Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsbefreiung am 24. und 31. Dezember. Änderung. Betriebliche Übung

 

Orientierungssatz

Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes kann nicht ohne besondere Anhaltspunkte darauf vertrauen, daß eine übertarifliche Vergünstigung - wie etwa die Befreiung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Vergütung - auf Dauer weitergewährt werde. Dies gilt besonders dann, wenn sich die vom Arbeitgeber gewährten Leistungen als Vollzug von Regelungen darstellen, die für Beamte und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einheitlich gelten. Bei zusammen mit Beamten arbeitenden Arbeitnehmern kann sich eine betriebliche Übung grundsätzlich nicht in Widerspruch zu der für die Beamten maßgebenden Regelung entwickeln (Vergleiche BAG Urteil vom 10. April 1985, 7 AZR 36/83 = AP Nr 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Hat der öffentliche Arbeitgeber - auch über einen längeren Zeitraum hinweg - die den Beamten gewährten Vergünstigungen gleichzeitig den Arbeitern und Angestellten eingeräumt, so müssen sie damit rechnen, daß diese Sondervorteile im Zusammenhang mit der Abschaffung für die Beamten auch für sie wieder entfallen können.

 

Normenkette

BGB §§ 157, 133, 242; BAT § 16 Abs. 2 S. 1; BMT-G § 15 Abs. 4 S. 1; BMT-G 2 § 15 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 22.08.1985; Aktenzeichen 13 Sa 49/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.03.1985; Aktenzeichen 20 Ca 147/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch an den Vormittagen des 24. Dezember und 31. Dezember 1984 auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung hatte.

Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1968 im Angestelltenverhältnis beim beklagten Studentenwerk beschäftigt. Das Studentenwerk ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts und hat die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter nach den für die Arbeiter und Angestellten des Landes Berlin maßgebenden Bestimmungen zu regeln (§ 11 des Studentenwerksgesetzes vom 14. November 1983 - GVBl. Berlin 1983 S. 1426 ff.).

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Tarifbindung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung, dessen § 16 Abs. 2 Satz 1 folgendes bestimmt:

"An dem Tage vor Neujahr, vor Ostersonntag, vor

Pfingstsonntag oder vor dem ersten Weihnachts-

feiertag wird, soweit die dienstlichen oder be-

trieblichen Verhältnisse es zulassen, ab 12.00 Uhr

Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung

(§ 26) und der in Monatsbeträgen festgelegten Zu-

lagen erteilt..."

Hiervon abweichend wurde die Klägerin bis 1983 - ebenso wie Beamte - am 24. Dezember und 31. Dezember eines Jahres ganztägig von der Arbeit freigestellt und die Vergütung fortgezahlt. Die Freistellung der Beamten beruhte auf § 2 Abs. 3 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten in der Fassung vom 7. Dezember 1972 (GVBl. Berlin 1973 S. 14 ff.).

Mit Wirkung vom 1. August 1984 hat das Land Berlin durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten vom 17. Juli 1984 (GVBl. Berlin 1984 S. 1001) die ganztägige Arbeitsbefreiung am 24. und 31. Dezember aufgehoben und in § 2 der vorgenannten Verordnung folgendes bestimmt:

"Am 24. und 31. Dezember endet der Dienst um 12.00 Uhr,

soweit dienstliche Verhältnisse nicht entgegenstehen.

Wenn die dienstlichen Verhältnisse es zulassen, sind

der 24. und 31. Dezember dienstfrei. In diesem Fall

ist bei fester und gleitender Arbeitszeit die ausfal-

lende Arbeitszeit ab 8.00 Uhr regelmäßig vorzuarbeiten.

In Ausnahmefällen kann die ausfallende Arbeitszeit

auch nachgearbeitet werden; sie soll spätestens bis

zum 31. Januar des nächsten Jahres ausgeglichen sein..."

Auf die geänderte Rechtslage hat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 14. August 1984 hingewiesen und bestimmt:

"1. Alle Einrichtungen des Studentenwerks Berlin

bleiben am 24. und 31. Dezember geschlossen.

Eine Wahlmöglichkeit der Mitarbeiter zwischen

Dienstleistung und Vorarbeit ist somit nicht

gegeben.

2. Die ausgefallene Arbeitszeit ist grundsätzlich

vorzuarbeiten..."

Der Personalrat des beklagten Studentenwerks hat mit Schreiben vom 15. September 1984 der Regelung der Vorarbeit für die Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember zugestimmt. Allerdings hat er sich vorbehalten, eine andere Regelung zu verlangen, falls gerichtlich festgestellt werden sollte, daß die Abschaffung der völligen Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember durch die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamten nicht rechtmäßig sein sollte.

