Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinreichende Bestimmung des Klagebegehrens bei Anfechtungsklage - Auslegung der Klageschrift
Leitsatz (amtlich)
Bei einer Anfechtungsklage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid ist der Gegenstand des Klagebegehrens hinreichend bezeichnet, wenn mit dem Klageantrag die Herabsetzung der Einkünfte auf einen bestimmten, genau bezeichneten Betrag geltend gemacht wird.
Orientierungssatz
1. Bei einer Anfechtungsklage gegen Schätzungsbescheide genügt es, wenn der Kläger sein mit der Klage verfolgtes Begehren durch Angabe von Umsatz, Vorsteuer und Gewinn präzisiert. Die Klageschrift als prozessuale Willenserklärung ist auch bei der Bestimmung des zum Mußinhalt einer Klage gehörenden Gegenstands des Klagebegehrens auszulegen und dazu muß auf die dem Gericht vorliegenden Akten zurückgegriffen werden. Nur diese Auslegung trägt dem aus Art.19 Abs.4 des Grundgesetzes folgenden Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften Rechnung (vgl. Rechtsprechung; Ausführungen zum Verhältnis der §§ 65, 79b FGO).
2. Der Gegenstand des Klagebegehrens ist nicht ausreichend bezeichnet, wenn ohne jede weitere Konkretisierung lediglich die ersatzlose Aufhebung eines Einkommensteuerbescheids beantragt wird (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
BGB § 133; FGO § 65 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 79b; GG Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezieht Einkünfte aus
selbständiger Arbeit, die für die Streitjahre 1986 bis 1988 vom Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - -FA--) gesondert festgestellt wurden. Nach
einer Außenprüfung lehnte das FA den Abzug von Betriebsausgaben für die
Streitjahre ab und erließ die angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide. Der
Einspruch hatte hinsichtlich geltend gemachter Absetzungen für Abnutzung (AfA)
auf im einzelnen nicht nachgewiesene Anschaffungskosten für Praxisinventar in
Höhe von 480 000 DM, nachträgliche Betriebsausgaben in Höhe von 160 000 DM für
1986 und 2 077 DM für 1987 sowie Steuerberatungskosten in Höhe von 7 800 DM für
die Streitjahre keinen Erfolg.
Dagegen richtete sich die Klage zum Finanzgericht (FG). In der Klageschrift vom
9. August 1992 heißt es im wesentlichen:
"... erheben wir namens und im Auftrag des Klägers Klage und bitten um
Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, in der wir - vorbehaltlich einer
Klageerweiterung - beantragen werden: 1. ... die Einkünfte aus selbständiger
Tätigkeit (werden) im Jahre 1986 auf DM 462.837,00, für 1987 auf DM 703.136,00
und für 1988 auf DM 865.091,00 gesondert festgestellt ... Die Begründung bleibt
einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten."
Mit Anordnung vom 14. Oktober 1994 setzte die Senatsvorsitzende beim FG dem
damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers Ausschlußfristen zur Vorlage der
Vollmacht nach § 62 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und zur Bezeichnung
des Gegenstands des Klagebegehrens nach § 65 FGO bis zum 10. November 1994.
Daraufhin wurde die Prozeßvollmacht rechtzeitig vorgelegt, das Klagebegehren
jedoch nicht weiter bezeichnet. Nachdem der Berichterstatter den damaligen
Prozeßbevollmächtigten auf die Unzulässigkeit der Klage hingewiesen hatte,
legte dieser das Mandat nieder. Daraufhin erteilte der Kläger dem jetzigen
Prozeßbevollmächtigten Vollmacht. Dieser machte mit Schriftsatz vom 16. März
1995 geltend, das Klageziel sei mit der Bezeichnung der angefochtenen
Verwaltungsakte und der Bezeichnung des Betrags, auf den die Einkünfte aus
selbständiger Arbeit 1986 bis 1988 herabzusetzen seien, hinreichend bestimmt
gewesen und verwies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Oktober
1990 I R 118/88 (BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242). Der Berichterstatter
erließ daraufhin unter erneuter Fristsetzung eine Anordnung nach § 79b Abs.1
und 2 FGO zur Angabe der für den Betriebsausgabenabzug erforderlichen Tatsachen
und Beweismittel. In der richterlichen Anordnung heißt es u.a.:
"Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des nunmehrigen Prozeßbevollmächtigten
und nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, daß
die Klage zulässig ist."
