Entscheidungsstichwort (Thema)

Statusdeutsche, Rückwirkung der Bescheinigung nach § 15 BVFG

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Statusdeutsche mit Bescheinigung über die Feststellung der Eigenschaft als Spätaussiedler nach § 15 BVFG sind gemäß § 62 Abs. 1 EStG kindergeldberechtigt.

2) Die Bescheinigung nach § 15 BVFG entfaltet Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreise.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BVFG § 15 Abs. 2; GG Art. 116 Abs. 1; EStG § 32 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Witwe und die Mutter des am 29.10.2009 geborenen Z. L.. Sie reiste am 25.06.2016 aus der Russischen Föderation nach Deutschland ein. Damals trug sie noch den Namen M. L1., ihr Sohn trug den Familiennamen L2.. Die Familiennamen ließ sie später in L. ändern.

Sie beantragte am 08.08.2016 bei der Beklagten Kindergeld für ihren Sohn. Im Antrag gab sie an, russische Staatsangehörige zu sein.

Mit Bescheid vom 26.08.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld ab Juni 2016 ab mit der Begründung, die Klägerin habe die mit Schreiben vom 12.08.2016 angeforderten Unterlagen nicht eingereicht.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Schreiben vom 21.02.2017 forderte die Beklagte die Klägerin zur Vorlage einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) auf. Die Klägerin reichte daraufhin eine Kopie ihres Bundespersonalweises ein, aus dem sich ergibt, dass sie seit August 2016 die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Daraufhin setzte die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 23.06.2017 Kindergeld ab August 2016 fest. Der Einspruch hinsichtlich der Monate Juni und Juli 2016 wurde mit Einspruchsentscheidung vom 10.07.2017 als unbegründet zurückgewiesen, weil die Klägerin im Zeitraum Juni und Juli 2016 die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht erfüllt habe. Die Klägerin sei erst ab dem 03.08.2016 deutsche Staatsbürgerin. Im Streitzeitraum habe sie keine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis gehabt. Das Visum für Spätaussiedler gelte nur in Verbindung mit einer Bescheinigung des Bundesverwaltungsamts nach § 15 Abs. 2 BVFG als gültiger Aufenthaltstitel. Diese Bescheinigung sei trotz mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt worden.

Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie legt eine vom Bundesverwaltungsamt am 03.08.2016 ausgestellte Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG vor, auf die Bezug genommen wird. Im Verwaltungsverfahren habe die Beklagte die Kindergeldbewilligung stets nur von der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG abhängig gemacht. Es sei nicht klar, warum die jetzt vorgelegte Bescheinigung nicht zur Abhilfe führe. Es könne nicht auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung ankommen, da diese nur feststelle, dass der Betreffende Abkömmling eines Spätaussiedlers sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26.08.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.07.2017 zu verpflichten, Kindergeld für ihren Sohn für den Zeitraum Juni und Juli 2016 festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Es sei nicht ersichtlich, warum die am 03.08.2016 ausgestellte Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG auf den Streitzeitraum zurückwirken solle. Aus der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG) ergebe sich, dass die Anspruchsberechtigung erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung bestehe.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld für die Monate Juni und Juli 2016, § 101 Satz 1 FGO. Der Anspruch ergibt sich aus §§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Die Klägerin hatte, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, im Streitzeitraum ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Ihr Kind Z. ist nach §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG berücksichtigungsfähig. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt die Einschränkung der Kindergeldberechtigung des § 62 Abs. 2 EStG für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer im Streitfall nicht zur Anwendung, weil die Klägerin im Streitzeitraum keine Ausländerin im Sinne des § 62 Abs. 2 EStG war. Deutsche Staatsangehörige und Statusdeutsche unterfallen mit Blick auf die Kindergeldberechtigung gleichermaßen § 62 Abs. 1 EStG (Felix in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 61 Rn. C 3; Wendl in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 62 EStG Rn. 12; vgl. auch BFH, Urteil vom 18.12.2008 – III R 93/06 –, BFH/NV 2009, 749; siehe allgemein zur rechtlichen Gleichstellung deutscher Staatsangehöriger und Statusdeutscher Hilgruber in: Beckscher Online-Kommentar Grundgesetz – GG –, Art. 116 Rn. 19 f.; Giegerich in: Maunz/Dürig, GG, Art. ...

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