Die Klägerin hat Vorarbeit im Umfang von 480 Minuten aufgrund der Anordnung im Schreiben der Beklagten vom 14. August 1984 zwar erbracht, sie hält sich hierzu aber nicht für verpflichtet, denn nach ihrer Auffassung ist eine betriebliche Übung auf ganztägige Freistellung am 24. und 31. Dezember 1984 entstanden.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet

war, die Klägerin am 24. Dezember 1984 und

am 31. Dezember 1984 ganztägig unter Fort-

zahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung

freizustellen, ohne Anrechnung auf den Tarif-

urlaub und ohne Verpflichtung der Klägerin,

die an diesen Tagen ausfallende Arbeitszeit

vor- oder nachzuarbeiten.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und ist der Meinung, es sei keine betriebliche Übung auf ganztägige Arbeitsbefreiung am 24. Dezember und am 31. Dezember eines Jahres entstanden. Hierzu verweist sie insbesondere auf § 11 des Studentenwerksgesetzes, wonach die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer nach den für die Arbeiter und Angestellten des Landes Berlin geltenden Bestimmungen zu regeln seien. Hiernach habe die Klägerin auf eine ganztägige Freistellung am 24. und 31. Dezember eines Jahres nur vertrauen können, solange diese Regelung auch für alle Bediensteten gegolten habe. Mit dem Wegfall der ganztägigen Freistellung für die Beamten könne die Klägerin nicht im Widerspruch hierzu eine ganztägige Freistellung für sich beanspruchen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin hiergegen zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

1. Die Klägerin hat keinen tariflichen Anspruch auf Dienstbefreiung am Vormittag des 24. Dezember und des 31. Dezember 1984 ohne Verpflichtung zur Ausgleichsarbeit, denn § 16 Abs. 2 Satz 1 BAT sieht eine Dienstbefreiung erst ab 12.00 Uhr vor. Diese tarifliche Rechtslage hat das beklagte Studentenwerk mit seiner Verfügung vom 14. August 1984 wiederhergestellt.

2. Die Klägerin kann keine weitergehende übertarifliche - nämlich ganztägige - Dienstbefreiung an den vorgenannten Tagen aufgrund einer betrieblichen Übung beanspruchen. Hieran fehlt es.

a) Ob eine betriebliche Übung kraft stillschweigender einzelvertraglicher Vereinbarung in die einzelnen Arbeitsverhältnisse eingeht und die Inhalte der Arbeitsverträge ergänzt (so BAG Urteil vom 1. März 1972 - 4 AZR 200/71 - AP Nr. 11 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, m. w. N.) oder ob sie - wie die neuere zivilrechtliche Lehre annimmt - kraft ihres Vertrauenstatbestandes selbständige Ansprüche begründet (BAG Urteil vom 5. Juli 1968 - 3 AZR 134/67 - AP Nr. 6, aaO und BAG 23, 213, 218 = AP Nr. 10, aaO, sowie BAG AP Nr. 11, aaO), kann auf sich beruhen. Unabhängig hiervon versteht man unter einer betrieblichen Übung die regelmäßige Wiederholung eines bestimmten Verhaltens, das bei den Betriebsangehörigen den Eindruck einer Gesetzmäßigkeit oder eines Brauchs erweckt (BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe). Durch diese an die betroffenen Arbeitnehmer gerichtete konkludente Gesamtzusage erwachsen ihnen Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen (BAG 23, 213, 217 ff. = AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TVArb Bundespost, zu III 1 a der Gründe). Hierfür ist aber Voraussetzung, daß der Arbeitgeber nach Treu und Glauben aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer das Vertrauen erweckt hat, daß er sich binden wolle (§§ 133, 157 BGB; BAG 40, 126, 133 = AP Nr. 1, aaO). Sein Verhalten ist dann als rechtsgeschäftlich erhebliche, bindende Erklärung zu bewerten unabhängig davon, ob er sich binden wollte und ob er die bindende Wirkung der betrieblichen Übung erkannt hat (BAG, aaO).

Bei der Frage, worauf ein Arbeitnehmer vertrauen kann, ist zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst zu unterscheiden: Ein Arbeitgeber der Privatwirtschaft ist in der Gestaltung der Arbeitsverträge seiner Mitarbeiter deutlich freier als der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Der an die Anweisung vorgesetzter Dienststellen, Verwaltungsrichtlinien, Verordnungen und gesetzliche Regelungen, vor allem aber an die Festlegungen des Haushalts gebundene öffentliche Arbeitgeber ist sehr viel stärker als ein privater Arbeitgeber gehalten, die Mindestbedingungen des Tarifrechts bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen zu beachten. Im Zweifel gilt Normvollzug. Unter diesen Umständen wird ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nicht ohne besondere Anhaltspunkte darauf vertrauen dürfen, eine übertarifliche Vergünstigung - wie etwa die Befreiung von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung der Vergütung - werde auf Dauer weitergewährt (BAG Urteil vom 29. November 1983 - 3 AZR 491/81 - AP Nr. 15 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, unter II 2 a der Gründe; BAG Urteil vom 10. April 1985 - 7 AZR 36/83 - AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, unter 5 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

