OFD München, 1.10.2003, O 1057 - 211 St 311

In der Rechtsprechung der Zivilgerichte hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Vorschriften der AO und der FGO einem materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von Kosten des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nach den allgemeinen Regelungen der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) nicht entgegenstehen.

Auch der BFH hat in einer Entscheidung vom 23.7.1996 (VII B 42/96, BStBl 1996 II S. 501) etwaige Ansprüche auf Kostenerstattung wegen Amtspflichtverletzung ausdrücklich unberührt gelassen.

 

1. Materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzungen

Ein Schadensersatzanspruch auf Grund der allgemeinen Regelungen zur Amtshaftung kommt unter folgenden Voraussetzungen in Betracht:

 

1.1 Amtspflichtverletzung

Werden die notwendigen Auslagen für die Einschaltung eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe bei der Einlegung eines Einspruchs im Wege des Schadensersatzes nach § 839 Abs. 1 BGB geltend gemacht, muss der Antragsteller eine Amtspflichtverletzung eines Beamten nachweisen. Hierzu genügt es nicht, dass der angegriffene Steuerbescheid fehlerhaft war und deshalb im Einspruchsverfahren abgeändert wurde. Nicht jede unrichtige Sachbehandlung stellt auch gleichzeitig eine Amtspflichtverletzung dar. Diese setzt vielmehr voraus, dass die Handlungsweise des Beamten gegen den klaren, bestimmten und eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt oder im Gegensatz zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung steht oder die Gesetzesanwendung offenbar unrichtig, d.h. schlechthin nicht vertretbar ist. Beispiele: Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (§ 91 AO), unterlassene Ermittlung von Amts wegen (§ 88 AO), fehlerhafte oder unterlassene Rechtsanwendung, Nichtanwendung neuer BFH-Rechtsprechung (vgl. OLG Koblenz vom 17.7.2002, 1 U 1588/01, DB 2003 S. 360), Organisationsverschulden.

 

1.2 Drittbezogenheit der Amtspflicht

Die Amtspflicht darf nicht nur gegenüber der Behörde oder gegenüber der Allgemeinheit bestehen. Zweck der Amtspflicht muss mindestens auch die Wahrnehmung der Interessen des Einzelnen sein.

Dritter ist jeder, dessen konkreten Interessen die Amtspflicht dient und in dessen Rechtskreis durch die Amtspflichtverletzung eingegriffen wird. Den Gemeinden können keine Schadensersatzansprüche gegen die mit der Verwaltung der Gewerbesteuer befassten Bediensteten der Finanzämter und gegen das Land zustehen, da die Bediensteten der Finanzämter bei der Verwaltung der Gewerbesteuer keine Amtspflichten erfüllen, die ihnen den Gemeinden gegenüber als Dritten obliegen.

 

1.3 Verschulden

Die Amtspflichtverletzung muss zudem schuldhaft sein. Eine Amtspflichtverletzung kann vorsätzlich oder fahrlässig erfolgen. Vorsatz bedeutet wissentliches und pflichtwidriges Verhalten. Bei der Prüfung der Fahrlässigkeit sind nach der Rechtsprechung des BGH nicht die Kenntnisse, die der betreffende Beamte besitzt, sondern die Anforderungen maßgebend, die an einen „pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten” zu stellen sind (Thomas, in: Palandt, BGB, 62. Aufl., Rn. 53 zu § 839). Demnach ist die Handlungsweise eines Beamten nur dann eine fahrlässige Amtspflichtverletzung i.S. des § 839 BGB, Art. 34 GG, wenn sie zumindest fahrlässig, d.h. unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt begangen worden ist.

 

1.4 Kausalität

Die Amtspflichtverletzung muss kausal für den entstandenen Schaden sein.

 

1.5 Haftungsausschluss

Gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Haftung ausgeschlossen, wenn der Verletzte eine andere Ersatzmöglichkeit hat. Die Haftung ist gemäß § 839 Abs. 3 BGB vor allem auch dann ausgeschlossen, wenn es der Geschädigte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

 

1.6 Mitverschulden

Schließlich ist das Mitverschulden des Geschädigten gemäß § 254 BGB zu prüfen. Ein Mitverschulden kann bei der Entstehung des Schadens vorliegen, wenn der Geschädigte seine Mitwirkungspflicht gemäß § 90 AO verletzt hat. Außerdem hat der Geschädigte eine Schadensminderungspflicht. Nach den subjektiven Fähigkeiten und Kenntnissen des Steuerpflichtigen kann die Einschaltung eines Steuerberaters entbehrlich sein.

 

1.7 Rechtsfolgen

Ist einem Beamten danach eine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten anzulasten, führt diese zu einer Ersatzpflicht des Freistaates Bayern, wenn eine zur Hilfeleistung in Steuersachen befugte Person erstmals im Rechtsbehelfsverfahren mit der Angelegenheit befasst wird.

 

2. Verfahren nach den Grundsätzen in der Gemeinsamen Bekanntmachung (FMBI 1995 S. 240) zum Vollzug der Vertretungsverordnung (VB-VertrV)

 

2.1 Geltendmachung

Ansprüche gegen den Freistaat Bayern sind bei der Ausgangsbehörde geltend zu machen. Ausgangsbehörde in diesem Sinne sind die Finanzämter und Außenstellen (im Folgenden: FA). Das FA soll innerhalb angemessener Frist von dem Zeitpunkt an, zu dem es durch die antragstellende Person erstmals von dem Anspruch erfahren hat, der antragstellenden Person mitteilen, ob es den Anspruch ablehnt, anerkennt oder zu einer gütlichen ...

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