Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Vorabentscheidung vom 24.04.1985 - VII R 24/81

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist bei der Auslegung des GZT die Verkehrsauffassung zu berücksichtigen?

2. Zur Tarifierung von Jeanshosen (Vorlage an den EuGH).

 

Orientierungssatz

1. Bei der Auslegung des GZT könnte auf die Anschauungen des Verkehrs nur dann abgestellt werden, wenn und soweit sich aus den Vorschriften des GZT selbst unmittelbar oder durch Auslegung ergäbe, daß diese Anschauungen maßgeblich sein sollten (vgl. auch BFH-Urteil vom 3.7.1984 VII R 85/83 zu einem ähnlichen Problem). Der Senat neigt der Auffassung zu, daß im Rahmen der Auslegung des GZT der Verkehrsauffassung (Standpunkt der beteiligten Wirtschaftskreise) selbst dann keine eigenständige Bedeutung zukommt, wenn eine einheitliche Verkehrsauffassung im gesamten Gebiet der EWG besteht, um so viel weniger, wenn es sich nur um eine regionale Verkehrsauffassung handelt.

2. Dem EuGH wird folgende Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt: War der Gemeinsame Zolltarif am 23.12.1975 dahin auszulegen, daß Jeanshosen der klassischen Machart mit Vorderverschluß von links nach rechts als Oberkleidung für Männer der Tarifnr. 61.01 zuzuordnen waren?

 

Normenkette

GZT Tarifnr 61.01; GZT Tarifnr 61.02; GZT Kap 61 Vorschr. 3 Buchst. a; EWGVtr Art. 177 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 27.11.1980; Aktenzeichen IV 97/79 N)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte am 23.Dezember 1975 aus einem Drittland Jeanshosen der klassischen Machart ein, die sie als Damenjeans anmeldete. Für Damenjeans bestand im maßgebenden Zeitpunkt ein Zollkontingent, das Zollfreiheit vorsah. Das Zollamt (ZA) beließ die Ware zollfrei. Mit Bescheid vom 22.November 1977 erhob der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) Zoll in Höhe von 10 196,60 DM mit der Begründung nach, es handle sich bei den eingeführten Waren um Jeanshosen für Männer, die der Tarifnr. 61.01 GZT zuzuweisen seien.

Das Finanzgericht (FG) hob nach Vernehmung von Sachverständigen und Zeugen und Einholung von Gutachten den Änderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ersatzlos auf (Urteil vom 27.November 1980 IV 97/79 N, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1981, 211).

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung darüber, ob das HZA im angefochtenen Steuerbescheid den eingeführten Waren zu Recht die für Damenjeans im Rahmen eines Zollkontingents vorgesehene Zollfreiheit versagt hat, hängt davon ab, ob die eingeführten Waren der Tarifnr. 61.01 oder der Tarifnr. 61.02 GZT zuzuweisen sind. Der GZT enthält keine Bestimmung für die Begriffe dieser Tarifnummern. Mittelbar lassen sich dafür aber Anhaltspunkte aus der Vorschrift 3a zu Kap.61 GZT entnehmen. Danach unterscheidet sich Männer- von Frauenkleidung durch die "Erkennbarkeit". Diese Vorschrift setzt somit voraus, daß es objektive Unterscheidungsmerkmale für Männer- und Frauenkleidung gibt. Es stellt sich also die für die Auslegung und Anwendung des GZT grundsätzliche Frage, auf welche Weise die Kriterien in Fällen der vorliegenden Art gewonnen werden können.

1. Diese Kriterien sind nach Ansicht des erkennenden Senats in erster Linie dem GZT selbst zu entnehmen. Auf die Anschauungen des Verkehrs könnte nur dann abgestellt werden, wenn und soweit sich aus den Vorschriften des GZT selbst unmittelbar oder durch Auslegung ergäbe, daß diese Anschauungen maßgeblich sein sollten (vgl. auch Urteil des Senats vom 3.Juli 1984 VII R 85/83, BFHE 141, 385 zu einem ähnlichen Problem). Der Senat neigt --entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanz-- der Auffassung zu, daß im Rahmen der Auslegung des GZT der Verkehrsauffassung (Standpunkt der beteiligten Wirtschaftskreise) selbst dann keine eigenständige Bedeutung zukommt, wenn eine einheitliche Verkehrsauffassung im gesamten Gebiet der EWG besteht, um so viel weniger, wenn es sich nur um eine regionale Verkehrsauffassung handelt. Dafür spricht neben den Besonderheiten dieses Rechtsgebietes die praktische Schwierigkeit, diese Auffassung für die gesamte EWG festzustellen. Auch müßten bei innerhalb der EWG regional unterschiedlichen Verkehrsanschauungen entweder regional unterschiedliche Tarifierungen in Kauf genommen werden --was mit Sinn und Zweck des GZT nicht vereinbar wäre-- oder es müßten die unterschiedlichen Verkehrsauffassungen gewichtet und entsprechend der gewichtigsten Auffassung entschieden werden, was rechtlich und praktisch in den meisten Fällen zu erheblichen Schwierigkeiten führen würde. Folgt man dieser Überlegung, so hat die Vorinstanz zu Unrecht auf die Verkehrsauffassung abgestellt. Folgte man ihr nicht, so wäre der Senat an die Feststellungen des FG zur Verkehrsauffassung gebunden, da das HZA begründete Rügen dagegen nicht vorgetragen hat (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

