Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderungsmöglichkeiten für Schätzungsbescheide ohne Vorbehalt der Nachprüfung nach Ablauf der Einspruchsfrist: § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO und § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nicht anwendbar. Anforderungen an Rechtsbehelfsbelehrung. keine Wiedereinsetzung bei bewusst unterlassenem Einspruch

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sind nach Nichtabgabe von Steuererklärungen Schätzungsbescheide nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) ergangen und hat der Steuerpflichtige nicht innerhalb der Einspruchsfrist Einspruch eingelegt, so können die Schätzungsbescheide nicht nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO oder § 164 Abs. 2 Satz 1 AO geändert werden. Das gilt auch dann, wenn eine Beifügung des Vorbehalts der Nachprüfung sachgerecht gewesen sein sollte oder wenn der Steuerpflichtige eine Festsetzung unter Vorbehalt erwartet hatte (vgl. BFH, Beschluss v. 12.7.2012, I R 32/11).

2. Das Finanzamt ist bei Erlass eines Schätzungsbescheids ohne Vorbehalt der Nachprüfung nicht unter Rechtsschutzgesichtspunkten verpflichtet, in der Rechtsbehelfsbelehrung gesondert auf die unterlassene Beifügung des Vorbehalts der Nachprüfung sowie die dadurch bedingte Nichtanwendbarkeit der Änderungsvorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO hinzuweisen. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist auch nicht wegen eines in den Erläuterungen zur Festsetzung der Schätzungsbescheide enthaltenen Hinweises auf die fortbestehenden Steuererklärungspflichten des Steuerpflichtigen unrichtig.

3. Hat der Steuerpflichtige deshalb bewusst keinen Einspruch eingelegt, weil er unzutreffend von einer Änderbarkeit der Schätzungsbescheide nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO ausging und weil er in den Erläuterungen zu den Bescheiden unter Hinweis auf die fortbestehende Steuererklärungspflicht aufgefordert wurde, seine Steuererklärungen nachzureichen, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

 

Normenkette

AO § 162 Abs. 1-2, § 164 Abs. 1, 2 S. 1, § 173 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 355 Abs. 1 S. 1, § 356 Abs. 1, 2 S. 1, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 110 Abs. 1-2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Änderbarkeit von Schätzungsbescheiden über Einkommensteuer.

Der Kläger ist Jurist und erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbstständiger und aus selbstständiger Arbeit. Trotz Erinnerung an die Abgabe von Steuererklärungen und eines darin enthaltenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Schätzung gab der Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2014 bis 2016 ab.

Daraufhin erließ der Beklagte am 09.08.2017 für 2014 und 2015 und am 19.03.2018 für 2016 Einkommensteuerbescheide, denen er geschätzte Besteuerungsgrundlagen zugrunde legte. Diese Bescheide ergingen ohne Vorbehalt der Nachprüfung im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO). Sie enthielten u.a. folgende „Erläuterungen zur Festsetzung”:

”Das Finanzamt hat die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO geschätzt, weil Sie trotz Aufforderung bisher keine Steuererklärung abgegeben haben. Trotz der Schätzung kann eine Steuerstraftat / Steuerordnungswidrigkeit vorliegen. Reichen Sie bitte Ihre Steuererklärung unverzüglich nach, denn die Schätzung befreit sie nicht von ihrer Erklärungspflicht.”

Die den Bescheiden angefügte Rechtsbehelfsbelehrung enthielt u.a. folgende Hinweise:

”Die Festsetzung der Einkommensteuer, (…) können mit dem Einspruch angefochten werden. (…)

Die Einsprüche sind bei dem vorbezeichneten Finanzamt oder bei der angegebenen Außenstelle schriftlich einzureichen, diesem / dieser elektronisch zu übermitteln oder dort zur Niederschrift zu erklären. (…)

Die Frist für die Einlegung eines Einspruchs beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen dieser Bescheid bekannt gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass der Bescheid zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.”

Am 24./25.05.2018 übermittelte der Kläger dem Beklagten Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre. Dies deutete der Beklagte als Antrag auf Änderung der betreffenden Schätzungsbescheide.

Mit Bescheid vom 05.07.2018 lehnte der Beklagte diesen Änderungsantrag mit der Begründung ab, der Antrag und die Steuererklärungen seien verspätet eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO lägen nicht vor. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei nicht möglich, da den Einspruchsführer grobes Verschulden treffe. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO bzw. § 177 Abs. 1 AO sei lediglich bis zur ursprünglich festgesetzten Steuer möglich und könne daher nicht zu einer niedrigeren Steuer führen.

Am 10.08.2018 erhob der Kläger hiergegen Einsprüche. Diese richtete er gegen die Festsetzung von Einkommensteuer für die Streitjahre durch die Bescheide vo...

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