Orientierungssatz

NV: Ebenso wie im Fall eines Lehrers dürfen auch bei einem Literaturwissenschaftler (gleich ob Assistent oder Hochschullehrer) Aufwendungen für Bücher, die allgemeinbildender Natur sind und ebenso von zahlreichen anderen Personen gekauft und gelesen werden, nicht ohne weiteres als Werbungskosten abgezogen werden. Vielmehr ist jede einzelne Anschaffung anhand objektiver Kriterien tatsächlicher Art daraufhin zu prüfen, ob sie ganz oder überwiegend beruflich veranlaßt ist. Zwar können bei einem Wissenschaftler möglicherweise mehr Bücher als Arbeitsmittel anzuerkennen sein als vergleichsweise bei einem Lehrer, aber auch er hat den Einzelnachweis zu führen (Ausführungen zur Beweisführung).

 

Normenkette

EStG § 12 Nr. 1 S. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 6

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1974 als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur einer Technischen Universität angestellt. Sein Forschungsgebiet umfaßte die Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, die Literaturtheorie und die Theorie und Praxis des Romans. Seine Lehrtätigkeit erstreckte sich auf die Durchführung von Proseminaren.

Im Streitjahr erwarb der Kläger Bücher im Gesamtpreis von 1 160 DM. Diesen Betrag machte er mit seiner Einkommensteuererklärung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) berücksichtigte nur 711 DM.

Nach erfolglosem Einspruch begehrte der Kläger mit seiner Klage u.a. den Abzug von weiteren 450 DM Bücherkosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Hierunter befanden sich Aufwendungen zur Anschaffung von Lessings gesammelten Werken (291,80 DM) sowie 32 anderen Büchern, zumeist Taschenbüchern, und zwar überwiegend Romane des 18. bis 20. Jahrhunderts sowie zeitgenössische Prosa.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus: Aufwendungen für Wirtschaftsgüter könnten gemäß § 9 Abs.1 Nr.6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 als Werbungskosten abgezogen werden, wenn feststehe, daß der Arbeitnehmer die Wirtschaftsgüter überwiegend beruflich genutzt habe. Lasse die Art des Wirtschaftsgutes sowohl eine berufliche als auch eine private Verwendung zu, sei entscheidend, welchen Verwendungszweck das Wirtschaftsgut nach seiner Zweckbestimmung im konkreten Einzelfall habe (Hinweis auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 19.Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17; BFH-Urteile vom 28.April 1972 VI R 305/69, BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723, und vom 29.April 1977 VI R 208/75, BFHE 122, 467, BStBl II 1977, 716). Danach seien die Bücher im Streitfall Arbeitsmittel gewesen. Sie hätten beruflichen Zwecken gedient, weil der Kläger sich seiner lehrenden und forschenden Tätigkeit wegen mit schöngeistiger Literatur zu befassen habe. In der Auswahl der zu bearbeitenden Literatur sei er als wissenschaftlicher Assistent erfahrungsgemäß verhältnismäßig frei. Der berufliche Pflichtenkreis des Klägers sei mit dem eines Lehrers nicht vergleichbar. Ein Lehrer sei nicht forschend, sondern lediglich auf eng begrenzten, durch Lehrgänge vorgeschriebenen Gebieten lehrend tätig. Seine Bücheranschaffungen dienten daher lediglich der Vervollkommnung der Allgemeinbildung. Beim Kläger dagegen gehöre die in Frage stehende Literatur in den weiterreichenden Rahmen seiner beruflichen Pflichten. Insbesondere habe ein großer Teil der Bücher den genannten Forschungsthemen des Klägers gedient. Das gelte auch für die ausländische Literatur, die bei wissenschaftlichen Arbeiten zu Vergleichszwecken heranzuziehen sei. Wegen des weitreichenden Pflichtenkreises des Klägers sei neben der beruflichen Veranlassung der Anschaffung eine private Veranlassung bei keinem der Bücher von Gewicht gewesen.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es trägt unter Hinweis auf den Beschluß in BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17 und die Urteile in BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723 sowie in BFHE 122, 467, BStBl II 1977, 716 im wesentlichen vor: Die zur Abziehbarkeit von Literaturaufwendungen eines Lehrers entwickelten Grundsätze seien auch bei einem wissenschaftlichen Assistenten anzuwenden. Denn auch wenn schöngeistige Literatur in dessen Beruf genutzt werden könne, sei nach objektiven Merkmalen nicht ohne weiteres nachprüfbar, ob die Aufwendungen für das einzelne Buch mehr dem Beruf oder dem privaten Interesse dienten. Da es sich bei den streitigen Büchern nicht um spezielle Fachliteratur handele, bestünde die widerlegbare Vermutung, daß sie nicht ausschließlich oder ganz überwiegend zu beruflichen Zwecken angeschafft worden seien. Der Kläger habe keinen ausreichenden Nachweis erbracht, diese Vermutung zu entkräften. Ohne entsprechende Nachweise sei von einer sowohl beruflichen als auch privaten Veranlassung der jeweiligen Aufwendungen auszugehen. Diese seien mangels eines objektiven Aufteilungsmaßstabs in voller Höhe nicht abziehbar.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Nach § 12 Nr.1 Satz 2 EStG dürfen Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Daher dürfen Anschaffungskosten nur dann als Aufwendungen für Arbeitsmittel nach § 9 Abs.1 Nr.6 EStG berücksichtigt werden, wenn feststeht, daß der Arbeitnehmer die erworbene Sache überwiegend beruflich verwendet und eine private Mitbenutzung von ganz untergeordneter Bedeutung ist.

