Entscheidungsstichwort (Thema)
Vereinbarte Vergütungserhöhung für den Fall der Insolvenz. Für den Fall der Insolvenz vereinbarte Vergütungserhöhung. Vergütungsdifferenzen als Masseverbindlichkeiten
Leitsatz (amtlich)
Leistet eine Arbeitnehmerin durch eine Teilzeitvereinbarung einen Sanierungsbeitrag und soll sie bei Insolvenz für die letzten 12 Monate vor ihrem Ausscheiden bezüglich ihrer monatlichen Vergütung so gestellt werden, wie sie ohne diese Teilzeitvereinbarung gestanden hätte, wobei für diesen Zeitraum auch die volle Arbeitsleistung verlangt werden kann, so unterliegt diese Vereinbarung weder der Insolvenzanfechtung noch ist sie sittenwidrig. Die Vergütungsdifferenzen sind für die Zeit nach Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeiten.
Orientierungssatz
- Wird in einem sanierungsbedürftigen Unternehmen mit Arbeitnehmern als Beitrag zur Sanierung eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit bei entsprechender Reduzierung der Vergütung vereinbart, so kann in der Vertragsänderung auch vereinbart werden, dass die Arbeitnehmer im Insolvenzfall für die letzten zwölf Monate vor ihrem insolvenzbedingten Ausscheiden hinsichtlich Arbeitsverpflichtung und Vergütung wieder so zu stellen sind, wie sie ohne Vertragsänderung gestanden hätten.
- Eine derartige Insolvenzklausel ist weder sittenwidrig noch unterliegt sie der Insolvenzanfechtung, wenn der Sanierungsbedarf bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortbestanden hat.
- Aus der Vereinbarung resultierende Vergütungsdifferenzen für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten, auch wenn der Insolvenzverwalter bis zur Auflösung der Arbeitsverhältnisse durch betriebsbedingte Kündigungen die erhöhte Arbeitsleistung nicht in Anspruch genommen oder die Arbeitnehmer freigestellt hat.
Normenkette
InsO §§ 38, 42, 55, 108, § 129 ff., §§ 133, 140; BGB §§ 133, 138, 157, 242, 611, § 614 f.
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Einordnung arbeitsvertraglicher Vergütungsansprüche für die Monate März bis Juni 2003.
Die Klägerin war seit dem Jahr 1988 als Sekretärin und Stenotypistin bei der späteren Insolvenzschuldnerin, der L…, in Berlin beschäftigt. Im Januar 1998 vereinbarten die Klägerin und die L… eine “Vertragsänderung”, nach der die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin unter entsprechender Reduzierung des Vergütungsanspruchs auf 24 Stunden herabgesetzt werden sollte, und zwar “voraussichtlich mit Wirkung vom 01.04.98, frühestens jedoch nach der Kurzarbeitsphase, wenn diese über den 31.03.98 hinaus verlängert wird”. In der Vereinbarung heißt es weiter:
“Bei Konkurs, Schließung des Betriebes oder bei betriebsbedingter Kündigung durch den Arbeitgeber ist Frau T… für die letzten 12 Monate – vorbehaltlich einer gesetzlichen Änderung für die Berechnung des Arbeitslosengeldes, in diesem Fall wird der Zeitraum entsprechend angepaßt – vor ihrem Ausscheiden bezüglich ihrer monatlichen Vergütung so zu stellen, wie sie ohne diese Teilzeitvereinbarung gestanden hätte, d.h. es besteht voller Gehaltsanspruch.
Soweit möglich, kann für diesen Zeitraum auch die volle Arbeitsleistung verlangt werden, andernfalls werden nur eventuelle Arbeitszeitguthaben, Urlaubsansprüche und Sonderzahlungen wie Weihnachtsund Urlaubsgeld angerechnet. Darüberhinaus besteht der volle Entgeltanspruch auch, wenn die Arbeit nicht mehr geleistet werden kann.”
Ab Juli 2001 erhielt die Klägerin bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27 Stunden ausgehend von einer Vollzeitvergütung von 3.549,00 DM (1.814,57 Euro) brutto eine Vergütung in Höhe von 2.738,00 DM (1.399,92 Euro) brutto.
Am 1. März 2003 wurden das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L… eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 10. März 2003 zum 30. Juni 2003 und stellte die Klägerin von der Arbeit frei. Für den Zeitraum März bis Juni 2003 zahlte er der Klägerin auf Grundlage einer wöchentlichen Arbeitszeit von 27 Stunden eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.399,92 Euro brutto und für 10 Tage ein Urlaubsgeld in Höhe von 322,00 Euro brutto (1.399,92 Euro brutto × 2,3 % × 10).
