Entscheidungsstichwort (Thema)

Streitwert einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen Pfändungsverfügung

 

Leitsatz (NV)

1. Die durch Art. 9 des 6. VwGOÄndG wiedereingeführte Festsetzung des Streitwerts lediglich "auf Antrag" des Beteiligten findet auf alle Verfahren Anwendung, die am 1. 1. 1997 anhängig waren.

2. Der Umstand, daß bereits der Kostenbeamte beim Kostenansatz einen Streitwert festgesetzt hat, steht dem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht nicht entgegen, selbst wenn dieser Antrag erst nach ca. elf Monaten nach rechtskräftigem Abschluß des Rechtsstreits gestellt wird.

3. Der Streitwert einer Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Pfändungsverfügung kann jedenfalls dann mit 50 v. H. des Streitwerts einer entsprechenden Anfechtungsklage angesetzt werden, wenn die Klage erst nach Erledigung des VA rechtshängig gemacht worden ist und die gepfändete Forderung voll werthaltig war.

 

Normenkette

AO 1977 § 309; GKG § 13 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1, 3, § 25 Abs. 2 S. 1 i.d.F. des Art. 9 des 6. VwGOÄndG § 73 Abs. 1

 

Tatbestand

Mit Beschluß vom 2. Januar 1997 hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG), mit dem das FG die Klage der Kläger auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von zwei Pfändungsverfügungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) (wegen Steuerforderungen in Höhe von insgesamt 47 989,71 DM) abgewiesen hatte, als unzulässig verworfen. Mit Kostenrechnung vom 25. Februar 1997 hat der Kostenbeamte des Bundesfinanzhofs (BFH), ausgehend von einem Streitwert von 23 994 DM, die von den Klägern zu zahlenden Gerichtskosten angefordert.

Mit am 6. Januar 1998 beim BFH per Telefax eingegangenen Schreiben beantragen die Kläger Streitwertfestsetzung durch das Gericht. Sie sind der Auffassung, der Streitwert für die erstinstanzliche Klage, die letztlich die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen das FA hätte ermöglichen sollen, müsse sich an ihrem Interesse auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügungen orientieren. Ihr potentieller Schaden sei allenfalls mit einem Betrag in Höhe von 2 000 DM anzusetzen. Dieser Wert sei auch für ihre Nichtzulassungsbeschwerde maßgeblich.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.

Gemäß §25 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. d. F. des Art. 9 des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) vom 1. November 1996 (BGBl I, 1626) setzt in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit das Prozeßgericht, sofern der Streitwert nicht bereits nach §24 GKG festgesetzt ist oder bindet, den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluß fest, wenn u. a. ein Beteiligter dies beantragt. Diese nach Art. 11 des 6. VwGOÄndG am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Neufassung der Verfahrensvorschrift des §25 Abs. 2 Satz 1 GKG ("Rückkehr" zu dem vor dem 1. Juli 1994 maßgeblichen Rechtszustand) kommt in dem am 2. Januar 1997 vom Senat entschiedenen Streitfall bereits zum Zuge, da Änderungen des Verfahrensrechts mangels ausdrücklicher besonderer Regelung grundsätzlich auf alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung anhängigen Rechtsstreitigkeiten anzuwenden sind. §73 Abs. 1 GKG, wonach die Kosten nach bisherigem Recht erhoben werden, wenn bei anhängigem Rechtsstreit bzw. nach Einlegung eines Rechtsmittels eine Gesetzesänderung eintritt, steht nicht entgegen, da sich diese Sondervorschrift ersichtlich nur auf die Kostenerhebung im eigentlichen Sinne bezieht (wozu als notwendiger Bestandteil auch die Streitwertfestsetzung gehört), aber bloß marginale Verfahrensmodalitäten, wie z. B. gerade die Verpflichtung des Gerichts zur Streitwertfestsetzung nach §25 Abs. 2 Satz 1 GKG, unberührt läßt (so auch FG Bremen, Beschluß vom 15. August 1994 294008K 5, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1994, 942, für die vorangegangene Rechtsänderung -- Einführung der Verpflichtung zur Streitwertfestsetzung durch das Gericht -- zum 1. Juli 1994). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des §25 Abs. 2 Satz 1 GKG sind vorliegend erfüllt.

