Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an Verfahrensmangel und grundsätzliche Bedeutung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erfordert keinen Hinweis des Gerichts, es werde bei seiner Entscheidung die Gesetzgebungsmaterialien zu einer Norm heranziehen, von deren Auslegung auch nach Auffassung der Beteiligten der Ausgang des Rechtsstreits abhängt.

2. Die behauptete Verfassungswidrigkeit einer Norm (hier: § 17 Abs. 5 MinöStDV) entbindet nicht von der Einhaltung der Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung.

3. Bei ausgelaufenem Recht ist es auch nicht von vornherein offenkundig, daß die Frage der Rechtsgültigkeit der Norm noch für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung ist und deswegen eine höchstrichterliche Entscheidung notwend

ig erscheint.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3; MinöStG § 8 Abs. 2 a.F.; MinöStG (i.d.F. des StÄndG 1992) § 8a Abs. 3; MinöStG 1993 § 3 Abs. 4; MinöStDV § 17 Abs. 5 a.F.

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) begehrte vor dem Finanzgericht (FG) im Wege der Klageänderung zuletzt die Feststellung, daß ihre dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt - HZA -) angemeldete Heizölverwendung in ortsfesten Verbrennungsmotoren und Gasturbinen zur Erzeugung von Strom und Wärme steuerbegünstigt zulässig sei. Diese Anmeldung bezog sich auf zwei Stromaggregate, die in einem auf einer Betonplatte erdverbunden verankerten Container fest eingebaut waren und zur Stromerzeugung beim Betrieb einer Asphaltmischanlage zur Herstellung von Asphaltmischgut für 2 1/2 Jahre oder länger an einer Autobahnstelle dienen sollten.

Das FG hat die für zulässig erachtete Feststellungsklage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die von der Klägerin betriebene Anlage sei nicht ortsfest i.S. von § 8 Abs. 2 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) i.V.m. § 17 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV), weil sie nicht dazu bestimmt gewesen sei, ihren Standort nicht nur vorübergehend beizubehalten. § 17 Abs. 5 MinöStDV schließe - im Einklang mit seiner Ermächtigungsgrundlage in § 15 Abs. 2 Nr. 2 MinöStG, der Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 2 MinöStG und der gesetzgeberischen Intention - es aus, die steuerbegünstigte Verwendung von Mineralöl in Stromerzeugungsanlagen zuzulassen, die auf Baustellen von vornherein nur vorübergehend betrieben werden sollen. Es verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz, wenn nach dem Willen des Gesetzgebers die Steuerbegünstigung nur Kraftwerken und kleinen stationären Stromerzeugungsanlagen, die etwa einen Betrieb oder Haushalt dauerhaft mit Strom versorgen, gewährt werde, nicht aber auch Anlagen auf Baustellen.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; das Vorbringen der Klägerin erfüllt nicht die Mindestanforderungen an die gesetzlich vorgeschriebene Begründung.

1. Bei der behaupteten Verletzung des Rechtes der Klägerin auf Gehör fehlt es bereits an einer schlüssigen Rüge des Verfahrensmangels. Dazu ist erforderlich, daß u.a. substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Beteiligte nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409, m.w.N.).

Die Klägerin trägt hierzu vor, das FG habe bei seiner Entscheidung eine angebliche Begründung des Gesetzgebers zu § 8 Abs. 2 MinöStG herangezogen, ohne dies vorher in der mündlichen Verhandlung anzukündigen. Daraus erhellt nicht, warum sich die Klägerin nicht zur Gesetzgebungsgeschichte dieser Vorschrift hat äußern können. Die Gesetzgebungsmaterialien gehören wie Literatur und Rechtsprechung zu den allgemein zugänglichen Quellen, auf die jeder Beteiligte zur optimalen Vorbereitung eines Rechtsstreits zurückgreifen kann. Hier einen Hinweis des Gerichts zu verlangen, daß es sich dieser Materialien - hier der Gesetzesbegründung - bei seiner Entscheidungsfindung bedienen wolle, würde die Anforderungen, die an einen fairen und rechtsstaatlichen Steuerprozeß zu stellen sind - zumal bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten -, überspannen. Dabei verkennt der Senat nicht, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör im Steuerprozeß auch den Anspruch umfaßt, sich zu den Rechtsfragen des Verfahrens vorher zu äußern, und daß das Urteil nicht auf rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden darf, die mit den Beteiligten im vorherigen Verfahren nicht erörtert worden sind, obwohl sie nahelagen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 119 Anm.10 m.w.N.). Darum geht es vorliegend aber nicht. Die vom FG zu entscheidende Frage der Auslegung des § 17 Abs. 5 MinöStDV lag klar zutage und wurde von der Klägerin von Beginn des Rechtsstreits an problematisiert. Von einer Überraschungsentscheidung kann daher keine Rede sein.

2. Auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht ausreichend dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

a) Die Klägerin hat nicht einmal eine Rechtsfrage klar und konkret aufgezeigt, der eine solche Bedeutung zukommen könnte. Die Behauptung, die Entscheidung des FG verstoße gegen Art. 80 GG und gegen tragende Grundsätze der Gesetzesauslegung, zielt auf eine Verletzung materiellen Rechts im Einzelfall ab, was allein die grundsätzliche Bedeutung nicht begründen kann.

Die gleichzeitig damit behauptete Verfassungswidrigkeit des § 17 Abs. 5 MinöStDV entbindet nicht von der Einhaltung der Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO (BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1987 V B 77/87, BFH/NV 1989, 27). Die hiernach erforderliche Darlegung muß zu erkennen geben, daß eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, im Hinblick auf weitere Streitfälle Rechtsklarheit zu schaffen, zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen oder die Rechtsfortbildung zu fördern (BFH-Beschluß vom 4. Februar 1987 III B 151/86, BFHE 148, 530, BStBl II 1987, 339). Es muß also erkennbar sein, daß über den konkreten Fall hinaus ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts besteht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm.7 m.w.N.).

Die Klägerin hat nicht dargelegt, daß diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind. Der Hinweis auf nicht näher bezeichnete abweichende FG-Entscheidungen genügt für sich allein nicht dem Darlegungserfordernis hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm.9).

b) Allerdings ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß von einer Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung dann abgesehen werden kann, wenn diese offenkundig ist und das Verlangen, konkrete Angaben zur Grundsätzlichkeit der Sache zu machen, eine unnötige Förmelei bedeutete (BFH-Beschluß vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725; vgl. dazu auch Schuhmann, Die Nichtzulassungsbeschwerde, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1992, 28, 30).

Im Streitfall ist die grundsätzliche Bedeutung jedoch nicht offenkundig; sie drängt sich nicht auf. Die Klägerin behauptet zwar die Verfassungswidrigkeit einer Norm des Steuerrechts. Daraus allein ergibt sich aber kein Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG auf Zulassung einer Grundsatzrevision (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 1991 2 BvR 1545/91, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 224; Beschluß in BFH/NV 1989, 27).

Im Streitfall ist auch zu berücksichtigen, daß es sich bei der angegriffenen Norm des § 17 Abs. 5 MinöStDV um inzwischen ausgelaufenes Recht handelt. Ihr Regelungsbereich, die Definition der Ortsfestigkeit einer Anlage, ist durch Art. 32 Nr. 3 des Steueränderungsgesetzes 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I, 297, 333) mit Wirkung ab 1. März 1992 in § 8a Abs. 3 MinöStG aufgenommen und dabei inhaltlich i.S. des finanzgerichtlichen Urteils präzisiert worden. Diese Vorschrift ist wiederum identisch mit dem seit 1. Januar 1993 geltenden § 3 Abs. 4 MinöStG i.d.F. des Art. 5 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150, 2185). Bei ausgelaufenem Recht ist es aber, anders als in BFHE 153, 378, BStBl II 1988, 725, nicht von vornherein offenkundig, daß die Frage der Rechtsgültigkeit einer Norm noch für eine Vielzahl von Steuerpflichtigen von erheblicher Bedeutung ist und deswegen eine höchstrichterliche Entscheidung notwendig erscheint. Unter diesen Umständen und auch deswegen, weil das FG mit dem Hinweis auf ausgelaufenes Recht ausdrücklich die Zulassung der Revision abgelehnt hat, wären von der Klägerin gerade besondere Ausführungen zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage zu erwarten und zu verlangen gewesen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm.12).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418986

BFH/NV 1993, 673

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