Rz. 1
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Die Besteuerung knüpft grundsätzlich an die bürgerlich-rechtlichen Formen an, wie sie die Beteiligten gestalten. Die Stpfl sind deshalb berechtigt, die für sie steuerlich günstigste Form der rechtlich zulässigen Gestaltung eines Sachverhalts zu wählen. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen (BFH 137, 433 = BStBl 1983 II, 272), wenn die Gestaltungen ernsthaft vereinbart sind und die Beteiligten sie auch wie vereinbart durchführen.
Rz. 2
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Zu einer Steuerumgehung kommt es erst bei einer – gemessen an dem erstrebten Ziel – unangemessenen Gestaltung. Das ist zunächst für jede Steuerart gesondert nach den Wertungen des Gesetzgebers zu beurteilen (BFH 170, 299 = BStBl 1993 II, 700). Deshalb sind vorrangig die in den Einzelsteuergesetzen enthaltenen Regelungen zur Verhinderung von Steuerumgehungen zu beachten.
Rz. 3
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Ergibt sich die Unangemessenheit nicht bereits aus einer einzelgesetzlichen Regelung, kann sie sich aus § 42 AO ergeben. Danach ist eine rechtliche Gestaltung missbräuchlich, wenn sie dem Stpfl oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil verschaffen soll (vgl § 42 Abs 2 Satz 1 AO). Der Stpfl kann aber nachweisen, dass es in seinem konkreten Fall doch außersteuerliche Gründe gibt, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind und deshalb einen Missbrauch ausschließen (vgl § 42 Abs 2 Satz 2 AO – Umkehr der Beweislast). Zu beurteilen ist jeweils der einzelne Gestaltungsvorgang; die Beurteilung eines Gesamtplans ist in § 42 AO nicht vorgesehen (vgl EFG 2018, 638).
Rz. 4
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Eine Gestaltung ist grundsätzlich auch iSv § 42 AO nicht missbräuchlich, wenn sie nach der spezialgesetzlichen Norm nicht zu missbilligen ist. Anders ist dies jedoch dann zu beurteilen, wenn die Gestaltung Elemente enthält, die iSv § 42 Abs 2 AO unangemessen sind und von der spezialgesetzlichen Norm nicht erfasst werden (vgl EFG 2021, 459).
Rz. 5
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Um die Rechtsfolgen einer missbräuchlichen Gestaltung zu klären, prüft das FA zunächst, ob ein Einzelsteuergesetz eine auf den konkreten Sachverhalt zutreffende, der Verhinderung von Steuerumgehungen dienende Regelung enthält. Ggf bestimmen sich die Rechtsfolgen nach dieser Regelung und nicht nach § 42 Abs 1 Satz 3 iVm Abs 2 AO. Gibt es keine einzelgesetzliche Regelung, die auf den Fall zutrifft, ist § 42 Abs 2 AO zu prüfen. Sind dessen Voraussetzungen gegeben, ergeben sich die Rechtsfolgen aus § 42 Abs 1 Satz 3 AO (vgl zu Einzelheiten AEAO zu § 42).
Rz. 6
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Die missbräuchliche Gestaltung eines Sachverhalts iSv § 42 AO ist für sich allein nicht strafbar (AEAO zu § 42, Tz 3). Eine Steuerumgehung ist aber strafbar (> Straf- und Bußgeldverfahren), wenn der Stpfl unter Verletzung seiner steuerlichen Pflichten das FA daran hindert, die Steuerumgehung zu erkennen (BFH 138, 4 = BStBl 1983 II, 534). Zur Abgrenzung von anderen Gestaltungen > Scheingeschäft.
Rz. 7
Stand: EL 140 – ET: 12/2024
Einzelfälle (kein Missbrauch): Der BFH hatte es im ‚Pfennigurteil’ nicht als Umgehung bezeichnet, dass der Lohn auf 499,99 DM festgesetzt war, weil bei 500 DM eine höhere Steuer eingetreten wäre (Tarifstufe). Zulässig ist die Vereinbarung eines niedrigeren Vergütungsanspruchs vom Grundgehalt für satzungsmäßige Aufgaben bei Schwestern des > Deutsches Rotes Kreuz (BFH 173, 292 = BStBl 1994 II, 424; ergänzend > Gehaltsverzicht Rz 1). Auch die Steuerung des Zuflusses oder Abflusses von > Einnahmen oder Ausgaben, zB durch eine arbeitsrechtlich wirksame Zusatzvereinbarung, ist kein Rechtsmissbrauch iSv § 42 AO (BFH 227, 93 = BStBl 2010 II, 746 sowie BFH/NV 2010, 1089; ergänzend > Verlagerung von Lohnzahlungen, > Zufluss von Arbeitslohn Rz 22 ff). Ebenso, wenn eine Wohnung an einen Unterhaltsberechtigten vermietet wird, der die Miete ausschließlich aus laufenden Unterhaltszahlungen des Stpfl bezahlen kann (auch Verrechnung und lediglich Auszahlung des Differenzbetrags; BFH 190, 169 = BStBl 2000 II, 223; BFH 190, 173 = BStBl 2000 II, 224) oder bei Zahlung der Miete aus Zinserträgen oder geschenktem Geld (BFH 173, 551 = BStBl 1994 II, 694; BFH 177, 416 = BStBl 1996 II, 59). Hat ein Stpfl den Verkauf eines Grundstücks vorbereitet, liegt kein Missbrauch vor, wenn er das > Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern (BFH 272, 328 = BStBl 2021 II, 743). Auch die zeitlich befristete Einräumung eines Nießbrauchs an einem Grundstück ist nicht missbräuchlich, wenn dem Zuwendenden – von der Verlagerung der Einkommensquelle abgesehen – kein steuerlicher Vorteil entsteht (BFH/NV 2023, 1308). Kein Missbrauch auch bei Antrag auf Einzelveranlagung zwecks Steuererstattung, wenn die Nachzahlung beim anderen > Ehegatten nicht beitreibbar ist (BFH/NV 2013, 193; ergänzend > Ehegattenbesteuerung Rz 13/1). Ein G...