Entscheidungsstichwort (Thema)

Divergenzrüge; abweichender Rechtssatz des FG

 

Leitsatz (NV)

1. Eine schlüssige Divergenzrüge liegt nicht vor, wenn lediglich gerügt wird, das FG habe Tatsachen und Beweismittel fehlerhaft gewürdigt und sei solchermaßen zu einem Sachverhalt gelangt, auf den der angeführte Rechtssatz des BFH nicht mehr zutreffe.

2. Der Beschwerdeführer gibt keinen abstrakten Rechtssatz der Vorinstanz wieder, wenn er Aussagen des FG mit eigenen Aussagen verbindet.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) deckte in den Jahren 1983 bis 1987 ihren Fremdkapitalbedarf über Wechsel. Dabei schaltete sie die zum selben Konzern gehörende Schwestergesellschaft in der Schweiz, die X-S.A., ein. Diese erstellte in der Schweiz undatierte Eigenwechsel, die auch im Ausland zahlbar waren, und übersandte sie gegen eine geringe Provision der Klägerin. Die Klägerin versah die Wechsel mit Ausstellungs- und Fälligkeitsdaten, um sie bei Bedarf an Banken abzugeben. Die diskontierenden Banken wurden ermächtigt, bei Fälligkeit der Wechsel die Wechselsumme der Klägerin zu belasten.

Im Gegenzug erstellte die Klägerin für jeden Eigenwechsel der X-S.A. ihrerseits einen unvollständigen Eigenwechsel über die jeweils gleiche Wechselsumme, auf dem der Ort der Ausstellung (Inland), die Klägerin als Ausstellerin sowie die X-S.A. als Remittent vermerkt waren. Angaben zum Tag der Ausstellung, zur Fälligkeit und zum Zahlungsort fehlten. Diese Wechsel übersandte die Klägerin der X-S.A. in die Schweiz. Dort wurden sie während der Laufzeit der an die Klägerin ausgehändigten Wechsel verwahrt und nach deren Einlösung zu Lasten der Klägerin ausnahmslos an diese zurückgeschickt. Auf den zurückgeschickten Wechseln waren in Bleistift oder Kugelschreiber das Ausstellungsdatum und die Fälligkeit eingetragen; außerdem waren sie über die gesamte Fläche durchgestrichen. Die Berichte der Abschlußprüfer der X-S.A. wiesen wegen der selbst erstellten Wechsel Eventualverbindlichkeiten aus, denen bezüglich der von der Klägerin stammenden Wechsel "Eventualforderungen an Dritte" gegenübergestellt waren.

Die Gesamtsumme der Gegenwechsel der Klägerin belief sich in den Jahren 1983 bis 1986 auf ... DM und in 1987 auf ... DM. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) ist der Ansicht, mit der Übersendung dieser Wechsel an die X-S.A. sei der Tatbestand des §1 Nr. 3 i. V. m. §4 Abs. 2 des Wechselsteuergesetzes (WStG) erfüllt, und setzte durch zwei Bescheide vom 20. Februar 1989 Wechselsteuer in Höhe von ... DM bzw. ... DM fest.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage und trug vor, es fehle an einer Aushändigung der Wechsel. Außerdem sei mit der X-S.A. vereinbart gewesen, von den Wechseln keinen Gebrauch zu machen und sie nicht zu vervollständigen. Dazu legte sie eine eidesstattliche Versicherung ihres früheren Finanzvorstandes vor, der bestätigte, es sei vereinbart gewesen, die Wechsel unter keinen Umständen in Umlauf zu geben. Die X-S.A. ihrerseits bestätigte schriftlich, die Wechsel ausschließlich zu Verwahrungszwecken erhalten zu haben. Demgemäß hätten die Wechsel -- so die Klägerin -- der X- S.A. nicht als Sicherheit, sondern lediglich zu bilanzpolitischen Zwecken gedient. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hielt die Vermutung des §4 Abs. 2 WStG durch die eidesstattliche Versicherung des früheren Finanzvorstandes sowie die schriftliche Äußerung der X-S.A. für widerlegt und verneinte ebenfalls die Aushändigung der Wechsel.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht das FA geltend, die Vorentscheidung weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Mai 1974 II R 91/66 (BFHE 112, 308, BStBl II 1974, 499) ab. Das FG habe angenommen, die Voraussetzungen des §4 Abs. 2 Satz 1 und 2 WStG seien nicht erfüllt bzw. die Vermutung des §4 Abs. 2 WStG widerlegt, weil die X- S.A. nicht berechtigt gewesen sei, die unvollständigen Wechsel zu vervollständigen. Demgegenüber habe der BFH in dem genannten Urteil ausgeführt, eine bloße Besteuerung, die Wechsel nicht vervollständigt und weitergegeben zu haben, reiche nicht aus, um die Vermutung des §4 Abs. 2 WStG zu widerlegen.

