Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwaltungsverfahren. Witwerrente. Einkommensanrechnung. Bestimmtheitsgebot. Ausschluss behördlichen Ermessens. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mangelnde Bestimmtheit verkörpert nicht lediglich einen qualitativen Mangel einer existenten Regelung, sondern steht dem Regelungscharakter a priori entgegen. Noch weniger ist das Bestimmtheitsgebot eine bloße Verfahrensregelung.

2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Verzögerungen bei der Aufhebungsentscheidung einen so genannten atypischen Fall im Rahmen von § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 begründen können.

3. Der Ausschluss behördlichen Ermessens im Rahmen von § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 verstößt nicht gegen die Verfassung.

4. Die Anrechnung einer Versichertenrente auf eine nur auf Kindererziehungszeiten beruhenden Witwerrente gem § 97 SGB 6 verstößt nicht gegen Art 6 Abs 1, 2 GG.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. Juni 2008 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft die Frage, ob und inwieweit Versichertenrenten nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) auf eine Witwerrente nach dem SGB VI anzurechnen sind.

Der 70-jährige Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und Witwer der am 26.03.1990 verstorbenen Versicherten R. A. (Eheschließung im Jahr 1960). Die Versicherte legte keine Beitragszeiten im Rahmen einer Erwerbstätigkeit zurück. Sie erzog fünf Kinder, von denen zwei (geboren 1965 und 1968) auch Kinder des Klägers sind.

Mit Rentenbescheid vom 21.08.1997 gewährte die Beklagte dem Kläger auf dessen Antrag vom 27.09.1993 hin eine große Witwerrente ab 01.09.1992. Die Entgeltpunkte aus Beitragszeiten resultierten allein aus Kindererziehungszeiten. Der Bescheid enthielt eine Belehrung über die Mitteilungspflichten beim Hinzutreten von Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen; wegen des relevanten Wortlauts dieses Hinweises wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Augsburg verwiesen. Die für die Hinterbliebenenrente zuständige Abteilung der Beklagten erstattete der für die Versichertenrente zuständigen Abteilung eine Mitteilung über die Witwerrentengewährung. Die monatlichen Zahlungen wurden von Oktober 1997 an geleistet; sie beliefen sich zunächst auf 132,04 DM. Gleichzeitig wurde für die Zeit von Rentenbeginn bis September 1997 eine Nachzahlung von 7.707,78 DM gezahlt. Mit Bescheid vom 21.06.1998 wurde die monatliche Leistung mit Wirkung vom 01.07.1998 auf 146,87 DM erhöht.

Im Oktober 1998 führte die Beklagte bei dem Kläger eine Einkommensprüfung durch, in deren Rahmen der Kläger angab, er würde kein relevantes Einkommen beziehen. Von da an führte die Beklagte keine weiteren Überprüfungen mehr durch.

In der Folgezeit kam es beim Kläger zu verschiedenen Einkommenszuflüssen: Zunächst sprach das Bayerische Landessozialgericht dem Kläger eine Berufsunfähigkeitsrente ab 01.07.1994 zu (laufende Zahlung ab 01.12.2003 748,64 EUR monatlich); mit Bescheid vom 20.10.2003 führte die Beklagte den Richterspruch aus. Davon erhielt die Stelle, die für die Hinterbliebenenrente zuständig ist, keine Kenntnis; eine interne Information unterblieb, und auch der Kläger erstattete keine Meldung. Dann bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 05.03.2003 (Änderungsbescheid vom 26.03.2003) dem Kläger ab September 2002 eine Altersrente für langjährig Versicherte (Höhe zunächst 938,20 EUR monatlich). Auch davon erhielt die für die Hinterbliebenenrente zuständige Organisationseinheit innerhalb der Beklagten keine Kenntnis. Schließlich bewilligte die Beklagte - nach Durchführung eines Klageverfahrens - dem Kläger mit Bescheid vom 18.03.2004 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab Dezember 1999 anstatt der bisherigen Altersrente (monatliche Zahlung 1.122,90 EUR ab Mai 2005; Nachzahlungsbetrag 19.283,04 EUR für Zeitraum 01.12.1999 bis 30.04.2004). Erst von dieser letzten Bewilligung erfuhr die Stelle für Hinterbliebenenrente (internes Schreiben vom 18.03.2004).

Zusammenfassend bezog der Kläger folgende Nettobeträge an Versichertenrenten:

- Juli 1994 bis Juni 1995: 1.229,62 DM

- Juli 1995 bis Juni 1996: 1.230,47 DM

- Juli 1996 bis Juni 1997: 1.236,18 DM

- Juli 1997 bis Juni 1998: 1.257,25 DM

- Juli 1998 bis Juni 1999: 1.260,77 DM

- Juli 1999 bis Juni 2000: 1.278,38 DM

- Juli 2000 bis Juni 2001: 1.929,01 DM

- Juli 2001 bis Dezember 2001: 1.965,93 DM

- Januar 2002 bis Juni 2002: 1.005,17 EUR

- Juli 2002 bis Juni 2003: 1.024,07 EUR

- ab Juli 2003: 1.033,08 EUR.

Mit Bescheid vom 31.03.2004 regelte die Beklagte bezüglich der Witwerrente, für die Zeit ab 01.05.2004 würden laufend monatlich 92,29 EUR gezahlt. Für die Zeit von Juli 1994 bis April 2004 sei eine Überzahlung in Höhe von 1.161,25 EUR angefallen. Die entstandene Überzahlung sei zu erstatten. In einer Anlage 1 zum Bescheid wies die Beklagte die Rentenbeträge vor der Anrechnung nach § 97 SGB VI sowie nach Abzug des Anrechnungsbetra...

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