Daraufhin wurde die Klage innerhalb der gesetzten Frist begründet. Dabei
stellte sich heraus, daß sich die Bezifferung des Klageantrags auf die
AfA-Beträge im Zusammenhang mit dem bereits in der Betriebsprüfung umstrittenen
Praxiserwerb bezogen hatte. In die Klage wurden nun auch weitere Streitpunkte
einbezogen.
Gleichwohl wurde die Klage ohne sachliche Prüfung durch Gerichtsbescheid als
unzulässig abgewiesen. Das FG führte im wesentlichen aus, der ehemalige
Prozeßbevollmächtigte habe den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb der
Ausschlußfrist nicht hinreichend bezeichnet. Wie sich aus § 65 Abs.1 Satz 1 FGO
ergebe, reiche dazu die Stellung eines ziffernmäßig bestimmten Antrags nicht
aus. Zwar sei im Streitfall aufgrund der Bezeichnung der angefochtenen
Feststellungsbescheide und des bezifferten Klageantrags ersichtlich, daß die
Höhe der Einkünfte aus selbständiger Arbeit streitig sei und daß eine
anderweitige betragsmäßige Festsetzung begehrt werde; unter Heranziehung der
Einspruchsentscheidung sei ferner ersichtlich gewesen, daß im
Einspruchsverfahren noch drei Streitpunkte offen gewesen seien. Daraus habe
aber keineswegs entnommen werden können, ob der Kläger überhaupt einen und
welchen der drei Streitpunkte habe aufgreifen und welchen er auf sich habe
beruhen lassen wollen, zumal eine Klageerweiterung ausdrücklich vorbehalten
gewesen sei. Im übrigen fehle es an der Geltendmachung einer Rechtsverletzung.
Wiedereinsetzungsgründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Mit seiner dagegen gerichteten, vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet; das angefochtene Urteil wird
aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das
FG zurückverwiesen (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).
1. Das FG hat die Klage zu Unrecht durch Prozeßurteil als unzulässig
abgewiesen, weil der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens innerhalb der
Ausschlußfrist nicht hinreichend bezeichnet hat (§ 65 Abs.1 Satz 1 FGO).
a) Wie der I.Senat des BFH durch Urteil in BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242
entschieden hat, reicht es für die Bestimmung des Gegenstands des
Klagebegehrens aus, wenn die anderweitig anzusetzende Besteuerungsgrundlage dem
Betrag nach bezeichnet wird. In einer weiteren Entscheidung vom 17. April 1996
I R 91/95 (BFH/NV 1996, 900) hat der I.Senat des BFH erkannt, daß es bei einer
Anfechtungsklage gegen Schätzungsbescheide genügt, wenn der Kläger sein mit der
Klage verfolgtes Begehren durch Angabe von Umsatz, Vorsteuer und Gewinn
präzisiert. Der erkennende Senat hat weiter entschieden, daß die Klageschrift
als prozessuale Willenserklärung auch bei der Bestimmung des zum Mußinhalt
einer Klage gehörenden Gegenstands des Klagebegehrens auszulegen ist und dazu
auf die dem Gericht vorliegenden Akten zurückgegriffen werden muß (Senatsurteil
vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232). Nur diese Auslegung trägt dem
aus Art.19 Abs.4 des Grundgesetzes folgenden Grundsatz der
rechtsschutzgewährenden Auslegung von Verfahrensvorschriften Rechnung (vgl.
Senatsurteil vom 16. Juni 1994 IV R 97/93, BFH/NV 1995, 279, sowie Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BStBl II 1976,
271).
