Leitsatz

* 1. Werbeprospektverteiler können Arbeitnehmer oder Gewerbetreibende sein.

2. Die Frage, ob ein Steuerpflichtiger selbstständig/gewerblich bzw. nichtselbstständig tätig ist, ist nicht nach der betreffenden Berufsgruppe, sondern aufgrund einer Vielzahl von in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien nach dem Gesamtbild der jeweiligen Verhältnisse zu beurteilen.

3. Diese Kriterien sind im konkreten Einzelfall vom Finanzgericht als Tatsacheninstanz jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen.

4. Es gehört in erster Linie zur tatrichterlichen Überzeugungsbildung, wie bei einer Gesamtwürdigung die Gewichte verschiedener Indizien gesetzt werden.

* Leitsätze nicht amtlich

 

Normenkette

§ 19 Abs. 1 EStG , § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt einen Werbemittelvertrieb. Sie beauftragt Verteiler, Werbeprospekte an Haushalte zu verteilen. Das FA behandelte die Werbeprospektverteiler als Arbeitnehmer der Klägerin und forderte von ihr bisher nicht abgeführte LSt nach.

Das FG hob den Nachforderungsbescheid auf. Bei Würdigung und Abwägung der maßgeblichen Umstände seien die Werbeprospektverteiler keine Arbeitnehmer der Klägerin. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde brachte das FA im Wesentlichen vor, die Vorentscheidung weiche vom BFH-Urteil vom 24.7.1992, VI R 126/88, BStBl II 1993, 155 (Stromableser als Arbeitnehmer) ab.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Nichtzulassungsbeschwerde des FA zurück. Eine Divergenz zu der genannten Vergleichsentscheidung in BStBl II 1993, 155 liege nicht vor. Das FG habe diese BFH-Entscheidung ausdrücklich zur Grundlage seiner eigenen Entscheidung gemacht. Das FG sei zwar zu einer anderen Rechtsfolge als der BFH im sog. Stromableser-Fall gekommen. Es gehöre aber zur tatrichterlichen Überzeugungsbildung des Tatrichters, wie bei einer Gesamtabwägung die Gewichte verschiedener Indizien und Kriterien gesetzt werden.

Die Würdigung des FG sei vertretbar. Angesichts dessen habe das FG weder gegen Denkgesetze noch gegen den Akteninhalt verstoßen. Das FG habe zu seiner Überzeugung kommen können; es sei nicht erforderlich, dass es zu ihr habe kommen müssen. Im Grund greife das FA – in nicht zulässiger Weise – die Einzelfallwürdigung durch das FG an.

 

Hinweis

1. Die Unterscheidung, ob eine Person selbstständig oder unselbstständig tätig ist, hat für viele steuerliche Erwägungen Bedeutung. Bei Nichtselbstständigkeit hat der Arbeitgeber LSt einzubehalten und abzuführen; im Fall der Unterlassung kann er – wie im Streitfall – im Haftungsweg in Anspruch genommen werden. Bei Nichtselbstständigkeit besteht zudem die Möglichkeit der Steuerpauschalierung (§ 40 ff. EStG). Bei Selbstständigkeit fällt i.d.R. Gewerbesteuer an.

2. Angesichts dieser (wenigen) Unterschiede und Auswirkungen besteht häufig Streit, ob Steuerpflichtige Arbeitnehmer oder Selbstständige bzw. Gewerbetreibende sind. Die Abgrenzung kann im Einzelfall äußerst schwer fallen. Die Schwierigkeit besteht insbesondere darin, dass sich der Arbeitnehmerbegriff nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale bestimmen lässt. Das Gesetz bedient sich nicht eines tatbestandlich scharf umrissenen Begriffs, der auf eine einfache Subsumtion hoffen ließe.

Der Begriff des Arbeitnehmers ist vielmehr ein offener Typus, der nur durch eine größere und (auch) unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann (und deshalb auch neuzeitlichen Entwicklungen ohne weiteres zugänglich ist). Aus diesen Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Frage, ob jemand eine selbstständige oder nichtselbstständige Tätigkeit ausübt, anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen.

3. Welche Kriterien im Einzelnen dieses Gesamtbild formen und veranschaulichen, hat der BFH im Urteil vom 14.6.1985, VI R 150-152/82, BStBl II 1985, 661beispielhaft aufgeführt. Diese Abgrenzungsmerkmale sind im konkreten Einzelfall jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Diese Aufgabe obliegt in erster Linie dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz. Die im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Führt der Tatrichter diese Gesamtwürdigung sorgfältig durch, so wird eine Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde regelmäßig kaum Erfolg haben können.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 9.9.2003, VI B 53/03

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