Mit der am 26. Juni 2003 eingegangenen Klage hat die Klägerin – soweit in der Revision noch relevant – für die Monate März bis Juni 2003 die Zahlung der Differenz zwischen der gezahlten Vergütung und der Vollzeitvergütung in Höhe von monatlich 414,65 Euro brutto sowie der Differenz zwischen dem gezahlten Urlaubsgeld und dem Urlaubsgeld bei Vollzeitvergütung in Höhe von insgesamt 95,40 Euro brutto nebst Zinsen als Masseverbindlichkeit verlangt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr aufgrund der Regelungen der “Vertragsänderung” vom Januar 1998 mit Eintritt des Insolvenzfalls die vollständige Vergütung zustehe und das Urlaubsgeld auch auf dieser Grundlage berechnet werden müsse. Der Beklagte sei daher verpflichtet, die Differenz zu der bisher entrichteten Vergütung als Masseverbindlichkeit auszuzahlen.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.754,00 Euro brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 414,65 Euro brutto ab dem 1. April 2003, 1. Mai 2003, 1. Juni 2003 sowie 1. Juli 2003 sowie auf 95,40 Euro brutto ab dem 1. April 2003 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, es handele sich bei der geltend gemachten Forderung nicht um eine Masseverbindlichkeit. Die Forderung auf rückwirkende Zahlung erhöhten Entgelts sei aufschiebend durch den Konkursfall bedingt gewesen. Aufschiebend bedingte Forderungen seien ausschließlich Insolvenzforderungen. Die Klage sei bereits unzulässig.
Im Übrigen sei sie jedenfalls unbegründet. Die Vereinbarung der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin sei – soweit sie die Erhöhung des Lohnanspruchs im Konkursfall regelt – auf Grund der Benachteiligung der anderen Gläubiger, insbesondere der Bundesagentur für Arbeit, sittenwidrig und anfechtbar. Es sei erkennbar und offensichtlich bezweckt gewesen, für die Klägerin eine höhere Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld bzw. das Insolvenzgeld zu sichern. Die damit verbundene Schädigung der Bundesanstalt für Arbeit sei zwingend voraussehbar gewesen. Die vereinbarte rückwirkende Erhöhung der Vergütung für einen Zeitraum von 12 Monaten führe zudem im Konkursfall erkennbar zu einer Benachteiligung anderer Gläubiger.
Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit die Forderungen in der Revision noch relevant sind – stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage – soweit ihr stattgegeben wurde – als unzulässig abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und die Zurückweisung der Berufung. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Es lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der Differenzvergütung in Höhe von 1.754,00 Euro brutto nebst Zinsen zusteht. Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei unzulässig, soweit sie nicht bereits erstinstanzlich als unbegründet abgewiesen worden sei. Die Ansprüche auf Zahlung der vollen Vergütung und der daraus resultierende Anspruch auf ein entsprechend höheres Urlaubsgeld seien keine Masseverbindlichkeiten. Die Ansprüche der Klägerin resultierten nicht aus einem gegenseitigen Vertrag nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO, dessen Erfüllung für die Zeit nach Insolvenzeröffnung erfolgen müsse. Der ursprüngliche – eine Vollzeittätigkeit der Klägerin vorsehende – Arbeitsvertrag sei durch die “Vereinbarung” vom Januar 1998 gerade dahingehend geändert worden, dass Arbeitszeit und Vergütung auf zunächst 24 und später 27 Wochenstunden reduziert worden seien. Dem Beklagten sei in der Änderungsvereinbarung zwar die Möglichkeit eingeräumt worden, von der Klägerin die volle Arbeitsleistung zu verlangen. Davon habe er aber keinen Gebrauch gemacht. Es sei nur ein sog. verhaltener Anspruch gegeben, der keine Masseverbindlichkeit begründe. Die Vereinbarung sei auch nicht dahingehend auszulegen, dass der Klägerin im Insolvenzfall bereits für die reduzierte Arbeitsleistung wieder eine Vergütung in voller Höhe habe zustehen sollen. Schließlich sei eine Masseverbindlichkeit auch nicht durch eine Handlung des Beklagten begründet worden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Weder habe der Beklagte von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, von der Klägerin die volle Arbeitsleistung zu verlangen, noch müsse er sich analog § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als habe er die Klägerin zur Erbringung der vollen Arbeitsleistung aufgefordert.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Klage ist zulässig. Ob sie auch begründet ist, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Zwar handelt es sich bei den geltend gemachten Forderungen um Masseverbindlichkeiten. Sie beruhen auf der “Vertragsänderung”. Diese führt aber nur dann zu einem entsprechenden Anspruch der Klägerin, wenn Sanierungszweck und Sanierungseignung der nicht auf die Zeit bis zu einer etwaigen Sanierung begrenzten “Vertragsänderung” vom Januar 1998 bis zur Insolvenz noch bestanden, also nicht bereits entfallen waren, weil die Sanierungsbemühungen zwischen 1998 und 2003 zunächst erfolgreich waren. Dazu fehlen tatsächliche Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Diese Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht noch zu treffen.
