1. § 44 Abs. 2 FGO – Isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung einer Familienkasse bei einem durch eine sachlich unzuständige Behörde erlassenen Ursprungsbescheid

Im Fall hatte die beklagte Familienkasse Nordrhein-Westfalen West den Einspruch der Klägerin gegen die Ablehnung eines Erlassantrags durch die Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse zurückgewiesen. Nach einem Hinweis des FG hat die Klägerin die Klage auf die Aufhebung der Einspruchsentscheidung beschränkt.

Dies Beschränkung hat der BFH als zulässig angesehen. Es handele sich nämlich nicht um eine Klageänderung i.S.d. § 67 Abs. 1 FGO. Denn mit der Beschränkung des Klageantrags werde kein neuer Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt.

Die Beschränkung hat der BFH auch deshalb als nicht zu beanstanden angesehen, weil die Beklagte nur insoweit prozessführungsbefugt sei. Denn eine Klage sei nach § 63 Abs. 1 FGO immer gegen die Behörde zu richten, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen habe. Daher sei gegen den Ausgangsbescheid, ungeachtet der fehlenden sachlichen Zuständigkeit, allein die Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse und nicht die Beklagte passivlegitimiert.

Die Bejahung eines besonderen Rechtsschutzinteresses durch das FG war nach Ansicht des BFH nicht zu beanstanden. Denn unter den Umständen des Streitfalls habe eine eigenständige Beschwer der Klägerin insofern vorgelegen, als die für den Erlassantrag sachlich zuständige Beklagte lediglich eine Einspruchsentscheidung erlassen hatte. Aus prozessökonomischen Gründen und im Interesse effektiven Rechtsschutzes der Klägerin, habe das FG daher die Zulässigkeit isolierten Anfechtungsklage bejahen können.

BFH v. 26.10.2023 – III R 16/22

2. § 51 Abs. 1 FGO – Erfolgreiche Richterablehnung im Wiederaufnahmeverfahren

Nach der Entscheidung ist eine Besorgnis der Befangenheit im Wiederaufnahmeverfahren regelmäßig zu bejahen, wenn die Restitutionsklage auf eine strafbare Verletzung der Amtspflicht des abgelehnten Richters gestützt ist (§ 580 Nr. 5 ZPO). Dies gelte auch dann, wenn die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 581 ZPO nicht dargelegt seien. Denn für ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch seit bereits die begründete Befürchtung ausreichend, dass der betreffende Richter verfahrensrechtlich nicht unvoreingenommen handeln könnte (BFH v. 28.5.2001 – IV B 118/00, BFH/NV 2001, 1431, unter II.2). Auch bei einer vernünftig denkenden Partei sei im Fall des § 580 Nr. 5 ZPO die Befürchtung nachvollziehbar, dass der betreffende Richter nicht mit voller Unbefangenheit über die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zur Prüfung des gegen ihn gerichteten Vorwurfs einer strafbaren Verletzung der Amtspflicht urteilen könne.

Hess. FG v. 20.12.2023 – 10 K 1350/22

3. § 63 FGO – Keine wirksame Begründung der Zuständigkeit der Familienkasse Zentraler Kinderservice Magdeburg durch den Vorstandsbeschluss der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12/2022 vom 27.1.2022

Mit Vorstandsbeschluss Nr. 12/2022 vom 27.1.2022 (ANBA 2022 Nr. 5 S. 1) hat der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit für Fälle mit besonderen Schutzbedarfen die „Familienkasse Zentraler Kindergeldservice (ZKGS), in Sachsen-Anhalt Nord (Standort Magdeburg) gegründet. Dies war im Streitfall die Beklagte, da sie die Einspruchsentscheidung erlassen hatte. Ein zeitliches Inkrafttreten ist in dem Beschluss nicht geregelt. Zum sachlichen Anwendungsbereich heißte es unter "2.1. Zuständigkeit für besondere Personengruppen":

Personen, deren Daten – und damit der gesamte Fall – besonders schützenswert sind. Dies ist z.B. gegeben, wenn

  • eine Person in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht
  • Die Daten einer Person mit einem Schutzkennzeichen zu schützen sind. Dies sind aktuell:

    • Mitarbeiter-Sperre,
    • Auskunftssperre,
    • Adoptionspflege-Sperre,
    • Melderecht-Sperre,
    • Kind mit Behinderung.

Das FG hat die Gründung des ZKGS als unwirksam verworfen. Zwar sei der Vorstand gem. § 5 Abs. 1 Nr. 11 S. 4 FVG befugt gewesen innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs, abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden, die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse zu übertragen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass für den Steuerpflichtigen erkennbar sein müsse an welche Behörde er sich wenden kann und muss bzw. welcher Behörde er eine etwaige Abtretungserklärung anzeigen müsse.

Diesen Anforderungen genügt der Vorstandsbeschluss nach Ansicht des Gerichts nicht. So regele der in den amtlichen Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichte Vorstandsbeschluss schon nicht den Zeitpunkt seines Inkrafttretens, sondern überlasse dies vielmehr internen Anweisungen der Bundesagentur für Arbeit in Form von E-Mails innerhalb der Behörde. Ferner sei schon nicht erkennbar von wem diese E-Mails stammten bzw. stammen müssten. Vorstandsbeschlüsse lägen zum zeitlichen Inkrafttreten nicht vor und eine Delegationsbefugnis enthalte § 5 Abs. 1 Nr. 11 S. 4 FVG nicht.

Unabhängig davon sei auch nicht klar, ob mit Personen, deren Daten besonders schützenswert seien die Kindergeldberechtigten, die Kinder oder beide gemeint sein sollten. Sofern damit Kinder angesprochen werden sollten sei auch weiterhin unklar, ob dann die ZKGS allein für das behinderte Kind zuständig werde oder auch für andere, weitere Kinder desselben Kindergeldberechtigten.

Letztlich sei ...

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