Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen Krankheit des Vollstreckungsschuldners

 

Leitsatz (NV)

Eine einstweilige Einstellung oder Aufhebung der Zwangsvollstreckung wegen Krankheit des Vollstreckungsschuldners ist nur in Ausnahmefällen geboten. Sie kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn das FA nur Sicherungsmaßnahmen ergriffen hat und weitere Vollstreckungsmaßnahmen gegenwärtig nicht zu erwarten sind.

 

Normenkette

FGO §§ 114, 142 Abs. 1; AO 1977 § 258; ZPO §§ 765a, 920 Abs. 2, § 114

 

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist unbegründet.

1. Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 ZPO wird einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem Antragsteller ist die beantragte PKH zu versagen, weil seine beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet. Es ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung davon auszugehen, daß das FG dem Antragsteller den begehrten einstweiligen Rechtsschutz gegen die gegen ihn eingeleitete Vollstreckung zu Recht versagt hat.

2. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung - hier zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) - setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Wird im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach der AO 1977 als vorläufiger Rechtsschutz durch ein FG die Verpflichtung der Behörde zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme verlangt, so kommt als Rechtsgrundlage für den Anordnungsanspruch die nach § 258 AO 1977 in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung in Betracht (Beschluß des Senats vom 4. November 1986 VII B 108/86, BFH/NV 1987, 555, 556 m. w. N.). Unter welchen Voraussetzungen dieser vorläufige Rechtsschutz durch ein Gericht erlangt werden kann, ist, da der Anordnungsanspruch eine behördliche Ermessensentscheidung betrifft, umstritten (vgl. Beschluß des Senats vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587). Auch unter Berücksichtigung der für den Antragsteller günstigsten Auffassung, daß das Gericht befugt sei, die einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (Interimsermessen) zu treffen, ist die einstweilige Anordnung im Streitfall zu versagen; denn in Anwendung dieses Ermessens gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß die beantragte Anordnung nicht gerechtfertigt ist, weil es bereits an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs fehlt.

a) Voraussetzung für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 258 AO 1977 ist, daß im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist. Die Unbilligkeit der Vollstreckung folgt nicht daraus, daß die Steuerbescheide, auf denen die vollstreckbaren Forderungen beruhen, angefochten sind und über sie noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Die Verwaltung ist grundsätzlich berechtigt, auch aus noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheiden zu vollstrecken, soweit - wie im Streitfall - ihre Vollziehung nicht ausgesetzt ist (§ 251 Abs. 1 AO 1977). Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt sind außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen (§ 256 AO 1977), so daß das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, soweit es die Rechtmäßigkeit der Verlustzuweisung und den Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977) betrifft, im vorliegenden Verfahren keine Berücksichtigung finden kann.

b) Auch der Umstand, daß über den Antrag des Antragstellers, ihm die Steuerschulden aus Billigkeitsgründen zu erlassen (§ 227 AO 1977), von der Verwaltung noch nicht entschieden worden ist, macht deren Vollstreckung nicht unbillig i. S. des § 258 AO 1977. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, könnten Vollstreckungsmaßnahmen des FA vor endgültiger Entscheidung über den Erlaßantrag allenfalls dann als unbillig angesehen werden, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit dem beantragten Erlaß zu rechnen wäre (Senat in BFH/NV 1987, 555, 556 mit Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BFH). Zur Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit genügt im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung eine summarische Abschätzung der Erfolgsaussichten des Erlaßbegehrens. Nach den Gesamtumständen ist es aber nicht wahrscheinlich, daß der Antragsteller mit seinem Erlaßantrag Erfolg haben wird; er hat keine Tatsachen vorgetragen, die eine Ablehnung des Erlaßantrags durch die Verwaltung als ermessensfehlerhaft erscheinen ließen.

Wie aus der Beschwerdeentscheidung der OFD und dem Vorbringen des FA ersichtlich ist, ist über den Erlaßantrag deshalb noch nicht entschieden worden, weil mangels Mitwirkung des Antragstellers dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht umfassend geklärt werden konnten. Insbesondere hat der Antragsteller keine Erklärung darüber abgegeben, aus welchen Gründen er Eigentümergrundschulden, die er . . . an seinem Grundvermögen bestellen ließ, noch im selben Jahr, als die Vollstreckung bereits drohte, an nahe Angehörige (Sohn, Schwester) abgetreten hat. Der Antragsteller hat sich auch im vorliegenden Verfahren zu diesem Sachverhalt, der auf anfechtbare Rechtshandlungen nach dem Anfechtungsgesetz hindeutet, nicht geäußert. Sein Hinweis auf den schlechten Gesundheitszustand vermag im Hinblick auf seine Fähigkeit, sogar den vorliegenden Rechtsstreit selbst zu führen, nicht zu erklären, warum er die vorstehend angeführte Anfrage des FA nicht beantwortet hat. Da das FA offenbar den beantragten Erlaß jedenfalls auch von den Vermögensverhältnissen des Antragstellers abhängig machen will, kann nach den bisher bekannten Umständen mit einer positiven Entscheidung nicht gerechnet werden.