1. Die Klage ist zulässig. Bei den von der Klägerin geltend gemachten Forderungen handelt es sich um Masseverbindlichkeiten.
a) Gemäß § 108 Abs. 1 InsO bestehen im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Dienstverhältnisse mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Dabei kann der Arbeitnehmer nach § 108 Abs. 2 InsO Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nur als Insolvenzforderung gemäß § 38 InsO geltend machen (BAG 19. Oktober 2004 – 9 AZR 645/03 – NZA 2005, 527), dh. der Arbeitnehmer kann seine Ansprüche nach § 87 InsO nur im Rahmen des Insolvenzverfahrens verfolgen und muss diese gemäß § 174 InsO beim Insolvenzverwalter anmelden. Eine Zahlungsklage ist unzulässig. Etwas anderes gilt jedoch für Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO. In den dort genannten Fällen kann der Gläubiger den Insolvenzverwalter auf Zahlung aus der Masse in Anspruch nehmen.
b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die Entstehung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO verneint. Nach dieser Bestimmung sind Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Von dieser Vorschrift werden insbesondere Arbeitsverhältnisse erfasst, die der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Tätigkeit selbst begründet hat. Dies war hier nicht der Fall. Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Insolvenzschuldnerin bestand bereits seit 1988. Der Bestand des Vertragsverhältnisses wurde gemäß § 108 Abs. 1 InsO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht berührt. Zudem hat der Beklagte die Klägerin nicht zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung aufgefordert, sondern sie gerade von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt.
c) Bei den Forderungen der Klägerin handelt es sich jedoch um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO.
aa) Danach sind Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Dabei bezieht sich die Formulierung “soweit” nicht auf die tatsächliche Möglichkeit der Erfüllung einzelner Forderungen, sondern auf die rechtliche Notwendigkeit der Erfüllung des gesamten Vertragsverhältnisses. Unter § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO fallen demnach alle Lohn- und Gehaltsansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach der Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen, und zwar in der Höhe, die sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag ergibt, sowie alle sonstigen Ansprüche, die sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergeben (BAG 19. Oktober 2004 – 9 AZR 645/03 – NZA 2005, 527; Uhlenbruck/Berscheid in Uhlenbruck Insolvenzordnung 12. Aufl. § 55 Rn. 60). Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringt. Der Vergütungsanspruch wird zwar gemäß § 611 BGB grundsätzlich durch die tatsächliche Leistung der geschuldeten Dienste erworben, er setzt diese aber nicht zwingend voraus (BAG 19. März 2002 – 9 AZR 16/01 – EzA BGB § 615 Nr. 108). Selbst dann, wenn der Insolvenzverwalter den Betrieb unmittelbar mit Verfahrenseröffnung stilllegt, die Arbeitnehmer freistellt und damit ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nimmt, bleibt er gem. § 615 BGB zur Vergütung der Arbeitnehmer verpflichtet (Andres in Nerlich/Römermann Insolvenzordnung Stand September 2005 § 55 Rn. 102). Entscheidend ist, ob die geltend gemachten Ansprüche vor oder nach der Verfahrenseröffnung entstanden sind, wobei nicht auf die Fälligkeit, sondern auf den Zeitpunkt des Entstehens der Forderung abzustellen ist (BAG 12. Januar 1967 – 5 AZR 269/66 – AP KO § 61 Nr. 3). Ist im Arbeitsverhältnis ein regelmäßiges Arbeitsentgelt vereinbart, entstehen diese Entgeltansprüche mit den Zeitabschnitten, nach denen die Vergütung zu bemessen ist (§ 614 Satz 2 BGB). Fallen diese Zeitabschnitte in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, entstehen die Ansprüche auf die laufende Vergütung erst zu dieser Zeit und sind erst dann zu erfüllen.
bb) Entgegen dem Landesarbeitsgericht liegt nicht nur ein sog. verhaltener Anspruch vor. Dem Beklagten ist mit der “Vertragsänderung” nicht nur die Befugnis eingeräumt worden, die volle Arbeitsleistung zu verlangen.
(1) Die “Vertragsänderung” ist ein nichttypischer Vertrag. Die Auslegung nichttypischer Verträge und Willenserklärungen ist in erster Linie den Tatsachengerichten vorbehalten und in der Revision nur eingeschränkt überprüfbar. Der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt allein, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt worden sind, ob dabei gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen und der Tatsachenstoff vollständig verwertet wurde (BAG 24. September 2003 – 10 AZR 640/02 – BAGE 108, 1; 23. Januar 2002 – 7 AZR 611/00 – BAGE 100, 204, 206). Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung ausgehend vom Wortlaut der Erklärung der wirkliche Wille zu erforschen. Diesem Prüfungsmaßstab hält die vom Landesarbeitsgericht nicht näher begründete Auslegung der “Vertragsänderung” im Sinne einer verhaltenen Forderung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat die für die Auslegung bedeutsamen Tatsachen nicht vollständig berücksichtigt.
