Eine in Litauen ansässige UAB (eine AG nach litauischem Recht) stellte litauischen Transportunternehmen Tankkarten zur Verfügung, mittels derer die Unternehmen Kraftstoff bei bestimmten polnischen Tankstellen erwerben konnten. Hierzu stellte die UAB Rechnungen über die Lieferung von Kraftstoff an die betreffenden Unternehmen aus und wies die USt offen aus.

Die polnische FinVerw. führte eine Betriebsprüfung bei der UAB durch und stellte sich auf den Standpunkt, dass die Gesellschaft in Polen weder Kraftstoff erworben noch geliefert habe. Der Kraftstoff sei vielmehr von den polnischen Tankstellen unmittelbar an die litauischen Spediteure geliefert worden. Die Tätigkeit der UAB habe lediglich darin bestanden, den Erwerb von Kraftstoff an diesen Tankstellen durch die litauischen Spediteure zu finanzieren. Dies aber stelle eine Finanzdienstleistung dar, die in Polen umsatzsteuerfrei sei. Deshalb setzte die FinBeh. einen zu zahlenden MWSt-Betrag wegen des unberechtigten Steuerausweises fest. Da die von der UAB ausgestellten Rechnungen im Übrigen auch die Geschäftsvorfälle nicht zutreffend widerspiegelten, stellte die zuständige polnische FinBeh. auch fest, dass der UAB kein Vorsteuerabzug aus den Einkaufsrechnungen zustehe, welche die Tankstellenbetreiber ihr für den Einkauf von Kraftstoff ausgestellt hatten.

Die Klage der UAB bei dem in Polen zuständigen Verwaltungsgericht führte zur Aufhebung des betreffenden Bescheides. Dagegen legte die FinVerw. die sog. Kassationsbeschwerde beim Obersten Verwaltungsgericht in Polen ein. Dieses hob das Urteil der Vorinstanz auf und verwies die Sache zurück. Nach Klagabweisung legte die UAB Rechtsmittel ein, woraufhin das Rechtsmittelgericht ein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH stellte.

Der EuGH entschied, dass es gegen Unionsrecht verstoße, wenn ein gutgläubiger Steuerpflichtiger nicht die Möglichkeit habe – auch nach einer begonnenen bzw. durchgeführten Außenprüfung – Rechnungen zu berichtigen, in denen zu Unrecht MWSt ausgewiesen worden sei, obwohl der Rechnungsempfänger einen Vorsteuererstattungsanspruch gehabt hätte, wenn die Umsätze, die Gegenstand dieser Rechnungen gewesen seien, ordnungsgemäß erklärt worden wären. Eine solche Berichtigung ermögliche das polnische Recht zwar grundsätzlich, nicht jedoch, wenn gegen den Betroffenen eine Steuerprüfung eingeleitet worden sei. Der EuGH stellt damit klar, dass zwar nach Art. 203 der RL 2006/112 die MWSt von jeder Person geschuldet werde, die diese Steuer in einer Rechnung ausweise. Somit entspreche es seiner st. Rspr., dass die in einer Rechnung ausgewiesene MWSt vom Rechnungsaussteller geschuldet werde, auch wenn ein tatsächlich steuerpflichtiger Umsatz fehle (vgl. EuGH v. 8.5.2019 – C- 712/17, BB 2019, 1237 = HFR 2019, 634 = NZWiSt 2020, 67). Es sei aber Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten, die Neutralität der MWSt als ein Grundprinzip des gemeinsamen MWSt-Systems zu gewährleisten und somit im jeweiligen nationalen Recht ein Verfahren vorzusehen, wonach zu Unrecht in Rechnung gestellte MWSt bei nachgewiesener Gutgläubigkeit des Rechnungsausstellers berichtigt werden könne. Dies treffe auch auf die vorliegende Konstellation zu, wenn ein Steuerpflichtiger insofern gutgläubig sei, als er unter Berufung auf eine ständige Praxis der polnischen Steuerbehörden davon ausgegangen sei, dass die Hingabe von Tankkarten an Wirtschaftsteilnehmer keine in Polen umsatzsteuerfreie Finanzdienstleistung darstelle, sondern eine Lieferung von Gegenständen.

Anmerkung: Nach deutschem USt-Recht kann eine Rechnung bei unberechtigtem Steuerausweis berichtigt werden, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist (§ 14c Abs. 2 S. 3 UStG). Dies ist der Fall, wenn entweder der Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug noch nicht vorgenommen hat oder die geltend gemachte Vorsteuer an die FinBeh. zurückgezahlt worden ist (§ 14c Abs. 2 S. 4 UStG). Dabei spielt es keine Rolle, ob beim Rechnungsaussteller oder Rechnungsempfänger eine Außenprüfung angeordnet, begonnen oder durchgeführt worden ist. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags muss allerdings nach § 14c Abs. 2 S. 7 UStG beim FA gesondert schriftlich beantragt werden und kann erst nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorgenommen werden, in dem die Gefährdung des Steueraufkommens nach § 14c Abs. 2 S. 4 UStG beseitigt worden ist. Das FA des Rechnungsausstellers hat sodann durch Einholung einer Auskunft beim FA des Rechnungsempfängers zu ermitteln, in welcher Höhe und wann ein unberechtigt in Anspruch genommener Vorsteuerabzug durch den Rechnungsempfänger zurückgezahlt wurde (Abschn. 14c.2 Abs. 5 Sätze 3, 4 UStAE; Neeser in Wäger, UStG, 1. Aufl. 2020, § 14c Rz. 82).

Nur wenn durch die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten keine Berichtigung des unberechtigt ausgewiesenen Steuerbetrags mehr eröffnet ist – etwa wegen Unabänderbarkeit infolge Festsetzungsverjährung (vgl. § 169 Abs. 1 S. 1 AO) –, muss das FA die Berichtigung nach ...

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