Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist nicht gerechtfertigt, bei Prostituierten von der Erhebung von Einkommensteuervorauszahlungen, die sich auf ihre Steuerpflicht nach § 22 Nr. 3 EStG gründen, allgemein abzusehen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; EStG § 22 Nr. 3, § 35

 

Tatbestand

Die Stpfl., eine Prostituierte, hatte nach dem Einkommensteuerbescheid für 1964 ab 10. September 1966 Einkommensteuervorauszahlungen zu leisten. Auf ihren Antrag wurden die Vorauszahlungen am 10. Januar 1967 herabgesetzt. Gegen diese Festsetzung hat sie mit Schreiben vom 4. Februar 1967 "Einspruch" eingelegt. Das FA, das durch Verfügung vom 20. Oktober 1966 die Vollziehung des Steuerbescheides für 1964 auch hinsichtlich der am 10. September und 10. Dezember 1966 geschuldeten Vorauszahlungen antragsgemäß ausgesetzt hatte, widerrief diese Aussetzung hinsichtlich der beiden Vorauszahlungen durch Verfügung vom 11. Januar 1967. Auf Antrag der Stpfl. hat der Vorsitzende des Senats des FG Bremen die Vollziehung des Vorauszahlungsbescheids vom 10. Januar 1967 ausgesetzt, weil angesichts der unterschiedlichen Meinungen in Schrifttum und Rechtsprechung an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ernstliche Zweifel beständen.

Das FA hat gegen diesen Beschluß die Entscheidung des Senats angerufen, hatte damit aber keinen Erfolg. Unter Bezugnahme auf den Beschluß II S 23/66 vom 15. Juni 1966 (BFH 86, 316, BStBl III 1966, 467) war das FG der Auffassung, daß die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht in einem summarischen Verfahren ausgeschlossen werden könnten, denn wenn auch nach dem Urteil des Großen Senats Gr.S 1/64 S vom 23. Juni 1964 (BFH 80, 73, BStBl III 1964, 500), zu dem im Streitfall nicht Stellung genommen werde, die Steuerpflicht eines sittenwidrigen und möglicherweise sogar strafbaren Tuns aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung zu besteuern sei, so ergebe sich daraus nicht die Zulässigkeit der Festsetzung von Vorauszahlungen für die noch nicht abgeschlossenen Besteuerungszeiträume. Die Aufforderung zur Leistung von Vorauszahlungen enthalte zwar nicht gleichzeitig ein Gebot zur Fortsetzung des verwerflichen Tuns. Es stelle aber für die Stpfl. einen starken Druck in dieser Richtung dar. Der Staat mache sich durch die Festsetzung und Erhebung von Einkommensteuervorauszahlungen infolgedessen mittelbar zum Förderer der gewerbsmäßigen Unzucht. Es beständen deshalb im Streitfall erhebliche Bedenken gegen die Anforderung von Einkommensteuervorauszahlungen, so daß die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Vorauszahlungsfestsetzung gerechtfertigt sei.

Das FA hat gegen die Aussetzung der Vollziehung Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, daß nach dem Urteil Gr.S. 1/64 S (a. a. O.) ein Zweifel an der Einkommensteuerpflicht der Einkünfte aus "gewerbsmäßiger Unzucht" nach § 22 Nr. 3 EStG nicht mehr bestehen könne. Wenn die Veranlagung dieser Einkünfte zur Einkommensteuer rechtmäßig sei, müsse es auch die in § 35 EStG zwingend vorgeschriebene Festsetzung und Erhebung von Vorauszahlungen sein. Da die Stpfl. in einer "geschlossenen Straße" ihrem Beruf nachgehe, übe sie ihn erfahrungsgemäß nicht nur für kurze Zeit, sondern auf Jahre hinaus aus. Wenn sie jedoch ihren Beruf aufgeben wolle, würde ein kurzer Antrag an das FA zur Anpassung ihrer Vorauszahlungen an die veränderten Verhältnisse genügen. Es treffe daher nicht zu, daß der Staat durch die Festsetzung der Erhebung von Einkommensteuervorauszahlungen die Fortsetzung der Tätigkeit der Stpfl. fördere. Im übrigen dürfe nicht übersehen werden, daß ein Verzicht auf Vorauszahlungen bei Prostituierten gegenüber anderen Steuerpflichtigen eine nicht gerechtfertigte Bevorzugung bedeuten würde. Es werde daher beantragt, den Beschluß des Senats und den seines Vorsitzenden aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist begründet. Der Große Senat des BFH hat im Urteil Gr.S. 1/64 S (a. a. O.) entschieden, daß die Einnahmen aus "gewerbsmäßiger Unzucht" nach § 22 Nr. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen. Die Einwendungen der Stpfl. können im Rahmen dieses Rechtsstreits über die Aussetzung der Vollziehung einer Steueranforderung nicht geprüft werden, da dies dem summarischen Charakter des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens widersprechen würde (Beschluß des Senats VI S 2/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 602, BStBl III 1967, 256). Der von etwas anderen Grundsätzen ausgehende Beschluß II S 23/66 vom 15. Juni 1966 (a. a. O.), auf den sich das FG gestützt hat, ist nach dem Beschluß VI S 2/66 (a. a. O.) und dem ihm entsprechenden Beschluß III B 9/66 vom 10. Februar 1967 (BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182) überholt.

Bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde ist nach dem Urteil Gr.S. 1/64 S (a. a. O.) von der Steuerpflicht der Einnahmen der Stpfl. auszugehen. Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3 FGO an der Richtigkeit der Festsetzung und der Erhebung der Vorauszahlungen vermögen die Ausführungen der Stpfl. nicht zu begründen. Das FA weist in seiner Beschwerde mit Recht darauf hin, daß es abwegig ist, anzunehmen, die Stpfl. werde durch die Einkommensteuervorauszahlungen zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit veranlaßt; denn sie kann beim Fortfall dieser Einnahmen jederzeit die Herabsetzung oder die Aufhebung der Steuerzahlungen verlangen. Umgekehrt würde die Nichterhebung von Vorauszahlungen gegen § 35 EStG verstoßen und wäre im Hinblick auf andere Steuerpflichtige auch nicht mit Art. 3 GG zu vereinbaren. Gegen die Höhe der festgesetzten Vorauszahlungen hat die Stpfl. keine substantiierten Einwendungen erhoben.

Da das FG demnach zu Unrecht die Vollziehung der Vorauszahlungsfestsetzung vom 10. Januar 1967 ausgesetzt hat, war der angefochtene Beschluß ebenso aufzuheben wie die ihm vorausgegangene Aussetzung durch den Vorsitzenden des Senats.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412648

BStBl III 1967, 659

BFHE 1967, 257

BFHE 89, 257

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