Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung; Prozeßkostenhilfe; Beiordnung eines Steuerberaters

 

Leitsatz (NV)

1. Wird die Beschwerdefrist versäumt, weil die Beschwerdeschrift, die bei normalem Postlauf auch unter Berücksichtigung der gewählten Übermittlungsart am folgenden Werktag (27. 12.) hätte eintreffen müssen, erst 3 Tage später (30. 12.) eingeht, ist dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2. Die rückwirkende Beiordnung eines Steuerberaters ist nur möglich, wenn für den Steuerpflichtigen bereits ein Prozeßbevollmächtigter tätig geworden ist.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 142 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) wurde in den Streitjahren 1986 und 1988 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt.

Entsprechend den Angaben in seiner Einkommensteuererklärung für 1986 erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) am 10. Mai 1988 einen unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) stehenden Einkommensteuerbescheid. Im Anschluß an eine Außenprüfung änderte das FA den Bescheid nach § 164 Abs. 2 AO 1977 und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf (Einkommensteuerbescheid vom 28. Oktober 1988).

Mit Schreiben vom 5. April 1990 beantragte der Antragsteller die Aufhebung dieses Bescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 mit der Begründung, er habe entgegen seinen Angaben in der Steuererklärung keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sondern Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Das FA lehnte die Aufhebung des Bescheides unter Hinweis darauf ab, dem Bescheid lägen hinsichtlich der Qualifizierung der Einkünfte die eigenen Angaben des Antragstellers in der Einkommensteuererklärung zugrunde. Über die vom FA als Einspruch behandelte ,,Beschwerde" ist noch nicht entschieden.

In der im November 1989 abgegebenen Einkommensteuererklärung für 1988 erklärte der Antragsteller zunächst Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Einnahmen bezifferte er mit . . . DM. Als Werbungskosten machte er Reisekosten (abzüglich Erstattungen des Arbeitgebers) in Höhe von . . . DM geltend. Bei den Einkünften der Ehefrau des Klägers wurden als Werbungskosten die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für . . . Tage / . . . km geltend gemacht. Mit Schreiben vom 28. Februar 1990 erläuterte er, seine Tätigkeit erfülle weder die Merkmale einer freiberuflichen noch einer gewerblichen Tätigkeit; es handle sich um Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Das FA folgte im Einkommensteuerbescheid vom 16. Mai 1990 den Angaben des Antragstellers.

Mit dem Einspruch machte der Antragsteller folgende Aufwendungen geltend:

- für seine Person Aufwendungen für Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für . . . Tage / . . . km

- die Reisekosten seien mit einem um . . . DM höheren Betrag anzusetzen

- es sei die Abwesenheit von mehr als 12 Stunden für . . . Tage zu berücksichtigen

- die auf Umsatzsteuerrückstände gezahlten Säumniszuschläge seien zu berücksichtigen

- die im Jahr 1988 gezahlte Umsatzsteuer von insgesamt . . . DM sei abzuziehen

- Kreditzinsen für Steuerschulden in Höhe von . . . DM seien als Werbungskosten abzuziehen

- Prämien in Höhe von . . . DM für Aussteuer- und Ausbildungsversicherungen seien als Sonderausgaben abziehbar.

Gleichzeitig beantragte er die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für 1988.

Einer Aufforderung des FA, eine Bestätigung des Arbeitgebers über die arbeitstäglichen Fahrten, die Dienstreisen, die lohnsteuerliche Behandlung der Bezüge im Folgejahr 1989 sowie die Verträge für die geltend gemachten Versicherungsbeiträge vorzulegen, kam der Antragsteller nicht nach. Das FA lehnte danach den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab (3. Juli 1990). Hiergegen erhob der Antragsteller Beschwerde.

Mit Schreiben vom 6. August 1990 legte er die angeforderte Bescheinigung des Arbeitgebers vor und wandte sich im übrigen gegen die Auffassung des FA, Kreditzinsen für Steuerschulden seien nach § 12 EStG nicht abziehbar.

Am 20. August 1990 beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1986 und 1988.

Auf eine Anfrage des FA, eine Aufstellung sämtlicher Sonderausgaben, der Kreditzinsen nach der Veranlassung und ein Fahrtenbuch oder einen sonstigen Nachweis über die gefahrenen Kilometer sowie über den geltend gemachten Verpflegungsmehraufwand vorzulegen, reichte der Antragsteller im Dezember 1990 eine Aufstellung der gesamten Sonderausgaben ein.

Am 19. Juni 1991 beantragte der Antragsteller, ihm für das Aussetzungsverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu bewilligen und ihm einen Steuerberater beizuordnen. Dem Antrag war eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt.