b) Im Streitfall hat der Kläger einen bezifferten Klageantrag gestellt. Er hat
die Herabsetzung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf bestimmte Beträge
beantragt und damit zugleich das auf Änderung der angefochtenen
Gewinnfeststellungsbescheide gerichtete Klagebegehren zum Ausdruck gebracht
(vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 65
FGO Tz.4). Darin unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, den der
VIII.Senat des BFH in einem Beschwerdeverfahren zu entscheiden hatte (Beschluß
vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886). Dort nämlich hatte der
Kläger ohne jede weitere Konkretisierung lediglich die ersatzlose Aufhebung
eines Einkommensteuerbescheids beantragt. Ganz ähnlich hatten die Kläger in
einem weiteren vom BFH entschiedenen Fall beantragt, einen
Einkommensteuerbescheid aufzuheben, dem geschätzte Einkünfte aus verschiedenen
Einkunftsarten zugrunde lagen (BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 78/94,
BFHE 178, 549, BStBl II 1996, 16). Richtet sich der Klageantrag ohne weitere
Erläuterung auf ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheids, so bleibt
ungewiß, ob darüber hinaus noch eine Änderung der Steuerfestsetzung begehrt
wird oder ob es tatsächlich bei der Aufhebung des Bescheids bleiben soll. Legt
sich der Kläger hingegen, wie im Streitfall, betragsmäßig fest, so ist dies für
den erkennenden Senat ein Indiz für die ausreichende Bezeichnung des
Gegenstands des Klagebegehrens.
c) Mit ihrer Auslegung des als Mußvoraussetzung in § 65 Abs.1 Satz 1 FGO
enthaltenen Begriffs "Gegenstand des Klagebegehrens" verlangen FG und FA im
Ergebnis eine Klagebegründung (s. auch Tipke/Kruse, a.a.O.). Diese gehört nach
§ 65 Abs.1 Satz 3 FGO nur zu den Sollvorschriften der Klage. Den rechtzeitigen
Eingang einer minimalen Klagebegründung zu gewährleisten, ist aber Zweck des §
79b FGO. Dadurch wird nach Fristsetzung i.S. des § 79b Abs.1 und 2 FGO die
Angabe der Tatsachen, die nach Auffassung des Klägers seine Beschwer begründen,
zwar nicht zu einem Mußerfordernis; es können sich jedoch Präklusionsfolgen
ergeben, die im Ergebnis auf einen Begründungszwang hinauslaufen. Im Streitfall
ist die Klage jedoch innerhalb der nach Ablauf der Frist des § 65 Abs.2 Satz 1
FGO durch den Berichterstatter des FG verfügten weiteren Fristsetzung gemäß §
79b FGO eingegangen. Die vom FA aufgeworfene Frage, ob die Entscheidung des
I.Senats in BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242 nach Inkrafttreten des § 79b
Abs.1 FGO ab 1. Januar 1993 überholt ist, kann daher im Streitfall
offenbleiben. Hiervon geht der X.Senat des BFH aus (Urteil vom 8. März 1995 X B
243, 244/94, BFHE 177, 201, BStBl II 1995, 417). Entgegen der Auffassung des FA
ergibt sich aber aus dieser allein zu § 79b FGO ergangenen Entscheidung nichts
für die Auslegung des Begriffs des Gegenstands des Klagebegehrens nach § 65
Abs.1 Satz 1 FGO.
Dem FG ist zwar darin zuzustimmen, daß sich im Streitfall selbst unter
Heranziehung der Steuerakten nicht ohne weiteres eindeutig ermitteln läßt,
welche Streitpunkte des vorangegangenen Einspruchsverfahrens im Klageverfahren
aufrechterhalten werden sollen. Zur Klärung dieser Fragen ist jedoch eigens die
Vorschrift des § 79b FGO geschaffen worden, die entbehrlich gewesen wäre, würde
man bereits aus dem Muß-Erfordernis, den Gegenstand des Klagebegehrens zu
bezeichnen, eine Verpflichtung ableiten, einzelne Tatsachen anzugeben oder
Beweismittel zu bezeichnen.
2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher
aufzuheben. Der Senat ist auf die Prüfung des Verfahrensfehlers beschränkt,
wenn ein solcher geltend gemacht wird und durchgreift (Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 119 Rz.3, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 66294 |
BFH/NV 1997, 318 |
BStBl II 1997, 462 |
BFHE 182, 273 |
BFHE 1997, 273 |
BB 1997, 1298 (Leitsatz) |
DB 1997, 1264 (Leitsatz) |
DStR 1997, 1044-1045 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 574 (Leitsatz) |
DStZ 1997, 764 (Leitsatz) |
HFR 1997, 587-588 (Leitsatz) |
StE 1997, 384 (Leitsatz) |