Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Posteinwurf in einen ,,störungsanfälligen" Postbriefkasten

 

Leitsatz (NV)

Erkennt ein Prozeßbevollmächtigter, daß seine Angestellte weisungswidrig eine Fristsache in einen von ihm für störungsanfällig gehaltenen Postbriefkasten eingeworfen hat, so kann bei verspätetem Zugang der Sache bei Gericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann gewährt werden, wenn sich der Prozeßbevollmächtigte unverzüglich über die Leerungszeiten sowie darüber vergewissert hat, ob ein nach seiner Vorstellung möglicher Störungsfall eingetreten ist oder nicht.

 

Normenkette

AO 1977 § 110; FGO § 56

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben gegen das ihre Klage abweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) Revision eingelegt. Mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 17. September 1984 ist ihnen die Frist zur Begründung der Revision bis zum 15. Oktober 1984 verlängert worden.

Die Revisionsbegründungsschrift, die das Datum vom 11. Oktober 1984 trägt, ist erst am 17. Oktober 1984 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Auf dem Briefumschlag, welcher die Revisionsbegründungsschrift enthielt, befindet sich ein Poststempel des Postamts K. mit der Datumsangabe: ,,16. 10. 84-19."

Durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 18. Oktober 1984 ist der Prozeßbevollmächtigte der Kläger auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung und auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen worden. Das Hinweisschreiben ist dem Prozeßbevollmächtigten am 24. Oktober 1984 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 1984 - beim BFH am 26. Oktober 1984 eingegangen - beantragen die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung des Antrages trägt der Prozeßbevollmächtigte der Kläger vor: Der Ablauf der Revisionsbegründungsfrist sei sowohl in den Akten als auch in seinem Terminkalender vermerkt gewesen. Seine Angestellte, Fräulein A, habe am 12. Oktober 1984 die Revisionsbegründung in einen Briefumschlag gesteckt, diesen mit der Anschrift des BFH versehen und frankiert. Anschließend sei der Brief zusammen mit anderen Postsendungen von Fräulein B, einer anderen Angestellten, in den Briefkasten K., X-Straße eingeworfen worden. Fräulein B habe den Brief mit der Revisionsbegründung geknickt, da sie die normalen Briefumschläge in die Mitte gelegt habe. Fräulein B sei angewiesen gewesen, den Brief mit der Revisionsbegründung per Einschreiben aufzugeben. Daß sie dies nicht getan habe, sei seinem Büro durch die Nichtablieferung des Einlieferungsscheins bekannt geworden. Eine dritte Angestellte, Frau C, habe sich daraufhin durch einen Anruf bei der Post ausdrücklich vergewissert, daß ein Brief von K. nach München innerhalb eines Tages befördert werde. Zur Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger eidesstattliche Versicherungen seiner Angestellten A, B und C vorgelegt. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat ferner darauf hingewiesen, daß der Briefkasten X-Straße sehr häufig überfüllt sei, so daß Briefe unschwer von außen durch den Einwurfschlitz entnommen werden oder sich verklemmen könnten. Es sei unerklärlich, aus welchen Gründen die Stempelung erst am 16. Oktober 1984 erfolgt sei. Daß bei der Post häufig unerklärliche Dinge passierten, sei durch die Medien bekannt. Er selbst habe z. B. am 8. Februar 1985 einen Brief nach Waldsee in den gleichen Briefkasten geworfen. Der Brief habe seinen Empfänger erst am 14. Februar 1985 erreicht.

Das Postamt Kaiserslautern hat auf Anfrage des Senatsvorsitzenden mitgeteilt, daß eine am 12. Oktober 1984 am Schalter oder durch Briefkasten in K. eingelieferte Briefsendung bei normalem Beförderungslauf den BFH bis zum 15. Oktober 1984 erreicht hätte. Am 12. Oktober 1984 seien im Bereich des Postamts K. in der Bearbeitung von Briefsendungen, die aus der Briefkastenleerung zur Stempelung gelangt seien, keine Rückstände aufgetreten. Es bestehe auch nicht der geringste Anlaß zur Vermutung, daß sich die fragliche Sendung etwa im Briefkasten verklemmt habe und erst durch eine Leerung am 16. Oktober 1984 zur Stempelung gelangt sein könnte. Auch aus der Tatsache, daß der Briefumschlag vor der Einlieferung gefaltet wurde, was aus der Faltung und dem Abdruck der verwischten Schlangenlinie des Stempelabdrucks auf der linken Seite hervorgehe, könne kein Rückschluß auf eine postalische Verzögerung hergeleitet werden.

Das Finanzamt - FA - beantragt, die Revision als unzuverlässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, weil die Revisionsbegründung beim BFH verspätet eingegangen ist und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt.

1. Im Streitfall war die Revisionsbegründungsfrist durch Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 17. September 1984 bis zum 15. Oktober 1984 verlängert worden. Die Revisionsbegründung ist erst am 17. Oktober 1984, also verspätet, beim BFH eingegangen.

2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht stattgegeben werden.

Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, dessen Verschulden den Klägern zuzurechnen ist, hat nicht glaubhaft gemacht, daß er ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten.

Wann eine Sendung in den Postbetrieb gelangt ist, läßt sich im Regelfall dem Briefumschlag mit dem Poststempel entnehmen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 16. Dezember 1975 2 BvR 854/75, BVerfGE 41, 23, 28; BFH-Beschluß vom 1. August 1984 V S 6/84, n.v.). Der Poststempel auf dem Briefumschlag der Revisionsbegründungsschrift trägt das Datum ,,16. 10. 84-19". Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß dieser Brief nach dem behaupteten Einwurf am 12. Oktober 1984 bis zum 16. Oktober 1984 im Briefkasten X-Straße verblieben oder - zwar ins Postamt K. verbracht - aber dort nicht abgestempelt worden wäre. Nach der Auskunft des Postamtes K. sind in dessen Amtsbereich am 12. Oktober 1984 in der Bearbeitung von Briefsendungen, die aus der Briefkastenleerung zur Stempelung gelangten, keine Rückstände aufgetreten. Es besteht nach der Auskunft ferner nicht der geringste Anlaß zur Vermutung, daß sich die fragliche Sendung etwa im Briefkasten verklemmt habe und erst durch die Leerung am 16. Oktober 1984 zur Stempelung gekommen sei.

Zwar hat demgegenüber die Angestellte Fräulein B eidesstattlich versichert, sie habe die Briefsendung an den BFH am 12. Oktober 1984 in den Briefkasten X-Straße in K. eingeworfen. Diese Versicherung reicht jedoch nicht aus, einen anderen Geschehensablauf als den sich aus dem Poststempel ergebenden glaubhaft zu machen; denn die Glaubwürdigkeit der Versicherung wird durch folgenden Umstand erschüttert: Die Angestellte B gibt in ihrer eidesstattlichen Versicherung auch an, den Briefumschlag mit der Revisionsbegründung geknickt zu haben, da sie die normalen Briefumschläge in die Mitte gelegt habe. Das kann nicht zutreffend sein, denn die Revisionsbegründungsschrift (8 Blätter) weisen ebenso wie die ihr beigefügten 16 Blätter Anlagen keinen Knick in der Mitte auf. Die Bruchlinie in der Mitte des Briefumschlages muß also erst später durch Faltung entstanden sein. Dafür spricht auch eine bei den Akten befindliche Fotokopie des Briefumschlages, die im BFH angefertigt wurde, als der Briefumschlag zusammen mit einem Auskunftsersuchen an das Postamt K. übersandt worden ist. Auf dieser Fotokopie des Briefumschlages ist ebenfalls keine Faltung in der Mitte erkennbar.

Auch die anderen eidesstattlichen Versicherungen der Mitarbeiterinnen des Prozeßbevollmächtigten sind nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu kommen; denn diese eidesstattlichen Versicherungen beziehen sich nicht unmittelbar auf den Vorgang der Aufgabe der an den BFH gerichteten Briefsendung zur Post, sondern betreffen nur vorangegangene Ereignisse.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung auch berücksichtigt, daß der Prozeßbevollmächtigte nicht vorgetragen und nicht glaubhaft gemacht hat, daß er sich über die Leerungszeiten des Briefkastens unterrichtet habe, in den seine Angestellte Fräulein B die Postsendung mit der Revisionsbegründungsschrift eingeworfen hat. Dazu wäre er verpflichtet gewesen (vgl. BVerfGE 41, 23, 27), und zwar insbesondere deshalb, weil Fräulein B entgegen der erteilten Weisung die an den BFH gerichtete Sendung nicht per Einschreiben bei der Post aufgegeben, sondern in einen Briefkasten eingeworfen hat. Zwar hat die Angestellte des Prozeßbevollmächtigten, Frau C, nach dem Einwurf des Briefes in den Briefkasten X-Straße vom Postamt K. telefonisch die Auskunft erhalten, daß ein Brief von K. nach München bei normaler Postlaufzeit innerhalb eines Tages befördert werde. Damit hätte sich der Prozeßbevollmächtigte aber nicht zufrieden geben dürfen, weil diese Auskunft nichts über die Leerungszeit des Briefkastens aussagt, in den der Brief eingeworfen worden ist.

Der Prozeßbevollmächtigte durfte sich mit dieser Auskunft auch deshalb nicht begnügen, weil er nach seinem Vorbringen davon ausging, der Briefkasten X-Straße sei sehr häufig überfüllt, so daß Briefe von außen aus dem Briefkasten entnommen oder sich innen verklemmen könnten. Da der die Revisionsbegründungsschrift enthaltende Brief weisungswidrig in diesen Briefkasten eingeworfen worden ist, hätte der Prozeßbevollmächtigte sich durch weitere Maßnahmen - etwa durch telefonische Nachfrage beim BFH - darüber vergewissern müssen, ob ein solcher - nach seiner Vorstellung möglicher Störungsfall - eingetreten war oder nicht.

Das Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten, bei der Post passierten häufig unerklärliche Dinge, vermag ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Zwar ist dem Senat bekannt, daß bei der Deutschen Bundespost bei der Beförderung von Briefsendungen Verzögerungen eintreten können. Diese entstehen jedoch - wie sich auch aus der dazu ergangenen Rechtsprechung ergibt - in der Regel zwischen der Abstempelung eines Briefes und der Ablieferung des Briefes an den Empfänger. Auch der vom Prozeßbevollmächtigten vorgebrachte Fall, in dem eine am 8. Februar 1985 von ihm aufgegebene Briefsendung ihren Empfänger erst am 14. Februar 1985 erreicht hat, betrifft keinen Fall einer verzögerten Abstempelung des Briefes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414172

BFH/NV 1986, 226

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