Leitsatz

Die Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers über die Arbeitnehmereigenschaft eines Gesellschafter-Geschäftsführers stellt keinen Grundlagenbescheid dar. Das Finanzamt kann eine Änderung eines Steuerbescheides daher nicht auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO stützen. Auch eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist dem Finanzamt verwehrt, weil eine geänderte Einstufung durch den Sozialversicherungsträger keine Tatsache im Sinne der Vorschrift darstellt.

 

Sachverhalt

An einer GmbH war der Gesellschafter-Geschäftsführer ab 1994 zu 45 %, seine Ehefrau zu 55 % beteiligt. Die GmbH zahlte dem Geschäftsführer in den Streitjahren 1994 bis 1996 nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Zuschüsse zur Krankenversicherung. Das Finanzamt folgte dem zunächst und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide, die bestandskräftig wurden. Nach einer Lohnsteueraußenprüfung änderte das Finanzamt die Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 AO und erhöhte den Arbeitslohn um die Zuschüsse. Die Änderung stützte das Finanzamt auf ein ihm bisher nicht bekanntes Schreiben eines Sozialversicherungsträgers vom 3.4.1997, wonach der Geschäftsführer - anders als vor 1994 - nicht als Arbeitnehmer im sozialversicherungsrechtlichen Sinne anzusehen sei. Außerdem lägen die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, da die Feststellung des Sozialversicherungsträgers ein rückwirkendes Ereignis darstelle.

 

Entscheidung

Der dagegen gerichteten Klage gab das FG statt. Die Erhöhung des Arbeitslohns war rechtswidrig, da die §§ 173 und 175 AO dem Finanzamt keine Korrektur der Einkommensteuerbescheide erlaubten.

§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nicht einschlägig, da es sich bei einer Entscheidung eines Trägers der Sozialversicherung nicht um einen steuerlichen Grundlagenbescheid handelt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Arbeitnehmerbegriff um Steuer- und Sozialversicherungsrecht nicht identisch ist. Somit entfaltet die Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers keine Bindungswirkung für die Finanzverwaltung. Vielmehr hat diese ein eigenes Prüfungsrecht.

Auch eine Änderung wegen eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO schied aus, weil das Schreiben des Sozialversicherungsträgers bereits vor dem Erlass der Einkommensteuerbescheide ergangen war, somit keine Rückwirkung mehr entfalten konnte. Ohnehin hatte der Sozialversicherungsträger den Geschäftsführer erst ab Mai 1997, nicht jedoch rückwirkend als Selbständigen eingestuft.

Schließlich war auch eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 3 AO wegen des Bekanntwerdens einer neuen Tatsache nicht möglich, weil die Beurteilung, ob ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Sozialversicherungsrechts vorliegt, keine Tatsache im Sinne der Vorschrift ist. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Würdigung, die wiederum auf Tatsachen beruht, nämlich auf dem GmbH-Vertrag, der Beteiligungshöhe etc.

Allerdings hat das FG die Revision zugelassen, weil bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Qualifikation einer Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers als Grundlagenbescheid vorliegt.

 

Hinweis

Die Entscheidung ist nicht nur hinsichtlich der Beurteilung der Änderungsvorschriften der AO bemerkenswert, sondern auch weil sie der Praxis der Finanzverwaltung widerspricht. So hat zuletzt die OFD Düsseldorf (Verfügung vom 31.7.2003, S 2333 A - St 22) noch ausgeführt, dass sich die Beurteilung, ob ein (beherrschender) Gesellschafter-Geschäftsführer als Arbeitnehmer anzusehen ist oder nicht, allein nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften richtet und die Entscheidung darüber die zuständige Einzugsstelle des Sozialversicherungsträgers trifft. Das FG fordert dagegen, dass die Finanzverwaltung sich ein eigenes Urteil bildet.

 

Link zur Entscheidung

Niedersächsisches FG, Urteil vom 22.05.2003, 10 K 535/99

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