Mit Verfügung vom 6. November 1991 setzte das FA die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1988 in Höhe von . . . DM aus. Es berücksichtigte dabei folgende Aufwendungen:

- Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wie beantragt mit . . . DM

- Erhöhung der Verpflegungsmehraufwendungen bei Dienstreisen wie beantragt mit . . . DM

- Verpflegungsmehraufwand bei Dienstgängen . . . mit . . . DM

- Erhöhung beschränkt abziehbarer Sonderausgaben laut Aufstellung des Antragstellers mit . . . DM.

Den Antrag auf PKH wies das FG mangels hinreichender Erfolgsaussicht als unbegründet ab. Der Beschluß wurde dem Antragsteller ausweislich der Postzustellungsurkunde am 13. Dezember 1991 zugestellt.

Hiergegen richtet sich die vorliegende, am 30. Dezember 1991 beim FG eingegangene Beschwerde. Auf einen Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats, daß die Beschwerdefrist am 27. Dezember 1991 abgelaufen und die Beschwerde deshalb verspätet beim FG eingegangen ist, beantragte der Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO (Schreiben vom 30. Januar 1992). Er habe die Beschwerde ausweislich des beiligenden Einlieferungsscheins als Einschreiben am 24. Dezember 1991 um 11 Uhr zur Post gegeben, nachdem ihm der Postbedienstete versichert habe, der Brief werde nach Ablauf der beiden Weihnachtsfeiertage zugestellt werden. Eine telegraphische oder per Telefax bei der Bundespost bewirkte Einlegung hätte wegen der Weihnachtsfeiertage nicht früher durchgeführt werden können, weil der 24. Dezember dienstfrei sei. Dieser Auskunft habe er vertrauen können, nachdem ein am 20. August 1991 um 18 Uhr mit Einschreiben zur Post gegebenes Schreiben an das FG - wie aus den beigelegten Unterlagen ersichtlich - bereits am 21. August beim FG eingegangen sei. Er habe die Verspätung deshalb nicht verschuldet.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Beschwerde ist zulässig.

1. Die Beschwerdefrist (§ 129 Abs. 1 FGO) gegen den ausweislich der Postzustellungsurkunde am 13. Dezember 1991 zugestellten Beschluß des FG ist am 27. Dezember 1991 abgelaufen. Die erst am 30. Dezember 1991 beim FG eingegangene Beschwerde ist danach verspätet eingelegt.

2. Dem Antragsteller war für die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO). Denn der Antragsteller hat die Beschwerdefrist ohne Verschulden versäumt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - (vgl. z. B. Beschlüsse vom 5. Februar 1980 2 BvR 914/79, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1980, 203; vom 4. Mai 1977 2 BvR 616/75, BVerfGE 44, 302) können Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung, die der Rechtsmittelführer nicht zu vertreten hat, nicht als dessen Verschulden gewertet werden. In seiner Verantwortung liegt nur, das zu befördernde Schriftstück den postalischen Bestimmungen entsprechend und so rechtzeitig zur Post zu geben, daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Bundespost bei regelmäßigem Dienstablauf den Empfänger fristgerecht erreicht (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. April 1987 IX R 100/83, BFH/NV 1988, 26).

Der Antragsteller hat durch Vorlage des Einlieferungsscheins glaubhaft gemacht, daß die Beschwerdeschrift am 24. Dezember 1991 vormittags in X zur Post gegeben wurde. Er durfte - auch unter Berücksichtigung der gewählten Übermittlungsart (Einschreiben) - davon ausgehen, daß bei regelmäßigem Betriebsablauf die Sendung am nächsten dem Aufgabetag folgenden Werktag in Z zugestellt würde. Zum Nachweis dafür, daß der mitgeteilte Aufgabezeitpunkt bei den für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten ausreicht, daß der Brief am nächsten Tag in Z zugestellt werden konnte, hat er zwar keine Auskunft des Aufgabepostamtes vorgelegt. Durch Vorlage des Einlieferungsscheins für einen anderen an das FG in derselben Sache gerichteten Schriftsatz und die Eingangsbestätigung des FG ist aber glaubhaft gemacht, daß ein abends mit Einschreiben zur Post gegebener Brief in Z üblicherweise am folgenden (Werk-)Tag zugestellt wird. Der Senat hält hiernach den Vortrag des Prozeßbevollmächtigten für glaubhaft, er habe von dem die Einschreibesendung aufnehmenden Postbediensteten die Auskunft erhalten, der vor 12 Uhr aufgegebene Brief werde am nächsten Werktag in Z zugestellt werden.

II. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 142 FGO i. V. m. §§ 114 Satz 1 und 121 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann PKH sowie die beantragte Beiordnung eines Steuerberaters nur gewährt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das FG hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu Recht verneint.

1. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1986 hat schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil dieser Bescheid nicht angefochten (vgl. § 361 Abs. 1 AO 1977) worden und deshalb bestandskräftig ist.

Da der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz für seinen Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1986 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 begehrt, ist sein Antrag sinngemäß auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) gerichtet. Auch insoweit hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Zur Begründung des behaupteten Anspruchs auf Änderung des Bescheides (des Anordnungsanspruchs) nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 macht der Antragsteller geltend, bei den vom FA im Einkommensteuerbescheid als gewerbliche Einkünfte behandelten Einkünften handle es sich um solche aus nichtselbständiger Tätigkeit.

Einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO 1977 - auch einer Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 - z. B. BFH-Urteil vom 29. Januar 1987 IV R 96/85, BFHE 149, 201, BStBl II 1987, 410) steht § 173 Abs. 2 AO 1977 entgegen. Nach dieser Bestimmung können Steuerbescheide, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.

Der nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderte Einkommensteuerbescheid 1986 vom 28. Oktober 1988 ist aufgrund der im Juli 1988 beim Antragsteller durchgeführten Außenprüfung (Prüfungsanordnung vom 24. Juni 1988, betreffend u. a. Einkommensteuer 1984 bis 1986, Umsatz- und Gewerbesteuer 1984 bis 1986) ergangen; daß der Änderungsbescheid, dem die Ergebnisse der Außenprüfung zugrunde liegen, nicht ausdrücklich auf die Auswertung der Prüfungsergebnisse hinweist, ist unerheblich (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1989 III R 158/85, BFHE 159, 120, BStBl II 1990, 283). Im übrigen lägen bereits die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 nicht vor. Der Antragsteller hat selbst - wie auch in den Vorjahren - seine Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb erklärt und noch in der Schlußbesprechung im Anschluß an die Außenprüfung, an der er zusammen mit seinem Steuerberater teilgenommen hat, hiergegen keine Einwendungen erhoben. Das nachträgliche Bekanntwerden der Tatsachen, die nach Auffassung des Antragstellers für ein Arbeitsverhältnis sprechen, beruht danach auf eigenem groben Verschulden, während nicht erkennbar ist, welchen Anlaß das FA zur weiteren Sachverhaltsermittlung hätte haben können.

2. Auch hinsichtlich des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1988 hat die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

a) Soweit das FA keine Aussetzung der Vollziehung gewährt hat (betrifft behauptete Umsatzsteuerzahlungen, Säumniszuschläge für Umsatzsteuerrückstände und Kreditzinsen für Steuerschulden), hat die Rechtsverfolgung bei summarischer Prüfung schon deshalb keinen Erfolg, weil nach einem Aktenvermerk des FA der Antragsteller im Streitjahr zur Tilgung weder von Umsatzsteuer noch von Säumniszuschlägen auf rückständige Umsatzsteuer Zahlungen geleistet hat, und Kreditzinsen für Einkommensteuer ebenso wie die Einkommensteuer selbst zu den nichtabziehbaren Ausgaben (§ 12 Nr. 3 EStG) zählen.

b) Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nur in Betracht, wenn gerade die Vollziehung vor Unanfechtbarkeit des Bescheides unbillig wäre (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, 319, BStBl II 1968, 538). Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen, wonach dem Antragsteller über die Bezahlung der Steuer hinaus wirtschaftliche Nachteile drohen würden.

c) Hinsichtlich der übrigen geltend gemachten Aufwendungen hat das FA mit Bescheid vom 6. November 1991 die Aussetzung der Vollziehung gewährt. Insoweit werden dem Antragsteller keine Kosten entstehen, da diese im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung gemäß § 138 Abs. 2 FGO dem FA aufzuerlegen sind; die Voraussetzungen des § 137 FGO liegen offensichtlich nicht vor.

3. Zu Recht hat das FG auch die Beiordnung eines Steuerberaters abgelehnt.

Da PKH nicht bewilligt werden konnte, kommt nach § 142 Abs. 2 FGO auch die Beiordnung eines Steuerberaters nicht in Betracht. Die rückwirkende Beiordnung eines Steuerberaters insoweit, als das FA die Vollziehung ausgesetzt hat, wäre u. a. nur möglich, wenn für den Antragsteller bereits ein Prozeßbevollmächtigter tätig geworden wäre, in der Erwartung, daß PKH gewährt werden würde (BFH-Beschluß vom 29. Juli 1975 VII B 49/75, BFHE 116, 111, BStBl II 1975, 715). Diese Voraussetzungen liegen für das gerichtliche Aussetzungsverfahren jedoch offensichtlich nicht vor.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 763

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge