Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsgerichtsprozess. Verletzung rechtlichen Gehörs. Nichtzulassungsbeschwerde. Zulassungsgründe. Divergenz. Aufstellung eines divergierenden Rechtssatzes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nur dann vor, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht die Ausführungen eines Prozessbeteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen hat.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz kann im Arbeitsprozess nur darauf gestützt werden, dass in der anzufechtenden Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt wurde, der von einem solchen des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen in § 72 ArbGG genannten Gerichts abweicht.

3. Ein abweichender Rechtssatz muss sich zwingend aus einer anzufechtenden Entscheidung ergeben und aus ihr unmittelbar und zweifelsfrei abzulesen sein, um den Zulassungsgrund der Divergenz im Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechtfertigen.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; ArbGG §§ 72, 72a

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 25.02.2005; Aktenzeichen 12 Sa 1194/04)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 20.01.2006; Aktenzeichen 1 BvR 2683/05)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. Februar 2005 – 12 Sa 1194/04 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Streitwert: unverändert.

 

Tatbestand

I. Der Kläger hat – soweit noch von Interesse – die Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vom 30. September 2003 und einer weiteren vom 19. Februar 2004 geltend gemacht, wobei die Beklagte die Kündigung vom 30. September 2003 als Änderungskündigung versteht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der auf Verletzung rechtlichen Gehörs, Divergenz und grundsätzliche Bedeutung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde, mit der zugleich “Aufklärungsrüge” erhoben wird. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Beschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG 14. Dezember 2001 – 2 BvR 189/01 – WuM 2002, 140).

2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a) Die Beschwerde meint, das anzufechtende Urteil habe wechselseitigen Vortrag der Parteien nicht berücksichtigt, aus dem sich ergebe, beide Parteien hätten das Kündigungsschreiben vom 30. September 2003 so verstanden, dass es allein ein Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in S… beinhaltet habe.

b) Das trifft nicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat diesen wechselseitigen Vortrag zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Es hat aber den gesamten Parteivortrag im Tatbestand des Urteils in Bezug und zur Kenntnis genommen und auch ersichtlich gewürdigt. Mit dem Argument der Beklagten, für den Kläger habe klar sein müssen, dass es sich nur “um S…” handeln müsse, hat sich das anzufechtende Urteil ausdrücklich auseinandergesetzt. Es ist allerdings zu einem die Beklagte nicht zufrieden stellenden Ergebnis gekommen. Die Beschwerde übersieht bei ihren Angriffen auf das anzufechtende Urteil, worauf es sich bei seiner Würdigung entscheidend stützt, dass nämlich die Beklagte selbst zu der Unklarheit Anlass gegeben, indem sie, obschon es ein schriftliches Angebot zur Weiterbeschäftigung in N… nicht gegeben hatte, im Kündigungsschreiben ausführte:

“Ein schriftliches Angebot, sie in einer unserer Betriebsstätten in S… bzw. N… einzusetzen, haben sie bereits erhalten.”

Im Übrigen übersieht die Beklagte, dass der Vortrag des Klägers zu seinem Verständnis des Schreibens vom 30. September 2003 vom Landesarbeitsgericht vor dem Hintergrund gewürdigt worden ist, dass er das Schreiben überhaupt nicht als Änderungskündigung verstanden hat, was eine immerhin vom Arbeitsgericht geteilte, also jedenfalls diskutable Rechtsauffassung darstellte.

c) Den Vortrag der Beklagten, bei der Firma E… GmbH & Co. KG habe es sich um ein eigenständiges, autonom über Einstellungen entscheidendes Unternehmen gehandelt, hat das Landesarbeitsgericht entgegen der Darstellung der Beschwerde nicht übergangen, sondern sogar ausdrücklich erwähnt. Es hat diesen Vortrag allerdings nicht als geeignet angesehen, die von der Beklagten gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen zu rechtfertigen. Das ist jedoch eine Frage der Rechtsanwendung, die nur auf eine zugelassene Revision hin durch das Bundesarbeitsgericht überprüft werden kann.

3. Gemäß § 72a ArbGG kann eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz nur darauf gestützt werden, dass in der anzufechtenden Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt worden ist, der von einem abstrakten Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der in § 72 ArbGG genannten Gerichte abweicht. Ein abweichender Rechtssatz kann auch in scheinbar einzelfallbezogenen Ausführungen einer Entscheidung liegen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich ein solcher Rechtssatz zwingend aus der Entscheidung ergibt und aus ihr unmittelbar und so deutlich abzulesen ist, dass kein Raum für Zweifel bleibt (BAG 10. Juli 1984 – 2 AZN 337/84 – AP ArbGG 1979 § 72a Divergenz Nr. 15 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 44).

4. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

a) Das anzufechtende Urteil hat den von der Beschwerde selbst gebildeten, nach Auffassung der Beklagten von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts divergierenden Rechtssatz

“Wer eine Willenserklärung abgibt, hat für deren Klarheit zu sorgen. Auf die bloße Erkennbarkeit des Inhalts der Willenserklärung beim Empfänger kommt es zu Lasten des Erklärenden nicht an.”

nicht aufgestellt. Dass es dies nicht ausdrücklich getan hat, räumt die Beschwerde ein. Der Rechtssatz ist aber auch nicht stillschweigend aufgestellt worden. Denn das anzufechtende Urteil baut in der entsprechenden Passage auf der Würdigung auf, die von der Beklagten gewählte Formulierung habe beim Kläger gerade nicht für die erforderliche Klarheit gesorgt.

b) Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, das anzufechtende Urteil weiche durch den Rechtssatz

“Danach kann der Arbeitgeber in Ausnahmefällen zur Vermeidung einer Kündigung verpflichtet sein, Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf eine konzernrechtliche Verflechtung in fremden Betrieben unterzubringen, was sich nicht nur aus dem Arbeitsvertrag, sondern auch einer auf sonstigen Gründen beruhenden Selbstbindung des Arbeitgebers ergeben kann. Erforderlich ist allerdings, dass der Beschäftigungsbetrieb einen bestimmenden Einfluss auf die Übernahmeentscheidung hat.”

von einem Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts aus der Entscheidung vom 23. November 2004 (– 2 AZR 24/04 – DB 2005, 1174) ab, der laute:

“Auch eine solche auf Grund formloser Zusage oder eines voran gegangenen Verhaltens erzeugte Selbstbindung kann den Arbeitgeber verpflichten, vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine anderweitige Unterbringung des Arbeitnehmers in einem Konzernbetrieb zu versuchen. Voraussetzung dafür ist allerdings weiterhin, dass dem Beschäftigungsbetrieb auf Grund einer Abstimmung mit dem beherrschenden Unternehmen oder dem anderen Konzernbetrieb ein bestimmender Einfluss auf die Versetzung eingeräumt worden und die Entscheidung darüber nicht dem grundsätzlich zur Übernahme bereiten Unternehmer vorbehalten worden ist.”

c) Die Sachprüfung ergibt, dass auch insoweit keine Divergenz vorliegt. Vielmehr hat das anzufechtende Urteil in den von der Beschwerde angeführten Formulierungen sowohl den Konzernbezug der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht ausdrücklich erwähnt und sogleich im Anschluss daran betont, der Beschäftigungsbetrieb müsse einen bestimmenden Einfluss auf die Übernahmeentscheidung haben. Das anzufechtende Urteil hat in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erwähnt und damit hinlänglich deutlich gemacht, dass es sich in dem dort bemessenen rechtlichen Rahmen zu bewegen glaubte. Ob es diesen Rahmen richtig beurteilt hat, ist dagegen eine Frage der Subsumtion, deren Richtigkeit erst auf eine zugelassene Revision hin überprüft werden könnte.

d) Die Beschwerde rügt ebenfalls ohne Erfolg, das anzufechtende Urteil sei von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Interessenausgleich lediglich eine Naturalobligation gegenüber dem Betriebsrat darstelle und ein Arbeitnehmer allenfalls den Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG geltend machen könne, dadurch abgewichen, dass es den Rechtssatz aufgestellt habe:

“In einem Interessenausgleich verpflichte sich der Arbeitgeber unbedingt gegenüber dem Arbeitnehmer.”

Das anzufechtende Urteil hat den von der Beschwerde selbst formulierten Rechtssatz weder ausdrücklich noch stillschweigend aufgestellt. Es hat vielmehr die Frage der Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine Beschäftigung bei dem Unternehmen in N… zu beschaffen, ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt einer “Selbstbindung” der Beklagten, nicht aber unter dem Gesichtspunkt eines dem Kläger durch Interessenausgleich eingeräumten Rechtsanspruchs behandelt.

5. Die Beschwerde ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) begründet.

a) Die Beschwerde bezieht sich auf eine Passage aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (14. Oktober 1982 – 2 AZR 568/80 –), die wie folgt lautet:

“Inwieweit und welche Ansprüche sich für den Arbeitnehmer ergeben, wenn ihm eine Versetzungsmöglichkeit in einen anderen Konzernbetrieb vom Arbeitgeber verbindlich in Aussicht gestellt oder zugesagt worden ist, eine Versetzung sich aber zum Beispiel wegen einer fehlenden oder unzureichenden Absprache mit dem anderen Konzernbetrieb nicht durchsetzen lässt, kann dahingestellt und unentschieden bleiben.”

