Entscheidungsstichwort (Thema)

Nicht klärungsbedürftige Frage zum Absehen von Zollnacherhebung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Frage, welche rechtlichen Maßstäbe bei der Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der Zoll-NacherhVO (Absehen von der Nacherhebung; hier: Nichterkennbarkeit des zollamtlichen Irrtums für den Abgabenschuldner) gelten, ist geklärt. Mangels Klärungsbedürftigkeit vermag sie die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache nicht zu rechtfertigen.

2. Soweit das Finanzgericht über die Frage zu 1. erkannt hat, liegt kein Urteil in einer Zolltarifsache vor.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 2; NacherhVO Art. 5 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) entnahm im Januar und Februar 1991 Kassettengeräte ohne Lautsprecher aus ihrem offenen Zollager, meldete sie als andere Kassettengeräte der Unterposition 8520 3190 der Kombinierten Nomenklatur an und entrichtete den dafür vorgesehenen Zoll. Zur damaligen Zeit galt, wie der Klägerin bekannt war, eine Zollaussetzung für Einzel- und Doppellaufwerk(e) für Magnetbandkassetten- Tonaufnahme- und Wiedergabevorrichtungen ... ex 8520 3190, ex 8522 9099, letzteres bezogen auf (andere) Teile und Zubehör für Geräte u.a. der Position 8520 (Verordnung - EWG -) Nr. 3521/90 des Rates vom 19. November 1990, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 345/1). Aufgrund eines auf die dieser Zollaussetzung entsprechende Unterteilung des Deutschen Gebrauchszolltarifs - DGebrZT - (für andere Kassettengeräte) gestützten Hinweises des beklagten Hauptzollamts (HZA) reichte die Klägerin, die Zweifel hatte, ob auch vollständige Kassettengeräte hiernach begünstigt seien, berichtigte Warenaufstellungen ein und beantragte Erstattung des entrichteten Zolls. Das HZA entsprach diesem Antrag, forderte jedoch den Betrag später zurück, weil die Zollaussetzung nicht für vollständige Geräte gelte.

Die Klage gegen diesen Nachforderungsbescheid wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus, Art. 5 Abs. 2 der Nacherhebungsverordnung stehe der Rückforderung nicht entgegen. Der Irrtum des HZA (Beurteilung der vollständigen Geräte als bloße Laufwerke) sei nach den vorliegenden Umständen bei Anwendung der zu erwartenden und zumutbaren Sorgfalt erkennbar gewesen. Die Klägerin hätte sich nicht ohne weiteres auf das zuständige Zollamt und auf die Unterteilungen im DGebrZT verlassen dürfen; sie hätte sich vielmehr über das maßgebende Gemeinschaftsrecht, insbesondere über die Aussetzungsregelung und die dieser zugrunde liegenden Erwägungen (Begünstigung von Vor- oder Zwischenerzeugnissen der Verarbeitungsindustrie) unterrichten und bei Zweifeln eine verbindliche Auskunft einholen oder zumindest bei der EG-Kommission oder beim BMF anfragen oder fachkundigen Rat einholen müssen.

Die Klägerin will die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erreichen. Sie trägt zur Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde vor, die grundsätzliche Bedeutung ergebe sich schon daraus, daß das FG die vom EuGH zur Frage der Erkennbarkeit eines zollamtlichen Irrtums angewandten Kriterien zugrunde gelegt habe, eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anwendung dieser Kriterien aber noch nicht vorliege. Die Erwägungen des FG seien widersprüchlich, denn der DGebrZT enthalte bereits die geforderte Auskunft des BMF. Es gehe allgemein darum, welche Nachprüfungspflichten ein Wirtschaftsteilnehmer habe, wenn er Zweifel an der Auslegung einer Zollvorschrift des Gemeinschaftsrechts habe, der DGebrZT jedoch eindeutig die Ansicht des BMF erkennen lasse. Es sei realitätsfremd, eine Anfrage bei der EG-Kommission zu verlangen. Es könne auch nicht gefordert werden, daß ein Wirtschaftsteilnehmer die Beweggründe handelspolitischer Maßnahmen der Gemeinschaft, insbesondere bei zeitlich begrenzten Zollaussetzungen, immer voll durchschaue. Im übrigen sei die Revision auch deshalb zuzulassen, weil das Urteil des FG eine Zolltariffrage betreffe.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Der Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegt nicht vor. Die Frage, nach welchen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, ob ein zollamtlicher Irrtum für den Abgabenschuldner erkennbar war oder nicht (vgl. Art. 5 Abs. 2 der Nacherhebungsverordnung), ist rechtsgrundsätzlich geklärt, nämlich dahin, daß es insoweit auf eine konkrete Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles ankommt, wobei namentlich die Art des Irrtums, die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sind (EuGH, Urteile vom 26. Juni 1990 Rs C 64/89, EuGHE 1990 I, 2551, 2557, und vom 1. April 1993 C-250/91, ABlEG C 123/10). Der zollamtliche Irrtum schließt noch nicht die Nichterkennbarkeit für den Beteiligten ein (EuGHE 1990, I, 2551, 2556f.). Berufungen auf den DGebrZT - sollte er hier überhaupt, wie die Klägerin meint, eindeutig in ihrem Sinne zu verstehen sein - sind unbehelflich (EuGH, Urteile vom 12. Juli 1989 Rs 161/88, EuGHE 1989, 2433, 2438, und vom 28. Juni 1990 C-80/89, EuGHE 1990 I, 2671, 2676); allein maßgebend sind die (veröffentlichten) Gemeinschaftsvorschriften. Von diesen Grundsätzen ist die Vorinstanz ausgegangen. Soweit das FG erkannt hat, die Klägerin hätte bei Anwendung der von ihr zu erwartenden und ihr zumutbaren Sorgfalt im Hinblick auf den Wortlaut der gemeinschaftlichen Zollaussetzungsregelung (Eindeutigkeit der Warenbeschreibung) und deren Zweck den zollamtlichen Irrtum erkennen können, werden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das Beweismaß nicht aufgeworfen. Insbesondere hat das FG in diesem Zusammenhang von der Klägerin nichts Unmögliches verlangt und die Anforderungen nicht überspannt. Das gilt selbst dann, wenn die Klägerin eine einzelne der vom FG behandelten Informationsmöglichkeiten für nicht gegeben erachtet haben sollte (hier: Nachfrage beim BMF). Die Entscheidung, die das FG über die hier erforderliche Sorgfalt getroffen hat, ist einzelfallbezogen.

§ 116 Abs. 2 FGO enthält keinen Zulassungsgrund. Bei zulassungsfrei gegebener Revision wäre die Nichtzulassungsbeschwerde sogar mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (ständige Rechtsprechung; z.B. Senat, Beschluß vom 10. August 1992 VII B 105/91, BFH/NV 1993, 115). Die Vorentscheidung ist jedoch kein Urteil in einer Zolltarifsache (hierzu Senat, Beschlüsse vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5, BStBl II 1991, 526, und vom 10. August 1992 VII R 24/92, BFH/NV 1993, 337).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 433

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