Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung der Artfeststellung als Einfamilienhaus für die Besteuerung des Nutzungswerts

 

Leitsatz (NV)

1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, daß der Einheitswertbescheid hinsichtlich der Feststellung der Grundstücksart Einfamilienhaus als Grundlagenbescheid für die Besteuerung des Nutzungswerts gemäß § 21 a EStG a. F. auch insoweit Grundlagenbescheid ist, als er die Besteuerung des Nutzungswerts gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG a. F. auch im Rahmen der sog. großen Übergangslösung des § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG ausschließt.

2. Zu den Anforderungen an eine Verwirkung der Folgeänderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977.

 

Normenkette

AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 52 Abs. 21 S. 2; EStG a.F. § 21 Abs. 2 S. 1, § 21a; FGO § 69 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarb im Jahre 1979 ein als Zweifamilienhaus bewertetes Grundstück in A, das er seitdem mit seiner Familie und außerdem für seine . . . praxis nutzt. Die Einkünfte aus dem Haus ermittelte er in den Streitjahren 1984 bis 1988 durch Einnahme-Überschußrechnung. Er rechnete sie entsprechend den Nutzungsanteilen zu 40 v. H. den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit und zu 60 v. H. den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu. Für sein 1984 erworbenes und seit 1985 selbstgenutztes Einfamilienhaus in B machte er in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1985 ein Disagio und Schuldzinsen als Werbungskosten geltend. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) lehnte den Abzug ab, da Aufgeld und Zinsen bereits 1984 vom Konto abgebucht worden waren.

Die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1984 bis 1987 wurden bestandskräftig. Nachdem das Grundstück in A mit bestandskräftig gewordenem Einheitswertbescheid vom 5. April 1989 auf den 1. Januar 1980 durch Wert- und Artfortschreibung als Einfamilienhaus bewertet worden war, erließ das FA am 20. Februar 1990 nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1984 bis 1987, in denen es die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus dem streitigen Grundstück jeweils in Höhe von null DM ansetzte. Entsprechend verfuhr es im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1988 vom 5. März 1990.

Gegen diese Bescheide hat der Antragsteller nach erfolgslosem Einspruch Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat. Der vom Antragsteller an das FG gerichtete Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte keinen Erfolg. Das FG hatte keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Die im Einheitswertbescheid festgestellte Grundstücksart sei nach ständiger Rechtsprechung für die Besteuerung des Nutzungswerts gemäß § 21 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) verbindlich. Auch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes ständen der Änderung der Bescheide nicht entgegen. Eine zeitliche Beschränkung für die Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ergebe sich nur aus den Vorschriften über die Festsetzungsfrist, die hier noch nicht abgelaufen gewesen sei. Es lägen auch keine Umstände vor, die auf eine Verwirkung der Änderungsbefugnis schließen lassen könnten.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die vom FG angenommene Bindungswirkung der Artfeststellung im Einheitswertbescheid für die Einkommensteuerveranlagung. Ferner verstoße es gegen Treu und Glauben, wenn das FA 1989 rückwirkend auf den 1. Januar 1980 eine Wert- und Artfortschreibung vornehme, nur um die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide ändern zu können. Das FA habe den vom Antragsteller offengelegten und daher bekannten Sachverhalt jahrelang rechtlich anders behandelt.

Der Antragsteller hat während des Beschwerdeverfahrens die in den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden festgesetzte Steuer bezahlt.

Während des Beschwerdeverfahrens hat das FA die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre durch vorläufige Bescheide hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge und der Grundfreibeträge ersetzt, die der Antragsteller gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entsprechend zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist hinsichtlich der Aufhebung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 1984 und 1985 zum Teil begründet. Im übrigen ist sie unbegründet.

Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 FGO aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit bei der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - seit dem BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung - wie hier - schon vollzogen, so kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 4 FGO).

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide für 1984 und 1985 bestehen bereits deshalb, weil gemäß § 54 Abs. 8 EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes 1991 (StÄndG 1991) vom 24. Juni 1991 (BGBl I, 1322, BStBl I, 665) Kinderfreibeträge von insgesamt 4264 DM (2432 DM für das erste und 1832 DM für das zweite Kind) zu gewähren sind und für 1984 darüber hinaus, weil das FA bei der Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu Unrecht Rechtsfehler gemäß § 177 AO 1977 unberücksichtigt ließ. Es hätte das Aufgeld und die Schuldzinsen, die bereits 1984 gezahlt (abgeflossen) waren, bei der Änderung des Einkommensteuerbescheids 1984 als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung abziehen müssen.

2. Im Ergebnis zu Recht hat es das FG im übrigen als nicht ernstlich zweifelhaft angesehen, daß der Einheitswert hinsichtlich der Feststellung der Grundstücksart für die Ermittlung der Einkünfte aus dem eigengenutzten Haus bindend ist (§ 21 a Abs. 1 EStG; vgl. dazu die Entscheidung des erkennenden Senats vom 12. November 1991 IX R 117/88, BFHE 166, 214, BStBl II 1992, 286 m. w. N.).