(2) Verhaltene Ansprüche sind Ansprüche, bei denen der Schuldner nicht von sich aus leisten, der Gläubiger aber jederzeit die Leistung fordern darf (Palandt/Heinrichs BGB 65. Aufl. § 271 Rn. 1). Weder aus dem Wortlaut noch nach dem Willen der Vertragsparteien ergibt sich, dass bei Eintritt der Insolvenz der Insolvenzverwalter als Arbeitgeber die ursprünglich geschuldete erhöhte Arbeitsleistung zwar fordern durfte, dagegen aber nicht verpflichtet sein sollte, die Klägerin in Vollzeit zu beschäftigen und entsprechend zu vergüten.
(2.1) Nach dem ursprünglichen Arbeitsvertrag schuldete die Klägerin die Erbringung ihrer Arbeitsleistung im Umfang von 35 Wochenstunden gegen eine Vergütung von 1.814,57 Euro brutto. Diese Vertragsbedingungen wurden durch die “Vertragsänderung” vom Januar 1998 dahingehend abgeändert, dass sich die Arbeitszeit der Klägerin ohne einen Lohnausgleich auf zunächst 24 Wochenstunden reduzierte; später wurde diese Vereinbarung dahin modifiziert, dass die Arbeitszeit 27 Wochenstunden gegen eine Vergütung von 1.399,92 Euro brutto betrug. Mit dem Verzicht der Klägerin wollten die Vertragsparteien nach der bereits angeordneten Kurzarbeit unstreitig den Erhalt des Betriebs sichern, nur deshalb akzeptierte die Klägerin eine Herabsetzung ihrer Arbeitszeit ohne einen Lohnausgleich. Allerdings sollte der Verzicht nur bis zu dem Zeitpunkt wirksam sein, in dem entweder die Sanierungsbemühungen scheitern oder das Bedürfnis an der Beschäftigung der Klägerin entfällt. Bei Konkurs, Schließung des Betriebs oder bei betriebsbedingter Kündigung durch den Arbeitgeber sollte die Klägerin für die letzten 12 Monate vor ihrem Ausscheiden bezüglich ihrer monatlichen Vergütung so gestellt werden, wie sie ohne diese Teilzeitvereinbarung gestanden hätte. Für diesen Zeitraum sollte der volle Vergütungsanspruch bestehen, wobei auch wieder die volle Arbeitsleistung geschuldet war, ohne dass dem Insolvenzverwalter ein entsprechendes Wahlrecht eingeräumt werden sollte. Dies wird auch durch die Vereinbarung der Vertragsparteien bestätigt, dass für den Fall, dass eine Erbringung der Arbeitsleistung nicht möglich ist, eventuelle Arbeitszeitguthaben und Urlaubsansprüche angerechnet werden.
(2.2) Mit der Vereinbarung der auflösenden Bedingungen beabsichtigten die Vertragsparteien eine Absicherung der Klägerin. Dies wird aus dem letzten Satz der Vereinbarung deutlich, wonach der volle Entgeltanspruch auch dann bestehen sollte, wenn die Arbeit nicht mehr geleistet werden kann. Die Vereinbarung einer verhaltenen Forderung hätte einen freiwilligen Verzicht der Klägerin ohne eine entsprechende Absicherung bedeutet und dem erklärten Willen der Vertragsparteien widersprochen.
cc) Entgegen der Ansicht des Beklagten geht es bei den Ansprüchen der Klägerin nicht um nur aufschiebend bedingte Forderungen.
Aufschiebend bedingte Forderungen aus vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Verträgen sind zwar grundsätzlich Insolvenzforderungen nach § 38 InsO (Kübler/Prütting/Holzer InsO Stand Oktober 2005 § 38 Rn. 28). Zum Beispiel steht bei Vereinbarung einer Abfindung für den Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses die Erstarkung des Anwartschaftsrechts zum Vollrecht idR unter einer aufschiebenden Bedingung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Selbst wenn die Bedingung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt und der Anspruch erst in diesem Zeitpunkt entsteht, ist der Abfindungsanspruch nur eine Insolvenzforderung, keine Masseverbindlichkeit (BAG 25. Februar 1981 – 5 AZR 922/78 – BAGE 35, 98).
