Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung; Divergenz

 

Leitsatz (NV)

1. In der Rechtsprechung ist geklärt, daß im Rahmen eines Antrages auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Klagefrist lediglich die rechtzeitige Absendung des nicht fristgerecht eingegangenen Schriftstückes glaubhaft zu machen ist, nicht hingegen weitere, in der Sphäre des Gerichts liegende Umstände.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung müssen der Tatsachenvortrag und die Glaubhaftmachung eine Grundlage dafür bieten, daß nicht nur die fristgerechte Be arbeitung, sondern auch die rechtzeitige Absendung des Schriftstückes als überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung hängen im übrigen von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 2 S. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3; ZPO § 294 Abs. 1

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

1. Die Beschwerde legt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dar (§ 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Eine durch den Bundesfinanzhof (BFH) geklärte Rechtsfrage ist regelmäßig nicht mehr klärungsbedürftig und kann somit keine grundsätzliche Bedeutung haben (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625).

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer Klagefrist bejaht, wenn die fristgerecht abgesandte Klage- oder Rechtsmittelschrift nicht oder verspätet bei Gericht eingegangen war. Insoweit wird in ständiger Rechtsprechung ein Tatsachenvortrag und die entsprechende Glaubhaftmachung verlangt, die dafür eine Grundlage bieten müssen, daß nicht nur die fristgerechte Bearbeitung, sondern auch die rechtzeitige Absendung des Schriftstücks als überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist (vgl. BFH- Beschlüsse vom 10. März 1994 IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813, 814 m. w. N.; vom 9. März 1993 VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616, 617; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644; vom 22. Juni 1992 IV R 125/91, BFH/NV 1994, 553; vom 24. September 1991 XI R 38/88, BFH/NV 1992, 258; vom 27. März 1986 I R 189/85, BFH/NV 1987, 720; vom 20. Juli 1983 II R 211/81, BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681, 682). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung hängen im übrigen von den Umständen des einzelnen Falles ab (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1989 X R 76/88, BFH/NV 1990, 648). In der Rechtsprechung ist mithin geklärt, daß lediglich die rechtzeitige Absendung des Schriftstückes glaubhaft zu machen ist, nicht hingegen weitere, in der Sphäre des Gerichtes liegende Umstände.

Ausnahmsweise kann abweichend von der oben genannten Regel einer Rechtsfrage dann (wieder) eine grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte in der Rechtsprechung oder in der Literatur vorgetragen worden sind, die der BFH noch nicht geprüft hat. In diesem Fall hat die Beschwerde jedoch in der Begründung schlüssig und substantiiert darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser (schon entschiedenen) Rechtsfrage umstritten und inwiefern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden ist. Dazu ist erforderlich, daß ausgehend von der Rechtsprechung des BFH in der Beschwerdeschrift dargelegt wird, welche neuen gewichtigen rechtlichen Gesichtspunkte zu der aufgezeigten Rechts frage in welcher Entscheidung der Finanzgerichte (FG) und/oder der Literatur vorgetragen werden, die bislang vom BFH noch nicht geprüft worden sein sollen (vgl. BFH- Beschluß vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht durch bloße Hinweise auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs -- BGH -- (BGH-Beschluß vom 25. Oktober 1979 III ZB 13/79, Ver sicherungsrecht -- VersR -- 1980, 90; Urteil des BGH vom 5. Dezember 1980 I ZR 51/80, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1981, 1673), zu denen die Rechtsprechung des BFH offensichtlich nicht im Widerspruch steht. Sollte das FG die höchstrichterlich entwickelten Rechtsgrundsätze hingegen im konkreten Fall unzutreffend angewendet haben, so wird allein dadurch keine grundsätzliche Bedeutung dargelegt (vgl. BFH-Beschluß vom 13. Mai 1992 II B 131/91, BFH/NV 1992, 762 m. w. N.). Möglicherweise zu hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung oder eine insoweit unzutreffende Beweiswürdigung würden eine Verletzung materiellen Rechts darstellen (BFH-Beschluß vom 11. Februar 1991 V B 13/89, BFH/NV 1992, 668, 669).

Die Frage, zu wessen Lasten die Unaufklärbarkeit verwaltungsinterner Vorgänge geht, stellt sich im übrigen angesichts der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht, weil Darlegung und Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung genügen.

2. Die Beschwerde legt ebensowenig eine Divergenz dar (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 3 FGO).

Zwar zitiert die Beschwerde als Divergenzentscheidungen die BFH-Urteile vom 10. Juli 1974 I R 223/70 (BFHE 113, 209, BStBl II 1974, 736) und in BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681 sowie den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Mai 1991 2 BvR 215/90 (NJW 1991, 2076).

Indessen fehlt es bereits an der erforderlichen Gegenüberstellung zweier voneinander abweichender, tragender abstrakter Rechtssätze. Die Behauptung unrichtiger Rechtsanwendung im Einzelfall genügt zur Darlegung einer Divergenz nicht (BFH- Beschluß vom 21. Juni 1993 IX B 5/93, BFH/NV 1994, 381).

Das FG hat überdies in Übereinstimmung mit den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgeführt, der Tatsachenvortrag müsse eine Grundlage dafür bieten, daß die rechtzeitige Klageerhebung überwiegend wahrscheinlich sei.

Schließlich betreffen die angeführten Divergenzentscheidungen andere Sachverhalte (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Januar 1993 X B 14/92, BFH/NV 1993, 667, 669 zum sog. "mitentschiedenen" Sachverhalt). In BFHE 113, 209, 217, BStBl II 1974, 736 geht es um die Glaubhaftmachung des Versehens eines Angestellten der Poststelle des Finanzamts. Hinsichtlich der Anforderungen an die Glaubhaftmachung formuliert der I. Senat in dieser Entscheidung zwar, es müsse ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit sprechen. Der I. Senat meint hiermit allerdings kein minderes Maß an Wahrscheinlichkeit, sondern entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit" (vgl. BFH/NV 1987, 720). Die weitere Entscheidung in BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681, 682 betrifft die Frage der Glaubhaftmachung rechtzeitiger Absendung, verlangt indessen für deren Glaubhaftmachung ebenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. In dem vom BVerfG (NJW 1991, 2076) entschiedenen Fall war die Frage des tatsächlichen rechtzeitigen Zugangs der Berufungsbegründungsschrift an sich unstreitig; es war zu entscheiden, ob eine verzögerte Entgegennahme eines tatsächlich fristgerecht in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangten Schriftsatzes zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden gehen darf. Dies hat das BVerfG verneint.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420667

BFH/NV 1995, 1069

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