2. Wenn die Auffassung zutrifft, daß der Inhalt der Begriffe "Oberkleidung für Männer", "Oberkleidung für Frauen" und "erkennbar" den Tarifnrn. 61.01 und 61.02 sowie der Vorschrift 3a zu Kap.61 GZT allein durch Auslegung zu entnehmen ist, stellt sich die weitere Frage, wie diese wenig aussagekräftigen Begriffe im Auslegungswege ausgefüllt werden können. Zur Ausfüllung kann zunächst auf die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (ErlNRZZ) zurückgegriffen werden, die nach ständiger Rechtsprechung des EuGH maßgebliche Erkenntnismittel sind. Ferner ist es nach Auffassung des vorlegenden Gerichts auch zulässig, sich für die Ausdeutung von Begriffen des GZT auf Handbücher und Kommentare sowie --in schwierigeren Fällen, in denen auf andere Weise keine Erkenntnisse gewonnen werden können-- auf Aussagen und Gutachten kundiger Personen zu stützen. In allen genannten Fällen dient dieser Rückgriff der Auslegung bestimmter Begriffe des GZT, also der Feststellung des Norminhalts, die erforderlich ist, um eine zutreffende Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die maßgebende Rechtsnorm zu ermöglichen. Die Feststellung des Norminhalts ist eine Rechtsfrage.

3. Aus den ErlNRZZ zur Tarifnr. 61.02 ergibt sich, daß z.B. Hosen Kleidungsstücke sind, die von Männern und Frauen gleichermaßen getragen zu werden pflegen, eine Unterscheidung "jedoch meistens möglich (ist) z.B. nach Schnitt, Anordnung der Knöpfe und Knopflöcher, ..., Vorhandensein von Besätzen oder Verzierungen". Das FG ging in Anwendung dieser Kriterien davon aus, daß bei Hosen allgemein die Anordnung des Vorderverschlusses von links nach rechts diese als Männerkleidung erkennen läßt. Die gleiche Auffassung ergibt sich wohl auch aus der Verordnung (EWG) Nr.2496/82 (VO Nr.2496/82) der Kommission vom 13.September 1982 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 267/11 vom 16.September 1982).

Es ist jedoch zu prüfen, ob bei der tariflichen Beurteilung der eingeführten Jeanshosen die Frage, ob diese als Männerkleidung erkennbar sind, allein durch einen Vergleich mit den typischen Merkmalen von "Herrenhosen" entschieden werden kann, oder ob --wie es das FG getan hat-- mit den typischen Merkmalen von einer Unterart der Hosen, nämlich von Jeanshosen, zu vergleichen ist. Das vorlegende Gericht neigt dieser letzten Auffassung insbesondere deswegen zu, weil offenbar das Merkmal der Anordnung des Vorderverschlusses wohl bei anderen Hosen als Jeanshosen als Zuordnungskriterium verwendbar ist, nicht aber bei dem "Unisex-Artikel" Jeanshose.

a) Stellt man mit dem FG auf einen Vergleich mit den typischen Merkmalen von Jeanshosen ab, so ermöglicht die Anordnung des Vorderverschlusses bei den eingeführten Jeanshosen keine Zuordnung der Ware zu Tarifnr. 61.01 GZT. Denn diese Anordnung war jedenfalls in dem im vorliegenden Fall maßgebenden Zeitpunkt kein Merkmal, an dem zu erkennen war, ob es sich um Männer- oder Frauenkleidung handelte. Das ergibt sich deutlich aus den Befragungen, die das FG ausgewertet hat und die nach der Art der Befragung (insbesondere Einbeziehung auch der großen Jeanshersteller in den USA) Gültigkeit für die gesamte EWG beanspruchen können. Da auch die Größenbezeichnungen kein Unterscheidungskriterium abgeben, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, müßten bei Zugrundelegung dieser Auffassung die eingeführten Waren nach der Regel der Vorschrift 3a zu Kap.61 GZT der Tarifnr. 61.02 zugeordnet werden. Die Klage hätte dann Erfolg.

b) Stellt man dagegen auf die typischen Merkmale von Hosen allgemein ab, so dürfte die vom Senat gestellte Frage zu bejahen sein. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht die VO Nr.2496/82, die "lange Hosen einschließlich Jeanshosen" betrifft, also zwischen Hosen allgemein und Jeanshosen keine Unterscheidung trifft. Diese Verordnung ist aber erst nach dem hier maßgebenden Zeitpunkt in Kraft getreten; sie ist daher für das vorlegende Gericht nicht verbindlich (vgl. EuGH-Entscheidung vom 28.März 1979 Rs.158/78, EuGHE 1979, 1103, 1122). Das schließt zwar nicht aus, diese Verordnung als maßgebliches Erkenntnismittel zu verwerten. Dem könnte aber entgegengehalten werden, daß die Verordnung in rechtlich unzulässiger Weise Hosen allgemein und Jeanshosen gleichbehandelt hat, obwohl in beiden Fällen unterschiedliche Kriterien für die Erkennbarkeit i.S. der Vorschrift 3a zu Kap.61 GZT vorliegen. Außerdem könnte der Verwertung der VO Nr.2496/82 entgegengehalten werden, daß auch die Auslegung von Begriffen des GZT einem zeitlichen Wandel unterworfen sein könne und bei den hier auszulegenden Begriffen ein solcher Wandel möglicherweise seit 1975 eingetreten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60680

BFHE 143, 481

BFHE 1985, 481

HFR 1985, 526-527 (ST)

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