Das lässt sich aber nicht auf die “Vertragsänderung” vom Januar 1998 übertragen. Die von der Klägerin geltend gemachten Forderungen sind nicht isoliert zu betrachten. Durch den Eintritt der Bedingungen – Eröffnung des Insolvenzverfahrens und (betriebsbedingtes) Ausscheiden – entsteht nicht lediglich eine Forderung, sondern das gesamte Vertragsverhältnis wird dahingehend beeinflusst, dass die Vertragsänderung für die letzten 12 Monate des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr gilt. Damit steht die Vertragsänderung unter einer zeitlich eingeschränkten auflösenden Bedingung. Während bei einer aufschiebenden Bedingung dem durch die Bedingung begünstigten Vertragspartner zunächst nur ein Anwartschaftsrecht zusteht, das mit Eintritt der Bedingung zum Vollrecht erstarkt, tritt im Fall der auflösenden Bedingung die Rechtsänderung sofort ein, der durch die auflösende Bedingung begünstigte Vertragspartner hat aber ein Anwartschaftsrecht auf Wiederherstellung des früheren Rechtszustands. Auflösend bedingte Rechtsverhältnisse werden nach § 42 InsO im Insolvenzverfahren jedoch nur solange wie unbedingte Rechtsverhältnisse berücksichtigt, solange die Bedingung nicht eingetreten ist (vgl. Kübler/Prütting/Holzer InsO Stand Oktober 2005 § 42 Rn. 2). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Bewirkung des Ausscheidens der Klägerin durch die Kündigung des Beklagten ist die Bedingung eingetreten. Die Klägerin war für die letzten 12 Monate ihrer Beschäftigung wieder zu den ursprünglichen Vertragsbedingungen, dh. volle Vergütung für volle Arbeitsleistung, zu beschäftigen. Lediglich für den Fall, dass dies auf Grund des Fixschuldcharakters der geschuldeten Dienste nicht mehr möglich war, sollte der Vergütungsanspruch unabhängig von der Erbringung der Arbeitsleistung bestehen. Durch den Eintritt der Bedingung wurde kein neues Rechtsverhältnis geschaffen, sondern die ursprünglich vereinbarten Hauptleistungspflichten mit einer abweichenden Regelung für den Fall der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung für die letzen 12 Monate des Bestands des Arbeitsverhältnisses wiederhergestellt.
dd) Ob eine derartige Bedingung unter dem Aspekt der Gläubigerbenachteiligung wirksam ist und ob die Forderungen der Klägerin begründet sind, ist keine Frage der Zulässigkeit der Klage.
2. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die Klage in Höhe des geltend gemachten Betrages von 1.754,00 Euro brutto nebst Zinsen begründet ist.
a) Lässt man die Frage der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) zunächst außer Betracht, ist der Anspruch entstanden. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Bewirkung des Ausscheidens der Klägerin durch die Kündigungserklärung des Beklagten sind die auflösenden Bedingungen der “Vertragsänderung” vom Januar 1998 eingetreten. Danach ist die Klägerin grundsätzlich für die letzten 12 Monate vor ihrem Ausscheiden bezüglich ihrer monatlichen Vergütung so zu stellen, wie sie ohne die Teilzeitvereinbarung gestanden hätte, dh. es besteht der volle Vergütungsanspruch. Im Gegenzug ist sie verpflichtet – soweit möglich – in diesem Zeitraum die volle Arbeitsleistung zu erbringen. Die Klägerin hat Anspruch auf die Differenzvergütung für den Zeitraum März bis Juni 2003 in Höhe von 1.754,00 Euro brutto gemäß § 611 Abs. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag und der “Vertragsänderung” vom Januar 1998, wenn die Bemühungen um die Sanierung der späteren Insolvenzschuldnerin bis zur Insolvenz andauerten.
b) Wenn Letzteres der Fall war, ist der Anspruch auch nicht erloschen.
aa) Der Eintritt der Bedingung führt bei isolierter Betrachtung zu einer Verringerung der Insolvenzmasse und damit der durchsetzbaren Ansprüche der anderen Gläubiger. Der Beklagte hat gegen die Forderung der Klägerin die Einrede der Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO erhoben und zudem die Nichtigkeit der “Vertragsänderung” – soweit sie der Klägerin den geltend gemachten Anspruch einräumt – wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB geltend gemacht. Im Verhältnis zu den Gläubigern gehen die besonderen Bestimmungen der Insolvenz- bzw. Gläubigeranfechtung den Nichtigkeitsbestimmungen der §§ 134, 138 BGB grundsätzlich vor (BGH 18. Februar 1993 – IX ZR 129/92 – ZIP 1993, 521). Die Vorschriften der Insolvenz- bzw. Gläubigeranfechtung ermöglichen die Anfechtung selbst materiell nichtiger Rechtsgeschäfte, sofern sie nur die formale Rechtslage geändert haben (BGH 11. Juli 1996 – IX ZR 226/94 – ZIP 1996, 1516).
bb) Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist jede Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Voraussetzung der Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung ist das Vorliegen einer Rechtshandlung des Insolvenzschuldners, die objektiv zu einer Benachteiligung der Gläubiger führt.
cc) Eine die Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung liegt mit der “Vertragsänderung” vom Januar 1998 nicht vor, wenn der mit der “Vereinbarung” verfolgte Zweck, nämlich zur Sanierung der späteren Insolvenzschuldnerin beizutragen, bis zur Insolvenz noch bestand.