Weiter führt die Beschwerde aus:

“Die Frage, ob und welche Ansprüche sich für den Arbeitnehmer in diesem Fall ergeben ist vorliegend klärungsfähig, weil entscheidungserheblich.”

Damit ist eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bereits nicht hinreichend konkret dargelegt. Die Beschwerde beschreibt vielmehr einen Problemkomplex, der in vielfacher Hinsicht erörterungsfähig ist. Eine bestimmte, bejahend oder verneinend beantwortbare, eingegrenzte Rechtsfrage ist damit von der Beklagten jedoch nicht benannt. Soweit der Beschwerdebegründung die Auffassung zugrunde liegen sollte, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auch dann der Kündigung entgegen stehe, wenn sie vom Arbeitgeber nicht durchgesetzt werden könne, ist diese Frage weder vom Landesarbeitsgericht erörtert worden noch auch aus anderen Gründen entscheidungserheblich. Denn das anzufechtende Urteil geht – anders als die Beklagte – gerade von der Durchsetzbarkeit der Weiterbeschäftigungspflicht aufgrund der besonderen Konstellationen im Streitfall aus.

b) Die Beschwerde hat auch nicht ausreichend dargelegt, dass die von ihr angeführte Rechtsfrage, ob eine Selbstbindung des Arbeitgebers im Sinne der konzernbezogenen Beschäftigungspflicht durch einen Interessenausgleich herbeigeführt werden kann, von grundsätzlicher Bedeutung ist. Die Beschwerdebegründung enthält keine Ausführungen dazu, dass die Frage in Rechtsprechung und Literatur bisher erörtert worden wäre, noch dass sie in der arbeitsrechtlichen Praxis eine Rolle spielt, noch dazu in der hier allein entscheidungserheblichen Sonderkonstellation, dass Geschäftsführeridentität zwischen dem Arbeitgeber und demjenigen Unternehmen besteht, bei dem die Weiterbeschäftigung erfolgen soll.

c) Die von der Beschwerde angesprochene Rechtsfrage, ob “allein die Identität der Geschäftsführer zu einer Zurechnung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in allen Gesellschaften der Geschäftsführer führt”, ist weder vom Landesarbeitsgericht angesprochen noch auch entscheidungserheblich. Es ging im Streitfall vielmehr um die Frage, ob, wenn der Arbeitgeber unter den hier gegebnen Verhältnissen eine Selbstbindung durch eine Verpflichtung in einem Interessenausgleich eingeht, von der Voraussetzung einer Konzernangehörigkeit des Unternehmens, bei dem die Weiterbeschäftigung erfolgen soll, ausnahmsweise abgesehen werden kann. Dass diese – eingegrenzte und sehr spezielle – Frage von grundsätzlicher Bedeutung wäre, hat die Beschwerde, wie oben ausgeführt, nicht hinreichend dargelegt.

d) Nicht entscheidungserheblich ist auch die Frage, ob die Beklagte sich in entsprechender Anwendung von § 162 BGB auf die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit nach Treu und Glauben nicht berufen durfte. Einen Treueverstoß der Beklagten, den die Beschwerdebegründung offenbar für denkbar hält, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt, weshalb es auch nicht darauf ankommen konnte, welche Folgen er hätte.

6. Soweit die Beklagte eine “Aufklärungsrüge” erhebt und sich auf § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG nF bezieht, kann sie keinen Erfolg haben. Die Beklagte bemängelt, ihre Verurteilung sei erfolgt, “ohne dass seitens des Landesarbeitsgerichts überhaupt geklärt war, welcher Arbeitsplatz denn seitens der Beklagten für den Kläger freizumachen wäre”. Die Beschwerde übersieht, dass eine Verurteilung zur Beschäftigung nicht erfolgt ist. Nach dem anzufechtenden Urteil steht lediglich fest, dass die streitbefangen gewesenen Kündigungen das bisherige Beschäftigungsverhältnis nicht beendet haben. Abgesehen davon hat das anzufechtende Urteil die Darlegungslast des Klägers offenkundig als erfüllt angesehen. Ob es damit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zutreffend angewandt hat, ist eine Frage der Rechtsanwendung, die nur auf zugelassene Revision hin durch das Bundesarbeitsgericht überprüfbar wäre.

III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Beschwerde fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

 

Unterschriften

Rost, Eylert, Schmitz-Scholemann, Rosendahl, Bartz

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1692772

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