Die zu besprechende Entscheidung hat Seltenheitswert: Der BFH hat mit einem Beschluss vom 3.3.2021 festgestellt, dass sein zuvor in der Streitsache ergangenes Urteil vom 19.6.2019, das den Beteiligten am 10.1.2020 zugestellt wurde, unwirksam ist und hat dieses zudem klarstellend aufgehoben. Das Urteil verstößt gegen die Vorschrift des § 105 Abs. 1 S. 2 FGO. Nach dieser Vorschrift muss das schriftlich abzufassende Urteil von den Richterinnen und Richtern unterzeichnet werden, die an der Entscheidungsfindung mitgewirkt haben. Die Unterschriften unter dem Urteil müssen dabei stets einen Text umfassen, der dem Beratungsergebnis entsprechend verfasst und den Unterschreibenden zur Gänze bekannt war (BVerwG v. 15.9.1995 – 4 B 173/95, DVBl. 1996, 106; BGH v. 10.1.1978 – 2 StR 654/77, NJW 1978, 899). Diese Voraussetzung war im Streitfall nicht erfüllt. Im Zuge des Unterschriftenumlaufs ist vom Berichterstatter ein Textvorschlag erarbeitet und dem Urteilsentwurf beigefügt worden. Dieser Textvorschlag wurde von den Unterschriften der anderen Richter gedeckt. Jedoch ist dieser Text nicht in das den Beteiligten zugestellte Urteil aufgenommen worden. Der damalige Senatsvorsitzende hatte eine Änderung des Urteilsentwurfs veranlasst, die die anderen Richter, die an dem Urteil mitgewirkt haben, nicht mehr zur Kenntnis erhalten hatten. Damit decken die Unterschriften nicht mehr den Text des Urteils ab, der den Beteiligten zugestellt wurde. Dieser Mangel kann nicht nachträglich geheilt werden. Entsprechend der Vorschrift des § 105 Abs. 4 S. 3 FGO muss bei der Zustellung an Verkündungs statt (§ 104 Abs. 2 FGO) die Übergabe der vollständigen, mit den Unterschriften der beteiligten Richter versehenen Urteilsfassung an die Geschäftsstelle "alsbald nachträglich" erfolgen. Nach der Rspr. des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Parallelvorschrift des § 117 Abs. 4 VwGO (Beschl. v. 27.4.1993 – GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603) ist die äußerste Grenze für den unbestimmten Rechtsbegriff "alsbald" fünf Monate nach der Übermittlung der Urteilsformel an die Geschäftsstelle. Ansonsten wäre eine Übereinstimmung der Entscheidungsgründe mit dem Ergebnis der Verhandlung und Beratung nicht mehr sichergestellt. Im Streitfall war der Zeitraum von fünf Monaten nach Abfrage des Urteilstenors bei der Geschäftsstelle durch die Beteiligten abgelaufen. Dementsprechend war das zugestellte Urteil unwirksam. Da die Beteiligten den Urteilstenor bei der Geschäftsstelle des Senats abgefragt hatten, hat der BFH das Urteil klarstellend aufgehoben, um den Rechtsschein eines wirksamen Urteils zu beseitigen. Schließlich hat der BFH die mündliche Verhandlung gem. § 93 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 121 S. 1 FGO wieder eröffnet, um eine Übereinstimmung der Entscheidungsgründe mit dem Ergebnis der Verhandlung und Beratung sicherzustellen.

BFH v. 3.3.2021 – I R 32/17

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