(1) Unstreitig erfolgte die “Vertragsänderung” vom Januar 1998 auf Veranlassung der späteren Insolvenzschuldnerin wegen der Krise und des Sanierungsbedarfs des Unternehmens. Die Klägerin sollte durch die Teilzeitvereinbarung einen Sanierungsbeitrag leisten. Die Klausel, wonach die ursprünglichen Arbeitsbedingungen im Fall des Konkurses für die letzten 12 Monate vor dem Ausscheiden wieder aufleben sollten, kann grundsätzlich nicht isoliert betrachtet und isoliert angefochten werden (vgl. MünchKommInsO-Kirchhof § 143 Rn. 17 mwN). Zwar kann der Insolvenzverwalter zB die Wirkung der Anfechtung auf die Herstellung der Aufrechnungslage beschränken (BGH 2. Juni 2005 – IX ZR 263/03 – NJW-RR 2005, 1641). Das lässt sich aber auf die Insolvenzklausel der “Vertragsänderung” vom Januar 1998 nicht übertragen. Es geht nicht um die Durchsetzung einer Forderung unabhängig von einer etwaigen Gegenforderung, sondern um eine einheitlich zu betrachtende vertragliche Regelung, die der Unternehmenssanierung dienen sollte. Es handelt sich bei der Insolvenzklausel dieser vertraglichen Regelung um einen Bestandteil der den Sanierungszweck verfolgenden vertraglichen Vereinbarung. Hätte sich die Klägerin geweigert, wäre das Arbeitsverhältnis ein Vollzeitarbeitsverhältnis geblieben. Im Insolvenzfall hätte der Beklagte gemäß § 108 InsO die volle Vergütung leisten müssen, und zwar auch dann, wenn er die Arbeitsleistung der Klägerin nicht hätte abfordern können. Für die Masse und für die Gläubiger ist die Reduzierung der Vergütung für einen Teil der Zeit bis zum Ausscheiden der Klägerin günstiger, als wenn durchgehend die volle Vergütung zu leisten gewesen wäre. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise (Kreft in HK-InsO 3. Aufl. § 129 Rn. 36, 38) ist die “Vertragsänderung” vom Januar 1998, die der Unternehmenssanierung dienen sollte, für die Masse günstiger, als wenn es bei einem durchgehenden Vollzeitarbeitsverhältnis geblieben wäre. Damit liegt eine objektive Gläubigerbenachteiligung nicht vor mit der Folge, dass eine Insolvenzanfechtbarkeit nicht gegeben ist.
(2) Da die volle Arbeit der Klägerin nicht benötigt wurde, gilt das selbst für die Zeit vor der Erklärung der Kündigung am 10. März 2003, obwohl der Beklagte mangels Eintritt der zweiten Bedingung – Bewirkung des Ausscheidens der Klägerin – in dieser Zeit noch keinen Anspruch auf die volle Arbeitsleistung der Klägerin geltend machen konnte. Der bloße Anspruch auf die volle Arbeitsleistung hätte bei wirtschaftlicher Betrachtung mangels tatsächlicher Verwertbarkeit der Arbeitskraft der Klägerin die Masse ebenso wenig vermehrt wie in der Zeit nach der Kündigungserklärung, in der der Beklagte die Klägerin trotz des bestehenden Vergütungsanspruchs freistellte.
dd) § 140 InsO steht dem nicht entgegen. § 140 Abs. 1 InsO stellt den Grundsatz auf, dass für den Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung der Zeitpunkt maßgeblich ist, in dem die Rechtswirkungen eintreten. Gem. § 140 Abs. 3 InsO bleibt bei bedingten Rechtshandlungen zwar der Eintritt der Bedingung außer Betracht. Auf eine Insolvenzklausel ist § 140 Abs. 3 InsO allerdings nicht zugeschnitten. Die Bedingung darf nicht der Eintritt des Insolvenzfalls selbst sein (MünchKommInsO-Kirchhof § 140 Rn. 52). § 140 InsO ändert jedoch nichts daran, dass für die Frage der Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich nicht einzelne Vertragsklauseln, sondern Verträge insgesamt zu betrachten sind. Rechthandlung iSv. § 140 InsO ist die “Vertragsänderung” vom Januar 1998 als solche. Als schuldrechtlicher Vertrag ist sie mit der Annahme des Vertragsangebots “vorgenommen” (vgl. MünchKommInsO-Kirchhof § 140 Rn. 9). Wird ein Änderungsvertrag erfolgreich angefochten, bleibt der Ursprungsvertrag im Übrigen bestehen (MünchKommInsO-Kirchhof § 143 Rn. 16). Dies zeigt, dass für die Frage der Gläubigerbenachteiligung der mit der “Vertragsänderung” zum Zweck der Sanierung vereinbarte Verzicht der Klägerin auf Vollzeitbeschäftigung und Vollzeitvergütung nicht außer Betracht gelassen werden kann.
