Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtliches Gehör; sachliche Unbilligkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen

 

Leitsatz (NV)

1. Ist in der mündlichen Verhandlung vor dem FG der wesentliche Inhalt der Akten vorgetragen worden (§ 92 Abs. 2 FGO), kann sich in der Regel ein Beteiligter nicht darauf berufen, er habe sich zu dem dem Urteil zugrundeliegenden Akteninhalt nicht äußern können.

2. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist sachlich unbillig, wenn den Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung wegen Überschuldung nicht möglich ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415).

 

Normenkette

FGO § 92 Abs. 2, § 96 Abs. 2; AO 1977 § 227

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Gründe

Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Dagegen liegt der Entscheidung des Finanzgerichts (FG) -- ohne daß dies ausdrücklich ausgesprochen ist -- die vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. März 1984 I R 44/80 (BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415) abweichende Auffassung zugrunde, für den Erlaß von Säumniszuschlägen gälten dieselben Grundsätze wie für den der Steuerschuld.

1. Verletzung rechtlichen Gehörs

Das Gebot des rechtlichen Gehörs verlangt nicht, daß das FG dem Steuerpflichtigen mitteilt, welche Steuerakten ihm vorliegen und welche Teile aus diesen Akten es voraussichtlich verwerten wird (BFH-Urteil vom 10. Januar 1968 I R 47/66, BFHE 91, 338, BStBl II 1968, 349; Senatsurteil vom 27. Februar 1992 IV R 129/90, BFHE 168, 11, BStBl II 1992, 841; BFH-Beschluß vom 23. November 1994 X B 23/94, BFH/NV 1995, 625).

Zudem hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht dargelegt, zu welchen vom FG verwerteten Tatsachen er sich nicht habe äußern können. Ausweislich des Terminprotokolls vom 28. November 1995 hat die Berichterstatterin den wesentlichen Inhalt der Akten vorgetragen. Der Prozeß bevollmächtigte des Klägers hätte im Anschluß daran konkrete Einwendungen und Erläuterungen vorbringen und ggf. Ver tagung zum Zwecke der Akteneinsicht beantragen können. Das Überreichen eines am Vortag verfaßten Schriftsatzes, in dem die Nichtgewährung von Akteneinsicht "vorsorglich" gerügt worden war, genügte hierzu nicht, zumal Akteneinsicht nicht beantragt worden war. Vom Vorliegen der Steuerakten mußte der Prozeßbevollmächtigte gemäß § 71 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgehen.

2. Übergehen von Beweisanträgen

Das Übergehen von Beweisanträgen führt nur dann zur Zulassung der Revision, wenn das FG-Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Dabei kommt es auf die Rechtsansicht des FG an (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 34, m. w. N.).

Nach der Rechtsansicht des FG kam es nicht darauf an, ob der Kläger im Zeitpunkt der Fälligkeit zahlungsunfähig und überschuldet war. Wie sich aus der Bezugnahme auf den BFH-Beschluß vom 12. Juli 1989 X B 111/88 (BFH/NV 1990, 213) ergibt, ging es vielmehr davon aus, daß der Kläger infolge seiner Vermögenslosigkeit von einem Erlaß ohnehin nicht profitieren würde und daß zudem auch die künftigen Verdienstmöglichkeiten des Klägers eine maßgebliche Rolle spielten. Deswegen hielt es -- wie bereits die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion -- Angaben über die Höhe der Einkünfte und der nicht steuerlich bedingten Schulden für erforderlich. Hierzu hatte der Kläger keine Angaben gemacht, geschweige denn Beweis angetreten.

Die Frage der Erlaßwürdigkeit hat das FG nicht für entscheidungserheblich gehalten, sondern darauf hingewiesen, daß es hierauf wegen Fehlens der Erlaßbedürftigkeit nicht mehr ankomme. Die diesbezüglichen Verfahrensrügen können bereits deswegen keinen Erfolg haben.

3. Divergenz vom BFH-Urteil in BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415

Wie bereits ausgeführt, liegt dem FG-Urteil die Auffassung zugrunde, es komme nicht darauf an, ob der Kläger im Zeitpunkt der Fälligkeit zahlungsunfähig und überschuldet war. Demgegenüber hat der BFH im Urteil in BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415 ausgesprochen, daß die Erhebung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig ist, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung eines Druckes zur Zahlung ihren Sinn verliert. Damit beruht das FG- Urteil konkludent auf einem von dem Divergenzurteil abweichenden Rechtssatz.

Von einer Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abge sehen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 829

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