Der Steuerpflichtige hat ein Verschulden seines steuerlichen Beraters zu vertreten, dessen er sich zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient. Ein steuerlicher Berater handelt grob fahrlässig i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er die in der Anlage N-Gre ausdrücklich gestellte Frage nach steuerfreien Kinderzulagen bei einem in der Schweiz tätigen Grenzgänger nicht beantwortet, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung und Aufarbeitung des steuerrelevanten Sachverhalts aus den (monatlichen) Gehaltsmitteilungen des Steuerpflichtigen erkennen konnte, dass in dem in der Jahreslohnbescheinigung ausgewiesenen Arbeitslohn steuerfreie Kinderzulagen enthalten waren (BFH v. 28.4.2020 – VI R 24/17, BFH/NV 2020, 1249).

Die Änderung eines nach Versäumung der Einspruchsfrist formell bestandskräftig gewordenen ESt-Bescheids kann ein Steuerpflichtiger zu seinen Gunsten nur erreichen, wenn ihm entweder wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann oder wenn ihn am verspäteten Bekanntwerden der für ihn günstigen Tatsachen oder Beweismittel i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kein grobes Verschulden trifft. Ein solches grobes Verschulden des Steuerpflichtigen ist im Fall eines Schätzungsbescheids wegen Nichtabgabe der Steuererklärung regelmäßig zu bejahen (FG Bremen v. 19.9.2019 – 1 K 20/19 (3), EFG 2019, 1880).

Bestandskräftige ESt-Bescheide, in denen bestimmte Einnahmen eines Chefarztes erklärungsgemäß sowohl als Einkünfte aus selbständiger als auch als solche aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt wurden, sind nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO änderbar, wenn die Steuerpflichtigen oder ihre steuerlichen Berater ein grobes Verschulden an der unrichtigen Angabe der Einkünfte trifft (FG Münster v. 15.2.2019 – 14 K 2122/16 E, EFG 2020, 629, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 9/20).

Für die Frage, ob eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) "Steuer" führt, kommt es bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung von ertragsteuerrechtlichen Besteuerungsgrundlagen einer Personengesellschaft nach § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO (Gewinnfeststellung) darauf an, ob und wie sich die Besteuerungsgrundlagen für jeden einzelnen Feststellungsbeteiligten erhöhen oder verringern. Hingegen sind für die Gewinnfeststellung (Grundlagenbescheid i.S.v. § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 S. 1 AO) die steuerlichen Auswirkungen in den Folgebescheiden für die Änderung nach § 173 Abs. 1 AO nicht maßgeblich. Der BFH hat zu § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO (das grobe Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln zu Lasten des Steuerpflichtigen stehen) entschieden, dass selbst wenn das FA von seinen Ermittlungsbefugnissen keinen zureichenden Gebrauch gemacht hat, trotz Annahme einer ungenügenden Mitwirkung des Steuerpflichtigen die ihn betreffenden Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden können (BFH v. 10.9.2020 – IV R 6/18, BStBl. II 2021, 197 = AO-StB 2021, 46 [Marfels]).

In den Vergleich, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder einer niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führt, ist im Rahmen der Günstigerprüfung gem. § 32d Abs. 6 EStG nicht nur die festgesetzte Einkommensteuer, sondern auch die durch den Abzug vom Kapitalertrag abgegoltene Einkommensteuer einzubeziehen. In einen entsprechenden Vergleich sind auch anzurechnende Abzugsbeträge einzubeziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge in die Veranlagung und die damit verbundene erhöhte Steuerfestsetzung nicht das Ziel des Änderungsbegehrens, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Erstattung der inländischen Abzugsbeträge ist. Eine Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids kann in diesen Fällen nur nach Maßgabe des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (kein grobes Verschulden) erfolgen.

In einen entsprechenden Vergleich sind auch die mit den nacherklärten Kapitalerträgen in Zusammenhang stehenden, anrechenbaren ausländischen Steuerbeträge und EU-Quellensteuern einzubeziehen, deren Anrechnung und Erstattung erreicht werden soll. Auch in diesem Fall ist die begehrte Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zulässig (BFH v. 25.3.2021 – VIII R 7/18, AO-StB 2021, 285 [Beckmann]).

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