Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung. Erwerbsunfähigkeit. Befristung

 

Orientierungssatz

Im Anschluß an die Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 30.11.1977, 5 AZR 667/76 = AP Nr 4 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit und die Urteile des Sechsten Senats vom 18.6.1980, 6 AZR 328/78 = AP Nr 6 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit sowie vom 26.5.1983, 6 AZR 273/82 = AP Nr 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung, denen sich der erkennende Senat in inzwischen ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl zuletzt Urteil vom 24.11.1987, 8 AZR 140/87 = NZA 1988, 243) ist davon auszugehen, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht als Abfindungsanspruch entsteht, für den es auf weitere Merkmale nicht ankommt, sondern als Ersatz für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht, der damit aber an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist wie im übrigen vorher der Urlaubsanspruch. Daraus ergibt sich, daß der als Abgeltung zu zahlende Geldbetrag einem Arbeitnehmer nur dann zusteht, wenn in seiner Person nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, abgesehen vom Bestand der Arbeitspflicht, die gleichen Voraussetzungen gegeben sind wie während des Arbeitsverhältnisses. Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn er nicht vorher erfüllt wird, spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums.

 

Normenkette

BUrlG §§ 13, 7 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.07.1985; Aktenzeichen 8 Sa 574/85)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.02.1985; Aktenzeichen 4 Ca 6680/84)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 1973 bei der Beklagten als Färber beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis waren die Tarifverträge der rechtsrheinischen Textilindustrie, darunter das Urlaubsabkommen für die gewerblichen Arbeitnehmer vom 28. November 1972 (UA), anzuwenden.

§ 2 Nr. 1 UA lautet:

"Jeder Arbeitnehmer hat nach Maßgabe der nachstehenden

Bedingungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch

auf bezahlten Erholungsurlaub.

Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr."

§ 2 Nr. 10 UA lautet:

"Der Urlaub soll der Erholung dienen. Während des

Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem Urlaubszweck

widersprechende Erwerbstätigkeit leisten.

Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs in Geld ist

nur zulässig, wenn und soweit er bei Beendigung

des Arbeitsverhältnisses nicht mehr durch Freizeitgewährung

erfüllt werden kann."

In § 2 Nr. 12 UA ist bestimmt:

"Der Urlaubsanspruch erlischt im Falle einer vom

Arbeitnehmer verschuldeten fristlosen Entlassung

oder eines von ihm begangenen Arbeitsvertragsbruches.

Im übrigen erlischt der Urlaubsanspruch am 31. März

des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres,

wenn er nicht bis zu diesem Zeitpunkt schriftlich

bei dem Arbeitgeber geltend gemacht worden ist."

Vom 8. November 1983 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1984 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Seit 1. Oktober 1984 bezieht der Kläger wegen einer Schwerbehinderung vorgezogenes Altersruhegeld.

Am 12. Januar 1984 richtete der Kläger an die Beklagte folgendes Schreiben:

"Betr.: Resturlaubsanspruch 1983

------

Hiermit mache ich meinen Resturlaubsanspruch von

1983 nach den gesetzlichen Bestimmungen vorsorglich

geltend.

Sollte meine Arbeitsunfähigkeit über den 31.03.1984

andauern, verweise ich auf § 2 Ziffer 12 des

Urlaubsabkommens für die gewerblichen Arbeitnehmer

der nordrheinischen Textilindustrie vom 28.11.1972."

Mit seiner am 26. November 1984 zugestellten Klage hat der Kläger Ansprüche auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 1983 in Höhe von acht Tagen = 840,96 DM brutto, für das Jahr 1984 in Höhe von 24 Tagen = 2.559,36 DM brutto sowie auf Urlaubsgeld für das Jahr 1984 in Höhe von 462,48 DM brutto, insgesamt also 3.862,80 DM brutto gefordert.

Der Kläger hat in der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht eingeräumt, nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt zu haben.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.862,75 DM brutto zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.021,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 26. November 1984 zu zahlen, und hat im übrigen die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klagantrag weiter, soweit ihm nicht stattgegeben worden ist. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung gegen die Beklagte nicht mehr zu.

1. Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß für den Kläger mit dessen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. September 1984 ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstanden ist. Dieser Anspruch ist jedoch erloschen. Nach dem von der Beklagten nicht bestrittenen Vortrag des Klägers hatte dieser bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. September 1984 einen Urlaubsanspruch von 24 Tagen für das Jahr 1984.

Ohne Auswirkungen auf den Bestand des Urlaubsanspruchs ist, daß der Kläger vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis seit November 1983 arbeitsunfähig krank war (vgl. in ständiger Rechtsprechung die Entscheidungen des Sechsten Senats seit 28. Januar 1982, BAGE 37, 382 = AP Nr. 11 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch, zuletzt Urteil vom 7. November 1985, BAGE 50, 124 = AP Nr. 16 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch; dieser Auffassung ist der erkennende Senat mit Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, beigetreten).