c) Am Vorstehenden ändert § 138 BGB nichts. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die “Vertragsänderung” vom Januar 1998 bzw. speziell die Vereinbarung für den Insolvenzfall nicht sittenwidrig.
aa) Ob ein Vertrag gegen die guten Sitten verstößt, dh. dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zuwiderläuft, beurteilt sich auf der Grundlage des aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakters der Vereinbarung (BSG 18. März 2004 – B 11 AL 57/03 R – BSGE 92, 254; BGH 28. Februar 1989 – IX ZR 130/88 – BGHZ 107, 92, 97). Verträge “zu Lasten Dritter” verdienen grundsätzlich keine Anerkennung. Die Vertragsfreiheit endet dort, wo die Rechte Dritter entgegenstehen. Unter den Anwendungsbereich des § 138 BGB fallen daher auch Rechtsgeschäfte, die gegen rechtlich geschützte Belange der Allgemeinheit verstoßen, wobei sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts bereits aus dessen Inhalt ergeben kann (BSG 18. März 2004 – B 11 AL 57/03 R – aaO mwN). Das Bundessozialgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze eine nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geschlossene Betriebsvereinbarung als sittenwidrig angesehen, die den Fälligkeitszeitpunkt einer Jahresonderzahlung in den Insolvenzgeldzeitraum vorverlegte, um die Sonderzahlung zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit und damit letztlich zu Lasten der Umlageverpflichteten zu sichern (BSG 18. März 2004 – B 11 AL 57/03 R – aaO). Die vereinbarte Regelung muss sonach nicht nur nach den subjektiven Beweggründen, sondern auch nach dem objektiven Gehalt – und insoweit auch nach ihren möglichen Auswirkungen auf die Rechtsstellung Dritter – mit den guten Sitten in Einklang stehen (vgl. BGH 8. Dezember 1982 – IVb ZR 333/81 – BGHZ 86, 82).
bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die “Vertragsänderung”, soweit sie für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Klägerin berechtigt, für die rechtlich geschuldete volle Arbeitsleistung die volle Vergütung zu verlangen, nicht als sittenwidrig anzusehen. Der Umstand, dass der Beklagte aus tatsächlichen Gründen auf die Arbeitsleistung der Klägerin verzichtet hat, führt nicht zur Sittenwidrigkeit der Vereinbarung. Es widerspricht auch nicht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn der freiwillige Beitrag der Klägerin zur Unternehmensrettung und der damit verbundene Verzicht auf die volle Arbeitszeit und Vergütung dadurch eingeschränkt wird, dass die Rückkehr zum Anspruch auf die volle Vergütung in den letzten 12 Monaten des Arbeitsverhältnisses auch dann erfolgen soll, wenn die vollzeitige Arbeitsleistung wegen des Fixschuldcharakters der Arbeitspflicht nicht mehr eingefordert werden kann. Ob und in welcher Höhe die Klägerin von der Bundesagentur für Arbeit Leistungen erhält oder zu erhalten hat, ist eine Frage des Sozialrechts, die im Streitfalle die Sozialgerichte zu klären haben. Mit der “Vereinbarung” vom Januar 1998 sollte anders als zum Beispiel in dem der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm (27. November 1997 – 8 Sa 1263/97 – LAGE BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 22) zugrunde liegenden Fall nicht durch Täuschung auf die Entscheidung der Bundesanstalt für Arbeit Einfluss genommen werden, sondern die Vertragsparteien wollten den Beitrag der Klägerin zur Sanierung des Unternehmens für den Fall relativieren, dass diese nicht gelingt.
d) Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Ansprüche der Klägerin nicht verwirkt (§ 242 BGB). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – BAGE 97, 326) ist ein Recht verwirkt, wenn der Gläubiger es längere Zeit nicht ausgeübt hat (Zeitmoment), der Schuldner darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, und diesem die Erfüllung unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben auch nicht mehr zuzumuten ist (Umstandsmoment). Vorliegend ist weder das Zeit- noch das Umstandsmoment erfüllt. Die Klageforderungen sind erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Indem im Arbeitsverhältnis ein regelmäßiges Arbeitsentgelt vereinbart ist, entstehen die Entgeltansprüche mit den Zeitabschnitten, nach denen die Vergütung zu bemessen ist, und sind zu diesen Zeitpunkten zu erfüllen (§ 614 Satz 2 BGB). Die Klägerin hat am 27. März 2003, dh. unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vom Beklagten die Zahlung der Vergütung auf Grundlage einer 35-Stunden-Woche verlangt. Umstände, auf Grund derer der Beklagte davon ausgehen konnte, die Klägerin werde bei Eintritt einer der Bedingungen der Vertragsänderung vom Januar 1998 auf die nach dieser Vereinbarung geschuldete Vergütung verzichten, hat der Beklagte nicht vorgetragen. Sein Hinweis auf die jahrelang abweichend geübte Praxis einer 24- bzw. 27-Stunden-Woche vermag keine Verwirkung zu begründen. Der Beklagte verkennt, dass die Klägerin bis zum Eintritt der auflösenden Bedingung auf Grund der Vertragsänderung lediglich die geminderte Arbeitsleistung schuldete und erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der anschließenden Kündigung die Hauptleistungspflichten des ursprünglichen Vertragsverhältnisses für die letzten 12 Monate des Bestands des Arbeitsverhältnisses wiederhergestellt wurden.
