BMF, 30.12.2020, IV A 3 - S 0284/20/10006 :003

 

I. Vorbemerkung

[1]

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (Vereinigtes Königreich) ist am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union (EU) ausgetreten. Zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gewährleistet das vereinbarte Austrittsabkommen[1] die weitgehende Fortgeltung von Unionsrecht für das Vereinigte Königreich für einen Übergangszeitraum, der am 31. Dezember 2020 endet (nachfolgend „Übergangszeitraum”). Bis zum Ablauf dieses Übergangszeitraums unterliegt ein in Deutschland ansässiges Unternehmen (d. h. insbesondere eine gewerbliche Gesellschaft mit Verwaltungssitz im Inland) britischer Rechtsform dem Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit und ist somit in Deutschland als eine rechtsfähige Gesellschaft ausländischen Rechts anzuerkennen.

[2]

Nach dem Ablauf des Übergangszeitraums ist das Vereinigte Königreich wie jeder andere Drittstaat zu behandeln. Das Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vom 24. Dezember 2020 trifft dazu keine abweichenden Regelungen. Für die zivilrechtliche Anerkennung einer Gesellschaft britischer Rechtsform mit statutarischem Sitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland gibt es damit unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH auf nach dem Recht eines Drittstaats gegründete Gesellschaften (vgl. Rn. 5) nach Ablauf des Übergangszeitraumes in Deutschland keine zivilrechtliche Grundlage mehr. Betroffen sind hiervon Unternehmen insbesondere in der Rechtsform einer „private company limited by shares” (Limited). Eine Limited mit Verwaltungssitz im Vereinigten Königreich oder im sonstigen Ausland ist hingegen auch nach dem 31. Dezember 2020 uneingeschränkt als nach britischem Recht gegründete Limited und damit als rechtsfähige Gesellschaft anzuerkennen.

[3]

Im Bereich des Steuerverfahrensrechts hat dies zum einen Auswirkungen auf die Bekanntgabe von Steuerverwaltungsakten an eine Limited mit Ort der Geschäftsleitung im Inland, also insbesondere auf die Frage, an wen Steuerbescheide ab dem 1. Januar 2021 zu adressieren sind und wem gegenüber sie bekanntzugeben sind. Zum anderen betrifft dies die künftigen Vollstreckungsmöglichkeiten, also in welches Vermögen eine Vollstreckung wegen Steuerrückständen noch möglich ist. Der zivilrechtliche Verwaltungssitz entspricht dabei in der Regel steuerlich dem Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO).

 

II. Rechtliche Konsequenzen

[4]

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsaktes an sowie für Vollstreckung gegen eine Gesellschaft in der Rechtsform einer Britischen Limited mit Ort der Geschäftsleitung im Inland sowie deren Rechtsnachfolger mit Ablauf des Übergangszeitraums am 31. Dezember 2020 Folgendes:

 

1. Zivilrechtliche Fortsetzung der Limited als Personengesellschaft oder als Einzelunternehmen

[5]

Nach der Rechtsprechung des BGH gilt für nach dem Recht eines Drittstaats gegründete Gesellschaften die sogenannte „Sitztheorie”, wonach sich kollisionsrechtlich das auf eine Gesellschaft anwendbare Gesellschaftsstatut nach dem Recht desjenigen Staates richtet, in dem die betroffene Gesellschaft ihre Geschäftsleitung hat.

[6]

Für eine Limited mit Geschäftsleitung in Deutschland hat dies zur Folge, dass sie – mangels Gründung der Gesellschaft nach deutschen Rechtsvorschriften – in Deutschland zivilrechtlich nicht mehr nach ihrem Gründungsstatut behandelt und deshalb nicht mehr als Limited anerkannt wird. Unerheblich für die zivilrechtliche Anerkennung ist, ob für die Limited eine Zweigniederlassung im deutschen Handelsregister eingetragen ist.

[7]

Die betreffende Gesellschaft wird dann zivilrechtlich – sofern mehrere Personen an ihr beteiligt sind (nachfolgend: Mehr-Personen-Limited) – als eine der in Deutschland zur Verfügung stehenden Auffangrechtsformen behandelt, das heißt als offene Handelsgesellschaft (OHG) oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).

[8]

Ist nur eine Person an der Gesellschaft beteiligt (nachfolgend: Ein-Personen-Limited), tritt zivilrechtlich der bisherige Alleingesellschafter als natürliche oder juristische Person an die Stelle der Limited. Betreibt die Limited ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 Absatz 2 HGB, ist diese Person Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuchs.

 

2. Zivilrechtlicher Rechtsformwechsel oder zivilrechtliche Gesamtrechtsnachfolge

[9]

Mit Ablauf des Übergangszeitraums sind zivilrechtlich alle Aktiva und Passiva einer Mehr-Personen-Limited der Personengesellschaft, alle Aktiva und Passiva einer Ein-Personen-Limited ihrem bisherigen Alleingesellschafter zuzuordnen.

[10]

Bei einer Mehr-Personen-Limited ist davon auszugehen, dass nach Ablauf des Übergangszeitraums in Analogie zum Formwechsel nach § 190 UmwG zivilrechtlich kein Rechtsträgerwechsel und damit keine Gesamtrechtsnachfolge stattfindet, sondern ein sogenannter identitätswahrender Wechsel der Rechtsform, da die Bestimmungen des Umwandlungsg...

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