Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens wegen Verdachts einer Straftat

 

Leitsatz (NV)

1. Eine etwaige Straftat gemäß §84 GmbHG ist kein Grund für eine Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens, in dem um die Rechtmäßigkeit von Schätzungsbescheiden gestritten wird.

2. Der Senat läßt offen, ob §149 ZPO gemäß §155 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß anwendbar ist.

 

Normenkette

FGO § 155; ZPO § 149; GmbHG § 84

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) -- eine GmbH -- führt seit dem 10. November 1997 beim Finanzgericht (FG) Köln einen Rechtsstreit gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) wegen Körperschaftsteuer, einheitlichem Gewerbesteuermeßbetrag und Umsatzsteuer 1995 (Streitjahr). Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1997 legte die Klägerin dem FG zur Begründung der Klage ihre Steuererklärungen und den Jahresabschluß für das Streitjahr vor und beantragte, die angefochtenen auf Schätzungen beruhenden Bescheide entsprechend den Angaben in den Erklärungen zu ändern. Der als Berichterstatter bestimmte Richter am Finanzgericht X teilte der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 22. Dezember 1997 mit:

Er habe Bedenken, ob die Steuererklärungen ohne weitere Nachprüfung der Besteuerung zugrunde gelegt werden könnten. Die Klägerin hätte längst wegen Überschuldung Konkurs anmelden müssen, falls der vorgelegte Jahresabschluß richtig sei. Zudem seien die betrieblichen Kennzahlen nicht plausibel. Zwischen dem erklärten Jahresumsatz, dem Wareneinsatz und den Außenständen bestünden erhebliche Mißverhältnisse. Die Klägerin werde deshalb aufgefordert, ihre Ausgangsrechnungen, die Bankkontoauszüge, den Schriftverkehr über ihre etwaigen Bemühungen zur Beitreibung der Außenstände, ihre Kalkulationsgrundlagen und die Belege für die gewinnmindernd angesetzten Gehälter, Reisekosten, Rechts- und Beratungskosten, Buchführungs- und Abschlußkosten, Zinsaufwendungen und außerordentliche Aufwendungen bis zum 30. Januar 1998 vorzulegen.

Mit einem am 30. Januar 1998 beim FG eingegangenen Telefax beantragte die Prozeßbevollmächtigte, die von X gesetzte Frist bis zum 15. Februar 1998 zu verlängern. Dieses Schreiben beantwortete X nicht. Am 3. Februar 1998 forderte er beim FA die Steuerakten an. Noch bevor diese -- am 11. Februar 1998 -- beim FG eingingen, erließ er am 9. Februar 1998 gemäß §79 a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als Berichterstatter einen Beschluß, durch den er das Verfahren aussetzte. Diese Entscheidung begründete er wie folgt:

Nach §149 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. §155 FGO könne das Verfahren ausgesetzt werden, wenn sich im Laufe des Rechtsstreites der Verdacht einer Straftat ergebe, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluß sei. Im Streitfall bestehe ein solcher Verdacht. Wenn die Steuererklärungen zutreffend seien, läge ein Verstoß gegen die Konkursantragspflicht vor, der nach §84 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) strafbewehrt sei. Falls die Erklärungen unrichtig seien, liege eine gemäß §370 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) strafbare versuchte Steuerhinterziehung vor. Es sei nicht Aufgabe des FG, strafrechtliche Ermittlungen anzustellen. Das Verfahren werde ausgesetzt, um die zuständigen Ermittlungsbehörden zum Zuge kommen zu lassen. Die Klägerin habe die mit Schreiben vom 22. Dezember 1997 angeforderten Unterlagen nicht fristgerecht vorgelegt und auch keinen Grund für eine Fristverlängerung vorgetragen.

Am 16. Februar 1998 nahm die Klägerin zum Schreiben vom 22. Dezember 1997 Stellung und legte zahlreiche Belege und andere Unterlagen vor. Aus ihnen ergibt sich u. a., daß die Klägerin bereits Mitte 1996 die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragt hatte und dieser Antrag im Herbst 1996 rechtskräftig mangels Masse abgewiesen worden war.

Gegen den Beschluß vom 9. Februar 1998 legte die Klägerin fristgerecht am 3. März 1998 Beschwerde ein. Gleichzeitig mit der Beschwerdeschrift legte sie dem FG eine Kopie eines Schreibens der Staatsanwaltschaft vom 12. Mai 1997 vor, in dem diese dem Geschäftsführer und jetzigen Liquidator der Klägerin mitteilte, daß das gegen ihn gerichtete Ermittlungsverfahren wegen Bankrotts gemäß §170 Abs. 2 der Strafprozeßordnung eingestellt worden sei. X half dennoch der Beschwerde nicht ab.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beschluß vom 9. Februar 1998 aufzuheben.

Das FA hat keinen Antrag gestellt und erklärt, aufgrund der von der Klägerin eingereichten Unterlagen sei es bereit, die angefochtenen Bescheide antragsgemäß zu ändern.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führte antragsgemäß zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Der Beschluß ist rechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung gemäß §149 ZPO nicht erfüllt sind.

Eine etwaige Straftat des Geschäftsführers der Klägerin gemäß §84 GmbHG ist kein Grund für eine Aussetzung des Verfahrens. Die Ermittlungen wegen dieser Straftat wären für die Entscheidung in dem Rechtsstreit der Klägerin gegen das FA ohne Einfluß.

Nach den Unterlagen und Erläuterungen zum Jahresabschluß, die die Klägerin bereits am 16. Februar 1998 dem FG vorgelegt hat, besteht auch kein Verdacht einer Straftat gemäß §370 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 AO 1977. Die Klägerin hat die ihr von X gestellten Fragen umfassend beantwortet und die von X angeforderten Unterlagen vorgelegt. Gründe, die Richtigkeit der vorgelegten Steuererklärungen zu bezweifeln, bestehen nach der jetzigen Aktenlage nicht.

2. Der Streitfall erfordert keine Entscheidung der Frage, ob §149 ZPO gemäß §155 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß anwendbar ist. Gegen seine sinngemäße Anwendung könnte sprechen: In Verfahren vor den Finanzgerichten gilt abweichend von den Verfahren nach der ZPO der Untersuchungsgrundsatz (§76 Abs. 1 FGO). Die Finanzgerichte haben daher verfahrensrechtlich weitergehende Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhaltes als die Zivilgerichte (s. aber auch §§103, 114 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes). Außerdem enthält §74 FGO eine spezielle Regelung über die Aussetzung des Verfahrens, falls die Entscheidung des Rechtsstreites vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Die Einschränkungen dieser Regelung könnten zumindest partiell unterlaufen werden, falls bereits der Verdacht einer Straftat für eine Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens ausreichen würde. Der beschließende Senat hat daher staatsanwaltschaftliche Ermittlungen noch nicht als ausreichend für eine Verfahrensaussetzung angesehen (s. Senatsbeschluß vom 12. April 1994 I B 75, 77, 79/93, BFH/NV 1995, 40; s. a. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 7. Juli 1995 III B 8/95, BFH/NV 1996, 149; vom 17. Dezember 1992 VIII B 88/92, VIII B 89/92, BFH/NV 1993, 419).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1506

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