e) Die Klage ist auch in Höhe des geltend gemachten Betrags von 1.754,00 Euro brutto an sich begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Zahlung der Differenz zwischen dem Betrag des geschuldeten Arbeitsentgelts von 7.258,28 Euro brutto (1.814,57 Euro brutto/Monat × 4 Monate) und dem Betrag des ausgezahlten Arbeitsentgelts von 5.599,68 Euro brutto (1.399,92 Euro brutto/Monat × 4 Monate) für den Zeitraum März bis Juni 2003 sowie auf die Differenz zwischen dem geschuldeten Urlaubsgeld von 417,40 Euro brutto (1.814,57 Euro brutto × 2,3 % × 10 Tage) und dem ausgezahlten Urlaubsgeld von 322,00 Euro brutto (1.399,92 Euro brutto × 2,3 % × 10 Tage) gemäß § 611 Abs. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag und der “Vertragsänderung” vom Januar 1998. Die Höhe der geltend gemachten Ansprüche ist zwischen den Parteien unstreitig.
f) Allerdings ist die “Vertragsänderung” vom Januar 1998 mit ihrer Teilzeitvereinbarung nicht für die Zeit bis zu einer etwaigen Sanierung oder sonst zeitlich begrenzt, wie das etwa in einigen Tarifverträgen vorgesehen ist (vgl. zB Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet II vom 6. Februar 1997 Ziff. 2.1, 2.8). Sollten zwischen 1998 und 2003 die Sanierungsbemühungen zunächst erfolgreich gewesen sein, waren Sanierungszweck und Sanierungseignung der Teilzeitabrede entfallen. Für die Zeit danach könnte die Teilzeitabrede nicht anders bewertet werden als ein nicht durch den Sanierungszweck motiviertes Teilzeitarbeitsverhältnis mit Insolvenzklausel. Dann könnte die Insolvenzklausel insoweit wegen objektiver Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar sein, weil die speziell für den Insolvenzfall auferlegten Vermögensnachteile über die gesetzlichen Folgen hinausgehen und nicht zur Erreichung des Vertragszwecks geboten sind (Teilanfechtung, vgl. BGH 11. November 1993 – IX ZR 257/92 – BGHZ 124, 76 für den Fall einer Insolvenzklausel, nach der eine Breitbandverteilanlage für Ton- und Fernseh-Rundfunkversorgung im Falle der Insolvenz “entschädigungslos” in das Eigentum des Vertragspartners des späteren Insolvenzschuldners übergehen sollte; BGH 18. Februar 1993 – IX ZR 129/92 – ZIP 1993, 521 betreffend Anfechtbarkeit einer Sicherungsabtretung mit vereinbartem Verfügungsrecht des Zessionars (nur) im Falle der Zahlungseinstellung durch den Sicherungsgeber; FK-InsO/Dauernheim 4. Aufl. § 133 Rn. 15; MünchKommInsO-Kirchhof § 143 Rn. 18).
Jedenfalls könnte sich die Klägerin nach gelungener Sanierung gemäß § 242 BGB nicht mehr auf die ursprüngliche Vereinbarung mit Erfolg berufen. Mit einer gelungenen Sanierung wäre nämlich der Zweck der Insolvenzklausel, durch die teilweise Absicherung einen gewissen Ausgleich für die Bereitschaft der Klägerin zum Verzicht im Interesse einer Sanierung des Unternehmens zu bieten, entfallen.
Da nicht festgestellt ist, ob die Sanierungsbemühungen zwischen 1998 und 2003 Erfolg hatten oder ob der Sanierungsbedarf durchgehend bis zur Insolvenz bestand, ist eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht möglich mit der Folge, dass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen ist. Die Darlegungs- und Beweislast für eine zwischenzeitlich gelungene Sanierung liegt beim Beklagten. Er ist iSv. § 80 InsO Partner der mit der späteren Insolvenzschuldnerin getroffenen “Vertragsänderung” vom Januar 1998 geworden. Sie besteht gemäß § 108 InsO über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus fort.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Friedrich, B. Schipp, Hoffmann
Fundstellen
BAGE 2007, 1 |
BB 2007, 52 |
DB 2006, 2295 |
FA 2006, 317 |
SAE 2007, 90 |
ZIP 2006, 1366 |
EzA-SD 2006, 10 |
EzA |
NJ 2007, 239 |
NZI 2007, 47 |
NZI 2007, 58 |
AUR 2006, 331 |
RdW 2006, 663 |
SPA 2006, 6 |