Die Festsetzung des Streitwerts durch das Gericht setzt ferner, wie jeder Antrag bei Gericht, ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (BFH-Beschluß vom 11. Dezember 1974 I B 46/74, BFHE 115, 1, BStBl II 1975, 385). Ein Rechtsschutzbedürfnis ist jedenfalls dann gegeben, wenn sich die Höhe des Streitwerts nicht unmittelbar aus dem Klageantrag ermitteln läßt (BFH-Beschluß vom 10. März 1972 III B 28/70, BFHE 105, 89, BStBl II 1972, 492) und auch im übrigen eine feste und einheitliche Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Streitwertfrage nicht besteht (Senatsbeschluß vom 27. Januar 1994 VII S 36/93, BFH/NV 1994, 818). Davon ist bei der im Streitfall erhobenen Fortsetzungsfeststellungsklage, mit der die Feststellung der Rechtswidrigkeit von Pfändungsverfügungen begehrt wurde, auszugehen. Der Umstand, daß bereits der Kostenbeamte beim Kostenansatz (§4 Abs. 1, §11 Abs. 2 Satz 1 GKG) einen Streitwert festgesetzt hat, steht dem Rechtsschutzbedürfnis an einer Festsetzung durch das Gericht nicht entgegen (BFH-Beschlüsse vom 25. Juli 1978 VII R 69/76, BFHE 125, 353, BStBl II 1978, 599; vom 17. März 1982 VII S 104/81, BFHE 135, 172, BStBl II 1982, 328; vom 17. Oktober 1985 IV S 19/85, BFH/NV 1986, 631, sowie Senat in BFH/NV 1994, 818).

Der Antrag auf Streitwertfestsetzung kann auch nicht deshalb als unzulässig angesehen werden, weil er erst nach ca. elf Monaten nach rechtskräftigem Abschluß des Rechtsstreits (Ausfertigung des Beschlusses über die Nichtzulassungsbeschwerde und Absendung mit einfachem Brief am 6. Februar 1997) gestellt worden ist. Nach §25 Abs. 2 Satz 1 GKG besteht für den Antrag keine Befristung. Die erstmalige Festsetzung des Streitwerts durch den BFH als Prozeßgericht ist auch nach Ablauf der in §25 Abs. 1 Satz 3 GKG vorgesehenen Frist von sechs Monaten zulässig, denn diese Frist gilt nur, wenn ein vom Gericht festgesetzter Streitwert geändert werden soll (BFHE 125, 353, BStBl II 1978, 599).

2. Der Streitwert war, so wie er vom Kostenbeamten dem Kostenansatz auch zugrunde gelegt worden ist, auf 23 994 DM festzusetzen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH entspricht der Streitwert einer Nichtzulassungsbeschwerde dem voraussichtlichen vollen Streitwert des angestrebten Revisionsverfahrens, weil nur nach Zulassung der Revision die Möglichkeit besteht, die angestrebte Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils zu erreichen (Senatsbeschluß vom 14. September 1995 VII E 3/95, BFH/NV 1996, 244). Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung nunmehr in §14 Abs. 3 GKG i. d. F. des Art. 33 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c des Justizmitteilungsgesetzes vom 18. Juni 1997 (BGBl I, 1430, 1442) aufgenommen und bestätigt. Der Streitwert des angestrebten Revisionsverfahrens bestimmt sich wiederum regelmäßig nach den Anträgen des Rechtsmittelklägers (§14 Abs. 1 GKG). Wird Zulassung der Revision begehrt, ohne daß der Rechtsmittelführer erkennbar macht, daß er im künftigen Revisionsverfahren sein Klagebegehren nur noch eingeschränkt weiterverfolgen will, ist davon auszugehen, daß der Streitwert des angestrebten Revisionsverfahrens mit dem Streitwert des Klageverfahrens erster Instanz übereinstimmt (Senatsbeschluß vom 7. August 1989 VII S 20/89, BFH/NV 1990, 257, m. w. N.). Für eine Einschränkung des Revisionsbegehrens bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. Mithin ist der Streitwert des Klagebegehrens auch für die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger maßgebend.