Dies gilt auch für die Einkommensteueränderungsbescheide 1987 und 1988. Allerdings ist das FG für diese Streitjahre zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus der eigengenutzten Wohnung weiterhin gemäß § 21 a EStG zu ermitteln seien. Denn diese Vorschrift ist nach § 52 Abs. 21 Satz 1 EStG i. d. F. ab 1987 letztmals für den Veranlagungszeitraum 1986 anzuwenden. Es bestehen jedoch keine rechtlichen Bedenken gegen die Einkommensteuerbescheide 1987 und 1988 vom 12. Juni 1991, in denen die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von null DM angesetzt wurden. Die im Einheitswertbescheid getroffene Artfeststellung als Einfamilienhaus bleibt aber nach wie vor von Bedeutung für die sog. große Übergangsregelung des § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG. Hiernach ist § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG a. F. weiterhin anzuwenden, falls bei einer Wohnung im eigenen Haus im Veranlagungszeitraum 1986 die Voraussetzungen für die Ermittlung des Nutzungswerts als Überschuß des Mietwerts über die Werbungskosten oder Betriebsausgaben vorgelegen haben. Dies setzt voraus, daß § 21 a EStG im Jahre 1986 nicht anwendbar war. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf ein ausschließlich selbstgenutztes Wohngrundstück hängt nach ständiger Rechtsprechung von dessen Bewertung als Einfamilienhaus i. S. des § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG) ab (vgl. das Senatsurteil vom 12. November 1991 IX R 117/88). Als Grundlagenbescheid für die Besteuerung des Nutzungswerts gemäß § 21 a EStG schließt der Einheitswertbescheid mit seiner Artfeststellung als Einfamilienhaus - negativ - auch die Besteuerung des Nutzungswerts gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 EStG a. F. aus; der Einheitswertbescheid mit seiner Artfeststellung als Einfamilienhaus ist auch insoweit Grundlagenbescheid.

3. Das FA war bei summarischer Prüfung befugt, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für 1984 bis 1987 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern. Danach war das FA verpflichtet, aus dem Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1980 vom 5. April 1989 mit der Artfeststellung des Grundstücks als Einfamilienhaus die Folgerungen für die Einkommensteuerfestsetzungen des Antragstellers für 1984 bis 1987 zu ziehen (vgl. Senatsentscheidungen vom 23. Februar 1988 IX R 88/83, BFH/NV 1988, 775, 776; vom 25. September 1990 IX R 188/87, BFH/NV 1991, 218).

Bei summarischer Prüfung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Treu und Glauben. Das FA hat die Einkommensteuerbescheide als Folgebescheide fristgerecht an den Einheitswertbescheid vom 5. April 1989 als Grundlagenbescheid angepaßt. Da dieser mit seiner Feststellung der Grundstücksart gemäß § 182 Abs. 1 AO 1977 für die Einkommensteuer bindend ist, können Einwendungen, die sich gegen die Berechtigung des FA richten, eine Artfortschreibung vorzunehmen, nur im Verfahren gegen den Einheitswertbescheid geltend gemacht werden. Allerdings kann nach der ständigen Rechtsprechung des BFH die Folgeänderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 ausnahmsweise durch Verwirkung ausgeschlossen sein (vgl. BFH-Urteile vom 19. Januar 1989 IV R 2/87, BFHE 155, 491, BStBl II 1989, 393; vom 14. April 1988 IV R 219/85, BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711, und vom 24. Juni 1988 III R 177/85, BFH/NV 1989, 351). Der Vortrag des Antragstellers, das FA habe das Grundstück jahrelang als Zweifamilienhaus behandelt, obwohl er den maßgeblichen Sachverhalt offengelegt habe, reicht jedoch allein nicht aus, um gewichtige rechtliche Zweifel an der Folgeberichtigung unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung zu begründen. Da sich diese Einwendung in erster Linie gegen die unzulässig rückwirkende Feststellung der Grundstücksart im Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1980 richtet, hätte der Antragsteller sie zunächst gegen die Wert- und Artfortschreibung vom 5. April 1989 vorbringen müssen. Der Senat verkennt nicht, daß anderes gelten könnte, wenn ein FA die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 in Verbindung mit einer eindeutig rechtswidrigen Artfortschreibung (§ 22 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BewG) dazu nutzen würde, Veranlagungsfehler zu beseitigen, die sonst wegen der Sachverhaltskenntnis des FA nicht korrigierbar wären. Einen derartigen Sachverhalt hat der Antragsteller jedoch nicht dargelegt. Es bleibt ihm aber unbenommen, insoweit seinen Vortrag im Hauptverfahren noch zu ergänzen. Das FG wird diese Frage nicht ohne Beiziehung der Einheitswertakten beurteilen können.

4. Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1984 bis 1988 bedeutet auch keine unbillige Härte i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO. Eine unbillige Härte im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn dem Antragsteller durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts wirtschaftliche Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen sind oder seine wirtschaftliche Existenz gefährden (Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Anm. 106 m. w. N.). Der Antragsteller hat nicht dargelegt, daß ihm derartige Nachteile drohen. Solange an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide keine ernstlichen Zweifel bestehen, kann in deren Vollziehung auch im übrigen keine unbillige Härte liegen (Beschluß des BFH vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 538).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418219

BFH/NV 1992, 467

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