte die volle Prüfungsbefugnis einschließlich der sogenannten Verwerfungskompetenz, so bleibt doch die Befugnis der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG genannten Verfassungsorgane, ihrerseits eine Entscheidung des BVerfG herbeizuführen, unberührt. § 76 Nr. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) eröffnet die abstrakte Normenkontrolle u. a. gerade dann, wenn ein Gericht einen (der Prüfung nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht zugänglichen) Rechtssatz als unvereinbar mit dem GG nicht angewendet hat. Ist ein solcher Antrag gestellt, so kann die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens durchaus gerechtfertigt sein. Keine Partei hat einen Anspruch darauf, endgültig zu obsiegen auf Grund einer Auffassung, die das BVerfG möglicherweise später mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) mißbilligen wird. Dieser Erfolg wäre endgültig, während es einem Steuerpflichtigen, der auf Grund eines verfassungswidrigen Gesetzes unterlegen ist, unbenommen bliebe, gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde zu erheben (§ 90 Abs. 1 BVerfGG).

Zu Unrecht wirft die Bfin. dem FG vor, es hätte sich vor seinem Beschlusse über die Begründung des Normenkontrollantrags unterrichten müssen. Denn es ist unerheblich, ob die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG notwendige Begründung überzeugt; ist der Antrag in zulässiger Weise gestellt und begründet worden, so hat das BVerfG von Amts wegen alle für und wider die Grundgesetzmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG sprechenden Gesichtspunkte zu prüfen.

Die Beschwerde der Klägerin war daher kostenfällig (§ 135 Abs. 2 FGO) als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412214

BStBl III 1966, 546

BFHE 1966, 504

BFHE 86, 504

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