Gemäß §13 Abs. 1 Satz 1 GKG ist der Streitwert in Klageverfahren vor dem FG, wenn ihm -- wie hier -- kein bezifferter Antrag zugrunde gelegt werden kann, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Senats ergibt sich, daß in Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Forderungspfändung der Streitwert im allgemeinen nach dem Betrag zu bemessen ist, zu dessen Beitreibung die Pfändung ausgebracht worden ist, also nach der Höhe der zu vollstreckenden Forderung. Führt die Vollstreckung allerdings hinsichtlich dieser Forderung nicht zum vollen Erfolg, erweist sich also der Wert der gepfändeten Forderung als niedriger, so ist der Streitwert lediglich nach dem tatsächlich erlangten finanziellen Erfolg der Pfändungsverfügung zu bemessen (Senatsurteil vom 18. Mai 1982 VII R 98/80, BFHE 136, 54, 57, BStBl II 1982, 576, m. w. N.; s. auch Senat, Beschluß vom 15. April 1987 VII S 2/87, BFH/NV 1988, 112, und Urteil vom 17. November 1987 VII R 68/85, BFH/NV 1988, 457).

Nach den Feststellungen des FG in dem angefochtenen Urteil waren die beiden Pfändungsverfügungen im Zeitpunkt der Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage durch die Kläger bereits aufgehoben. Dies wurde möglich, weil die Kläger zuvor die rückständige und von der einen Pfändungsverfügung erfaßte Lohnsteuer in Höhe von 8 751,31 DM an das FA bezahlt hatten und das FA hinsichtlich des restlichen Betrages der zu vollstreckenden Forderung nunmehr unter Anerkennung der von den Klägern angebotenen Forderungsabtretungen gegen eine dritte Person diesen die Stundung bewilligen konnte, weil es von einem anderen Finanzamt die Nachricht erhalten hatte, daß diese Person erhebliche Erstattungsansprüche gegen die Finanzkasse zu erwarten habe. Daraus ist zu folgern, daß das FA sowohl die Zahlung als auch die Forderungsabtretungen aufgrund der Pfändungen erlangt hat, die Pfändungsverfügungen sich mithin im Ergebnis als voll werthaltig erwiesen und daher nach Empfang dieser Leistungen wieder aufgehoben werden konnten. Die im Schrifttum erörterte Frage, wie der Streitwert zu bemessen sei, wenn die Pfändung, wie häufig, völlig erfolglos geblieben ist und das FA im Ergebnis gar nichts erlangt hat (vgl. Schall, Der Streitwert im Steuerprozeß, Deutsche Steuer-Zeitung 1993, 211, 213, mit Hinweis auf FG Rheinland- Pfalz, Beschluß vom 12. Dezember 1991 2 Ko 2115/91, nicht veröffentlicht: Auffangstreitwert des §13 Abs. 1 Satz 2 GKG), bedarf folglich hier keiner Entscheidung.

Aus dem Vortrag der Kläger zur Begründung ihres Antrags auf Streitwertfestsetzung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Insbesondere ist der angebliche potentielle Schaden in Höhe von allenfalls 2 000 DM, den die Kläger nach erfolgter Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügungen als Schadensersatzanspruch hätten geltend machen wollen, nicht belegt und deshalb nicht geeignet, ihn als Streitwert für die Klage anzusehen.

Hiernach wäre an sich der volle Wert der zu vollstreckenden Forderung in Höhe von 47 989 DM als Streitwert anzusetzen, da nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats dieser Wert nicht nur für eine Klage auf Anfechtung der Pfändungsverfügung anzusetzen ist, sondern auch für ein nach Aufhebung der Pfändungsverfügung auf die Feststellung von deren Rechtswidrigkeit gerichtetes Feststellungsbegehren (Senat in BFH/NV 1988, 457). Der Senat berücksichtigt indessen die neuere Entwicklung der Rechtsprechung zum Streitwert der Fortsetzungsfeststellungsklage, wonach der Streitwert einer solchen Klage mit 50 v. H. des Streitwerts einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage angesetzt wird (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. November 1984 IX 260/82, EFG 1985, 364; BFH-Beschluß vom 9. Juli 1996 I R 6/91, BFH/NV 1996, 927; s. auch Oestreich/Winter/Hellstab, Kommentar zum Gerichtskostengesetz, 1996, 6.2 "Fortsetzungsfeststellungsklage"). Der Senat schließt sich dieser Auffassung für den Fall an, daß die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Pfändungsverfügung -- wie im Streitfall -- erst nach Erledigung des Verwaltungsakts rechtshängig gemacht worden ist und die gepfändete Forderung voll werthaltig war. Im Streitfall war daher der Streitwert auf 50 v. H. von 47 989 DM, d. h. auf 23 994 DM, festzusetzen. Da der Kostenbeamte beim Kostenansatz zu demselben Ergebnis gekommen ist, kann es bei der Kostenrechnung vom 25. Februar 1997 verbleiben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 879

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