2.a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht der Auffassung im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Juni 1983 (BAGE 44, 75 = AP Nr. 14 zu § 7 BUrlG Abgeltung) entgegengetreten, daß einem Arbeitnehmer der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht zustehe, wenn er nach andauernder Arbeitsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, ohne die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt zu haben.

b) An dieser Auffassung hält der erkennende Senat seit der Entscheidung vom 14. Mai 1986 (8 AZR 604/84, aaO = SAE 1987, 75 ff. mit zust. Anm. von Oetker) nicht fest. Mit dem Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis allein kann ein Urlaubsabgeltungsanspruch nicht verneint werden. Die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers wegen Krankheit hat auf den Urlaubsabgeltungsanspruch die gleichen Wirkungen wie auf den Urlaubsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Danach setzt die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs voraus, daß der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Dies ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden ist. Darauf hat der Senat seit seinem Urteil vom 14. Mai 1986, aaO, inzwischen in ständiger Rechtsprechung mehrfach abgestellt (vgl. zuletzt das nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 4. September 1987 - 8 AZR 552/85 -).

Erwerbsunfähig ist, wer infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von der Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl. § 1247 Abs. 2 RVO). Die Erwerbsunfähigkeit setzt somit nicht voraus, daß der Arbeitnehmer eine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Bei Prüfung der Erwerbsunfähigkeit findet keine Beschränkung auf den bisherigen Beruf oder, wie dies bei der Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 2 RVO die Regel ist, auf die Berufsgruppe statt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 392 und Bd. III, S. 682 g). Es ist somit nicht ausgeschlossen, daß ein Arbeitnehmer erwerbsunfähig, aber zugleich dennoch arbeitsfähig ist (arg. § 183 Abs. 4 RVO, vgl. Brackmann, Bd. II, aaO; ebenso LAG Niedersachsen Urteil vom 30. August 1985 - 3 Sa 28/85 - S. 7 bis 10).

Zu Unrecht meint das Landesarbeitsgericht, daß es auf die vom erkennenden Senat geforderten Merkmale für die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht ankomme. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Erwägungen des Landesarbeitsgerichts hierzu sind nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen.

Im Anschluß an die Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 30. November 1977 - 5 AZR 667/76 - AP Nr. 4 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit) und die Urteile des Sechsten Senats vom 18. Juni 1980 - 6 AZR 328/78 - AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit) sowie vom 26. Mai 1983 (- 6 AZR 273/82 - AP Nr. 12 zu § 7 BUrlG Abgeltung), denen sich der erkennende Senat in inzwischen ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. zuletzt Urteil vom 24. November 1987 - 8 AZR 140/87 -, zur Veröffentlichung bestimmt), ist davon auszugehen, daß der Urlaubsabgeltungsanspruch am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht als Abfindungsanspruch entsteht, für den es auf weitere Merkmale nicht ankommt, sondern als Ersatz für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht, der damit aber an die gleichen Voraussetzungen gebunden ist wie im übrigen vorher der Urlaubsanspruch. Daraus ergibt sich, daß der als Abgeltung zu zahlende Geldbetrag einem Arbeitnehmer nur dann zusteht, wenn in seiner Person nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, abgesehen vom Bestand der Arbeitspflicht, die gleichen Voraussetzungen gegeben sind wie während des Arbeitsverhältnisses. Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn er nicht vorher erfüllt wird, spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraums.

Der Kläger hat selbst vor dem Landesarbeitsgericht vorgetragen, daß er nicht wieder arbeitsfähig geworden ist, also seine Arbeitsunfähigkeit noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts angedauert hat. Damit war bis zum Erlöschen des Anspruchs am 31. März 1985 der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht erfüllbar. Der Anspruch besteht seit Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 1985 nicht mehr.

Der Kläger hat den Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 1984 erst mit seiner Klage geltend gemacht, also nach Erlöschen des Anspruchs. Damit kann insoweit dahinstehen, welche Wirkungen nach § 2 Nr. 12 UA eintreten könnten, wenn der Anspruch vor dem 31. März 1985 erhoben worden wäre.

c) Damit scheidet auch ein Urlaubsgeldanspruch aus, weil er vom Bestehen des Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs abhängt.

II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit zu Recht angenommen, daß der dem Kläger für das Urlaubsjahr 1983 entstandene Urlaubsanspruch nicht zusteht, weil der Anspruch jedenfalls am 31. März 1984 erloschen ist.

Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus, daß der Kläger am 12. Januar 1984 während seiner Arbeitsunfähigkeit den Resturlaubsanspruch von 1983 "nach den gesetzlichen Bestimmungen vorsorglich geltend" gemacht hat. Dies bezog sich nicht auf den Urlaub für 1984. Vielmehr hat der Kläger diesen Anspruch erstmals am 26. November 1984 mit seiner Klage gefordert. Auch wenn in diesem Verlangen eine Geltendmachung i.S. von § 2 Nr. 12 UA zu sehen wäre, könnte dies nur dann von Bedeutung sein, wenn die Beklagte im Zeitpunkt der Klagerhebung den Urlaubsanspruch des Klägers hätte erfüllen können. Dies war ihr wegen der Krankheit des Klägers nicht möglich (vgl. ebenso die Senatsentscheidungen vom 31. Oktober 1986 - 8 AZR 244/84 - AP Nr. 25 zu § 13 BUrlG und vom 13. November 1986 - 8 AZR 212/84 - AP Nr. 26 zu § 13 BUrlG, jeweils auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Liebers Terbrack

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441689

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