Darüber hinaus habe der BFH ausgeführt, daß auch in der sicherungsweise erfolgten Hingabe unvollständiger Wechsel eine Aushändigung i. S. des §1 Nr. 3 WStG zu sehen sei. Demgegenüber habe das FG angenommen, die streitbefangenen Wechsel seien nicht ausgehändigt worden, obwohl es sich bei ihnen um Sicherheitswechsel gehandelt habe. Unter Berücksichtigung der wechselsteuerrechtlichen Ausführungen des BFH in dem genannten Urteil hätte das FG daher die Klage abweisen müssen.

Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des §115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

1. Eine schlüssige Divergenzrüge setzt voraus, daß der Beschwerdeführer einen abstrakten Rechtssatz aus der Vorentscheidung benennt, der mit einem ebenfalls abstrakten Rechtssatz aus der angeblichen Divergenzentscheidung des BFH nicht übereinstimmt (so BFH-Beschlüsse vom 11. August 1993 II B 37/93, BFH/NV 1994, 251, sowie vom 22. Februar 1995 III B 153/94, BFH/NV 1995, 1069). Diesen Anforderungen ist nicht genügt, wenn der Vorinstanz lediglich entgegengehalten wird, sie habe Tatsachen und Beweismittel fehlerhaft gewürdigt und sei solchermaßen zu einem Sachverhalt gelangt, auf den der abstrakte Rechtssatz aus der genannten Entscheidung des BFH nicht mehr zutreffe.

2. Im Streitfall läuft die Beschwerde des FA lediglich auf eine derartige Rüge fehlerhafter Tatsachen- und Beweiswürdigung hinaus. Das FA entnimmt der Entscheidung des BFH (BFHE 112, 308, BStBl II 1974, 499) zwei abstrakte Rechtssätze, nämlich:

a) Die Vermutung des §4 Abs. 2 Satz 2 WStG, wonach bei als Wechsel bezeichneten, aber als solche unvollständigen Urkunden zu vermuten sei, daß sie vervollständigt werden dürfen, sei nicht widerlegt durch die bloße Behauptung, die unvollständigen Wechsel seien nie vervollständigt, unterzeichnet oder weitergegeben worden. (Damit sei nicht das Fehlen einer derartigen Vereinbarung erwiesen, sondern nur dargetan, eine rechtliche Möglichkeit nicht genutzt zu haben.)

b) Die Hingabe unvollständiger Wechsel als Sicherheit sei auch dann eine Aushändigung i. S. des §1 Nr. 3 WStG, wenn die Wechsel nicht vervollständigt und diskontiert worden seien.

Dem hat das FA jedoch keine davon abweichenden abstrakten Rechtssätze der Vorinstanz gegenübergestellt. Statt dessen hat es nur bemängelt, daß das FG im Streitfall eine Vereinbarung mit der X-S.A. über den Ausschluß der Vervollständigung und Weitergabe der Wechsel als erwiesen angesehen und nicht bloß eine Beteuerung angenommen habe, daß beides stets unterlassen worden sei. Damit hat es jedoch lediglich die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG angegriffen, nicht aber einen abweichenden abstrakten Rechtssatz benannt. Der Umstand, daß das FA in diesem Zusammenhang die von der Klägerin erstellten Papiere als Sicherheitswechsel bezeichnet, ändert daran nichts. Dabei handelt es sich um die Beurteilung des FA, nicht aber des FG. Das FG ist aufgrund seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung -- ob zutreffend oder nicht, kann auf sich beruhen -- zu dem Ergebnis gelangt, die Papiere seien keine Sicherheitswechsel gewesen, weil Vervollständigung und Weitergabe vertraglich ausgeschlossen waren. Das FA gibt folglich keinen abstrakten Rechtssatz der Vorinstanz wieder, wenn es Aussagen des FG mit seiner eigenen Auffassung vom rechtlichen Charakter der Papiere verknüpft. Auf Sicherheitswechsel sind die Aussagen des FG ausdrücklich nicht bezogen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1507

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