Leitsatz

1. Wenn ein Prüfling die Überprüfung einer Prüfungsentscheidung begehrt, muss er gegen prüfungsspezifische Bewertungen substanziierte Einwendungen vorbringen. Sinn dieser Forderung ist es, dem sog. Überdenkungsverfahren eine bestimmte Richtung und konkrete Anhaltspunkte zu geben.

2. Beruht die Bewertung einer Prüfungsleistung auf der Summe von Einzelbewertungen genau abgegrenzter Teile der Bearbeitung, so sind Einwendungen des Prüflings nur dann ausreichend substanziiert, wenn angegeben ist, welche dieser Teilbewertungen aus welchen Gründen beanstandet werden.

 

Normenkette

§ 37 StBerG , § 25 Abs. 2 DVStB , § 74 FGO , § 76 Abs. 2 FGO , § 295 ZPO

 

Sachverhalt

Ein Prüfling, der im schriftlichen Teil der Steuerberaterprüfung gescheitert war, hatte zur Begründung seiner gegen den negativen Prüfungsbescheid erhobenen Klage vorgetragen, zur Beurteilung der Klausuren das Gutachten eines Sachverständigen vorlegen zu wollen. Zugleich rügte er u.a., nicht in allen drei Klausuren die Punkte erhalten zu haben, die nach der Musterlösung hätten gegeben werden müssen. Er legte dazu eine drei Seiten umfassende Anlage mit "Beanstandungen" vor, in denen für die einzelnen schriftlichen Aufsichtsarbeiten, gesondert nach Einzelaufgaben, angeführt wird, welche von dem Kläger angeblich zutreffend erkannten rechtlichen Gesichtspunkte mit wie vielen zusätzlichen Punkten zu bewerten gewesen wären (z.B. "Hauptfeststellungszeitpunkt wurde erkannt + 1 Punkt").

Das FG wies die Klage ab, nachdem der Kläger mehrfach eine ihm zur Vorlage des angekündigten Gutachtens gesetzte Frist ungenutzt hatte verstreichen lassen.

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen, damit dieses das sog. verwaltungsinterne Überdenkungsverfahren einleite und dann – in Würdigung von dessen Ergebnis – erneut entscheide.

Die Einwendungen des Prüflings seien substanziiert genug, um jenes Kontrollverfahren einleiten zu müssen. Denn sie enthielten, wenn auch nur stichwortartig, eine präzise Bezeichnung der Aufgabenteile, bei denen der Prüfling mit der Bewertung seiner Leistungen nicht zufrieden sei, und die Angabe, warum er jeweils mehr Punkte meine verdient zu haben. Das genüge, um dem Überdenkungsverfahren in der erforderlichen Weise eine bestimmte Richtung und den Prüfern konkrete Anhaltspunkte für die Überprüfung ihrer Bewertungen zu geben.

Das Ausbleiben des Gutachtens habe im Streitfall nicht den Blick darauf verstellen dürfen, dass dem bereits die Beanstandungsliste des Klägers genüge.

 

Hinweis

Die Rechtsprechung der Verwaltungs- und Finanzgerichte hat bekanntlich jahrzehntelang eine wirksame inhaltliche gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen verweigert und allenfalls bei Verfahrensfehlern Rechtsschutz gewährt. Dem hat das BVerfG Anfang der 90iger Jahre ein Ende gemacht und den Beurteilungsspielraum der Prüfer gehörig beschnitten. Gleichwohl: Es bleibt dabei, dass jede Prüfungsentscheidung auf Bewertungen beruht, die nur der Prüfer (bzw. die Prüfungskommission) vornehmen kann und die das Gericht nur sehr eingeschränkt rechtlich überprüfen kann. Der Rechtsschutz in Prüfungsangelegenheiten ist also naturgemäß defizitär.

Eine der wesentlichen "Errungenschaften" eines geläuterten prüfungsrechtlichen Rechtsbewusstseins ist aber die zum Gemeingut der neueren Rechtsprechung gehörende Forderung, dass jenes Rechtsschutzdefizit dadurch ausgeglichen werden muss, dass der Prüfling verlangen kann, dass die Prüfer selbst seine Einwendungen gegen ihre Bewertung der Prüfungsleistung "überdenken", d. h. unter Berücksichtigung dieser Einwendungen ggf. eine Zweitbewertung vornehmen. Das ist jetzt in § 29 DVStB ausdrücklich geregelt.

Dieser im Kern einfache und plausible Gedanke birgt freilich eine Fülle zum Teil noch ungelöster Probleme, vor allem bei mündlichen Prüfungen, die sich schon von ihrem tatsächlichen Ablauf her nur sehr eingeschränkt "rekonstruieren" und folglich nur schwer einer Zweitbewertung unterziehen lassen (ganz abgesehen davon, dass der Prüfling verständlicherweise Schwierigkeiten haben wird, gegen die Bewertung seiner Leistungen präzise "Einwendungen" zu erheben).

Im Besprechungsurteil geht es um einen wichtigen Teilaspekt des Rechtsschutzes gegen Prüfungsentscheidungen: Wann ist überhaupt ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren einzuleiten?

Diese Frage beantwortet sich aus der Funktionsweise dieses Verfahrens: Es kann nicht funktionieren, wenn sich die Prüfer schlicht damit konfrontiert sehen, dass der Prüfling sich "zu schlecht" beurteilt sieht. Sie müssen vielmehr wissen, was sie "überdenken" sollen und warum sie es nach Meinung des Prüflings "überdenken" müssen. Der Prüfling muss also gleichsam in Vorlage treten und substanziiert angeben, bei welchen Teilfragen oder sonstigen Prüfungsabschnitten er sich zu schlecht beurteilt sieht und warum, was er also insofern meint Richtiges gesagt (bzw. geschrieben) zu haben, oder aus welchem Grund er das, was er gesagt hat, für nicht so schlecht hält. Er muss mit ein...

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