Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes

 

Leitsatz (NV)

1. Für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung kommt es nicht darauf an, ob die noch ausstehende Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die Vollstreckung i.S. des § 258 AO 1977 unbillig macht.

2. Die Ankündigung gesetzlich zulässiger Vollstreckungsmaßnahmen allein ist keine drohende Gewalt i.S. des § 114 Abs. 1 FGO.

 

Normenkette

FGO § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; ZPO § 920 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt in den beim Finanzgericht (FG) anhängigen Hauptsacheverfahren Erlaß bzw. Stundung von Einkommensteuer und Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids. Einen Antrag auf Vollstreckungsaufschub im Wege der einstweiligen Anordnung, mit dem er u.a. geltend machte, die Verfahren wegen Stundung und Aussetzung der Vollziehung verlören ihren Sinn, wenn der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) bereits Vollstreckungsmaßnahmen vornehme, lehnte das FG mit der Begründung ab, der Antragsteller habe noch nicht einmal die Behauptung aufgestellt, daß eine Gefährdung seiner wirtschaftlichen und persönlichen Existenz gegeben sei, vielmehr lediglich vorgetragen, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Darlegung einer solchen wesentlichen Benachteiligung nicht erforderten.

Der Antragsteller macht geltend, die Verfahren der Aussetzung der Vollziehung bzw. der Stundung führten notwendig zum Vollstreckungsaufschub; bei einer Vollstreckung vor dem rechtskräftigen Abschluß dieser rechtlich zulässigen Verfahren würde diesen nämlich die Grundlage entzogen; außerdem sei es offenbar, daß eine unrechtmäßig erfolgende Vollstreckung den Tatbestand der drohenden Gewalt erfülle.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die begehrte Anordnung zu erlassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat den Antrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das FG auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Regelung kann auch in der Anordnung bestehen, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß der Antragsteller den im Hauptsacheverfahren geltend gemachten oder geltend zu machenden Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft macht (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung).

Im Streitfall soll der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung lediglich dazu dienen, eine vorläufige gerichtliche Entscheidung über die beim FG beantragte Aussetzung der Vollziehung zu erlangen. Denn der Antragsteller will die Unbilligkeit der Vollstreckung gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO 1977), die einen Anordnungsanspruch begründen kann, allein daraus entnommen wissen, daß über seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht entschieden ist, und er begehrt den Erlaß der einstweiligen Anordnung nur bis zum Zeitpunkt des Ergehens einer gerichtlichen Entscheidung über seinen Aussetzungsantrag. Es erscheint zweifelhaft, ob damit überhaupt ein eigenständiger, gegen die Vollstreckung als solche gerichteter Anspruch (§ 258 AO 1977) geltend gemacht wird. Die Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, denn der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund weder bezeichnet noch ihn glaubhaft gemacht.

§ 114 Abs. 1 Satz2 FGO räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer Regelungsanordnung ein. Die in dieser Vorschrift ausdrücklich genannten Gründe (wesentliche Nachteile und drohende Gewalt) setzen Maßstäbe auch für die anderen Gründe im Sinne der genannten Bestimmung. Andere Gründe rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind, wie wesentliche Nachteile oder drohende Gewalt. Sie müssen so schwerwiegend sein, daß sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen. Dies ist nur der Fall, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -; vgl. Beschlüsse vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, 432, BStBl II 1984, 492, 494; vom 7. August 1990 VII B 70/90, BFH/NV 1991, 255, und vom 22. Januar 1991 VII B 191/90, BFH/NV 1991, 693). Dem Antragsteller müßten daher Nachteile drohen, die über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausreichen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, 27, BStBl II 1982, 307, 309).

Der Antragsteller hat nicht vorgetragen und auch nicht glaubhaft gemacht, ob und inwieweit ein solcher Nachteil droht. Der Umstand allein, daß über den Aussetzungsantrag gerichtlich noch nicht entschieden ist, bedeutet keinen wesentlichen Nachteil oder anderen Grund i.S. des § 114 Abs. 1 FGO. Wegen dieser besonderen Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung kommt es nicht darauf an, ob die noch ausstehende Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die Vollstreckung i.S. des § 258 AO 1977 unbillig macht (vgl. Beschluß des Senats vom 6. Mai 1986 VII B 10/86, BFH/NV 1987, 96, 98). Andererseits ergibt sich aus den besonderen Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zugleich, daß in der Ankündigung von gesetzlich zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Vollstreckungsschuldner allein keine drohende Gewalt i.S. des § 114 Abs. 1 FGO liegt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 323

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