Diese Grundsätze müssen in verstärktem Maße dann gelten, wenn sich die vom Arbeitgeber gewährten Leistungen als Vollzug von Regelungen darstellen, die für Beamte und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes einheitlich gelten. Die Gleichstellung von Bediensteten derselben Behörde hat auch bei der Frage des Vertrauensschutzes Gewicht; bei zusammen mit Beamten arbeitenden Arbeitnehmern kann sich eine betriebliche Übung grundsätzlich nicht im Widerspruch zu der für die Beamten maßgebenden Regelung entwickeln (BAG Urteil vom 10. April 1985, aaO). Wenn hiernach der öffentliche Arbeitgeber - auch über einen längeren Zeitraum hinweg - die den Beamten gewährten Vergünstigungen gleichzeitig den Arbeitern und Angestellten einräumt, so müssen sie damit rechnen, daß diese Sondervorteile im Zusammenhang mit der Abschaffung für die Beamten auch für sie wieder entfallen können (BAG Urteil vom 10. April 1985, aaO).

b) Nach diesen Grundsätzen ist für die Klägerin keine betriebliche Übung auf Fortbestand der ganztägigen Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember eines Jahres erwachsen. Ob der Klägerin jedes Jahr erneut die Freistellung am 24. Dezember und am 31. Dezember vorher angekündigt worden ist und sie hieraus von vornherein entnehmen konnte, daß sie nur für das jeweilige Jahr erneut gewährt werde, kann dahingestellt bleiben. Die Klägerin mußte aber davon ausgehen, daß das beklagte Studentenwerk ihr eine übertarifliche Arbeitsbefreiung gewährt hat. Die Klägerin konnte aber nicht darauf vertrauen, daß ihr Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes dauernd eine übertarifliche Leistung gewähren wird, weil er damit zusätzliche finanzielle Leistungen erbringt, die mit dem Gebot der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln nicht vereinbar sind. Zwar ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte die Regelung, daß die Dienstbefreiung der Klägerin und ihrer Kollegen nur deshalb erfolgt ist, weil für die Beamten bereits eine entsprechende Dienstbefreiung eingeführt worden war.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin innerhalb ihrer Dienststelle unmittelbar mit Beamten zusammenarbeitet oder nicht. Die Behörden sind auf eine gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen, so daß die Dienstbefreiung der Beamten zwangsläufig dazu führen muß, die Angestellten und Arbeiter im selben Umfang freizustellen. Wenn nunmehr aber die Beamten am 24. und 31. Dezember vormittags bis 12.00 Uhr arbeiten müssen, dann sind sie auf die Zusammenarbeit mit den nichtbeamteten Kollegen angewiesen. Die gleichen Gründe, die zur Einführung der Arbeitszeitverkürzung geführt haben, wirken sich hier umgekehrt bei dem Wegfall dieser Vergünstigungen aus.

Bei zusammen mit Beamten arbeitenden Arbeitnehmern kann sich eine betriebliche Übung nicht im Widerspruch zu der für die Beamten maßgebenden Regelung im Alleingang entwickeln, zumal die wöchentliche Gesamtarbeitszeit für alle Bediensteten gleich lang ist und die Arbeitsbefreiung von vornherein an die für Beamte geltende Regelung angepaßt war.

Es kommt hinzu, daß die Beklagte nach § 11 Abs. 1 Satz 2 des Studentenwerksgesetzes vom 14. November 1983 (GVBl. Berlin 1983 S. 1426 ff.) verpflichtet war, die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeiter und Angestellten nach den für die Arbeiter und Angestellten des Landes Berlin geltenden Bestimmungen zu regeln.

Die bisherige Freistellung der Klägerin am 24. und 31. Dezember eines Jahres hat für sie zwar Annehmlichkeiten geschaffen, aber ihre Lebensgewohnheiten nicht so entscheidend verfestigt, daß sich dieser Zustand nicht wieder rückgängig machen ließe. Selbst wenn die Klägerin sich auf den Fortbestand dieser Regelung in ihrer Lebensführung eingerichtet haben sollte, wäre insoweit kein gewichtiger Vertrauenstatbestand geschaffen worden.

3. Da hiernach keine betriebliche Übung auf Fortbestand der ganztägigen Dienstbefreiung am 24. und 31. Dezember eines Jahres erwachsen ist, kann dahingestellt bleiben, ob die zur Durchführung der neuen Arbeitszeitregelung abgeschlossene Dienstvereinbarung vom 14. August/15. September 1984 bereits die bisherige Dienstbefreiung abgelöst und ersetzt hat.

Dr. Gehring Dr. Olderog Dörner

Halberstadt Dr. Hirt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440362

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