c) Der Antragsteller gibt als wesentlichen Grund für seinen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung seinen schlechten Gesundheitszustand an, der durch die durchgeführten und weiter bevorstehenden Vollstreckungsmaßnahmen des FA bis hin zur drohenden Lebensgefahr erheblich beeinträchtigt sein soll. Hierzu hat das BVerfG entschieden, daß das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltene verfassungsrechtliche Gebot zum Schutze des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit auch im Vollstreckungsschutzverfahren nach § 765 a ZPO zu beachten ist. Das kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, daß bei Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall wesentlich schwerer wiegen als die Gläubigerinteressen, so daß die Vollstreckung auch für einen längeren Zeitraum einzustellen ist (BVerfGE 52, 214). Es kann dahinstehen, ob die Vollstreckungsschutzregelung des § 765 a ZPO, die dem Vollstreckungsgericht die Möglichkeit gibt, Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben, zu untersagen oder einstweilen einzustellen, wenn sie wegen ganz besonderer Umstände eine mit den guten Sitten nicht vereinbarende Härte bedeuten, im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach der AO 1977 unmittelbare Anwendung findet, oder ob diese Bestimmung und die dazu ergangene Rechtsprechung bei der Anwendung und Auslegung des § 258 AO 1977 zu berücksichtigen sind. Im Streitfall führt die Abwägung der Grundrechte des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit mit den Gläubigerinteressen des FA auch bei Anwendung der vom BVerfG herausgestellten Grundsätze nicht zu dem Ergebnis, daß die streitigen Vollstreckungsmaßnahmen - nach § 765 a ZPO oder § 258 AO 1977 - aufzuheben, zu untersagen oder einzustellen wären. Maßnahmen, die die vom Antragsteller angeführten Gefahren für seine Gesundheit und sein Leben auszulösen geeignet wären, liegen nicht vor und sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erwarten.

Nach dem vorgelegten fachärztlichen Gutachten lassen die beim Antragsteller diagnostizierten Erkrankungen keine körperlichen und geistigen Belastungen mehr zu. Der Antragsteller sieht solche Belastungen, die eine erhebliche Gefährdung seiner Gesundheit und seines Lebens darstellen könnten, in Vollstreckungsmaßnahmen, zu deren Abwendung oder Vermeidung er sich insbesondere mit geistigen Mitteln (Verhandlungen mit dem FA, Rechtsbehelfe) zur Wehr setzen müßte. Das FA hat aber bisher mit der Eintragung von Zwangshypotheken nur Sicherungsmaßnahmen gegen den Antragsteller ergriffen. Diese bereits . . . ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen hat der Antragsteller gesundheitlich verkraftet; das von ihm vorgelegte ärztliche Gutachten trägt das Datum . . . und bezieht sich auf künftige Belastungen. Eine körperliche oder geistige Belastung des Antragstellers durch die eingetragenen Sicherungshypotheken, die seinen Gesundheitszustand weiterhin ernstlich beeinträchtigen könnte, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller muß im Hinblick auf die wegen der Höhe der Steuerschulden . . . erheblichen Sicherungsinteressen des FA die Eintragung der Zwangshypotheken als eine Beeinträchtigung, die üblicherweise mit derartigen Vollstreckungsmaßnahmen verbunden ist und die ihn im Vergleich zu anderen, gesunden Vollstreckungsschuldnern nicht übermäßig belastet, hinnehmen. Das gilt auch im Hinblick darauf, daß jede Belastung eines Grundstücks mit einer Zwangshypothek dessen Verwertung im Wege des freihändigen Verkaufs behindert, die im übrigen wiederum mit Arbeit und Belastungen für den Antragsteller als Eigentümer verbunden wäre. Die angebliche Überbelastung der Grundstücke kann wegen der dafür fehlenden näheren Angaben im Verfahren wegen Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht berücksichtigt werden. Der Antragsteller hat somit keinen (Anordnungs-) Anspruch darauf, daß die Vollstreckungsmaßnahmen im Wege der einstweiligen Anordnung aufgehoben und das FA verpflichtet wird, ihm für die eingetragenen Zwangshypotheken Löschungsbewilligungen zu erteilen.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Antragstellers weitere Vollstreckungshandlungen des FA, wie insbesondere der Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung (§ 322 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 AO 1977, § 15 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung) zur Verwertung der Zwangshypotheken, zulässig wären und ob im Hinblick auf derartige Maßnahmen die Vollstreckung - wie beantragt - einstweilen einzustellen wäre. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, daß eine Versteigerung der mit den Sicherungshypotheken belasteten Grundstücke droht. Das FA hat in seiner Stellungnahme zur Beschwerde betont, daß bisher nur sichernde Maßnahmen durchgeführt worden sind, und in der Beschwerdeentscheidung der OFD wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das FA auf den ärztlich bescheinigten schlechten Gesundheitszustand des Antragstellers Rücksicht genommen und deshalb von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen Abstand genommen hat. Das FA hat damit die wesentliche Begründung des Antragstellers für seinen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bereits von sich aus beachtet. Es ist gegenwärtig nicht zu erwarten, daß das FA in absehbarer Zeit diese Betrachtung aufgeben und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Antragsteller einleiten wird, die eine schwerwiegende Belastung und damit eine erhebliche Gefährdung seines Lebens und seiner Gesundheit darstellen könnten. Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Gericht ist somit nicht geboten.

Da die Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes keine Aussicht auf Erfolg hat, war der für dieses Rechtsmittel gestellte PKH-Antrag des Antragstellers abzulehnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417967

BFH/NV 1992, 317

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