Demgemäß hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723 ausgesprochen, daß Aufwendungen eines Lehrers für Bücher, die allgemeinbildender Natur sind und ebenso von zahlreichen anderen Personen gekauft und gelesen werden, nicht ohne weiteres als Werbungskosten abgezogen werden dürfen. In Anwendung der vom Großen Senat des BFH im Beschluß in BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17 herausgestellten Grundsätze sei daher bei einer Mehrzahl solcher Bücher, die als Arbeitsmittel in Frage kommen, bei jedem einzelnen Buch nach seiner tatsächlichen Zweckbestimmung zu prüfen, ob es ausschließlich oder ganz überwiegend dem Beruf des Arbeitnehmers diene. Eine solche Einzeluntersuchung dürfe durch pauschale Feststellungen nicht ersetzt werden.

Die Grundsätze dieser Entscheidung sind auch auf den Streitfall anzuwenden. Wenn auch Unterschiede zwischen dem Berufsbild des in Forschung und Lehre tätigen wissenschaftlichen Assistenten und dem der verschiedenen Lehrerberufe bestehen, so ist doch die zur Abgrenzungsproblematik führende Interessenlage bei einem wissenschaftlichen Assistenten und auch bei einem Hochschullehrer nach ihrer Art mit der des Lehrers vergleichbar. Hier wie dort werden Bücher sowohl aus rein beruflichen als auch aus rein privaten Gründen gekauft. Daneben gibt es hier wie dort einen Bereich, in dem sich eine eindeutige Zuordnung einer Anschaffung zum rein privaten oder rein beruflichen Bereich nicht ohne weiteres vornehmen läßt. Auf diesen Zwischenbereich von Anschaffungen aber zielt das Urteil des Senats in BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723. Daher ist ebenso wie im Fall des Lehrers auch bei einem wissenschaftlichen Assistenten und auch bei einem Hochschullehrer jede einzelne in diesen Bereich fallende Anschaffung anhand objektiver Kriterien tatsächlicher Art daraufhin zu prüfen, ob sie ganz oder überwiegend beruflich veranlaßt ist.

Das angegriffene Urteil entspricht diesen Grundsätzen nicht. Denn das FG hat seine Entscheidung allein auf Feststellungen allgemeiner Art begründet. Das betrifft zunächst die Ausführungen, der Kläger habe sich von Berufs wegen mit schöngeistiger Literatur zu befassen und er sei wegen seiner weiterreichenden Pflichten in der Auswahl der zu bearbeitenden Literatur verhältnismäßig frei. Das betrifft aber auch die Ausführung des FG, ein großer Teil der Bücher habe den vom Kläger genannten Forschungsthemen gedient. Denn das Urteil läßt nicht erkennen, auf welche Weise das FG zu dieser Würdigung gelangt ist. Der Senat geht daher davon aus, daß das FG die tatsächliche berufliche Verwendung dieser Bücher allein wegen ihrer Zugehörigkeit zum Spezialgebiet des Klägers unterstellt hat. Diese Unterstellung wird nicht dem Sinn und Zweck des § 12 Nr.1 EStG gerecht, zu verhüten, „daß Steuerpflichtige durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewußt herbeigeführte Verbindung von beruflichen und privaten Erwägungen Aufwendungen für ihre Lebensführung nur deshalb zum Teil in einen einkommensteuerrechtlich relevanten Bereich verlagern können, weil sie einen entsprechenden Beruf haben, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus versteuerten Einkünften decken müssen” (BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723). Der Erwägung des FG, für den Literaturwissenschaftler sei jedes zu seinem Spezialgebiet gehörende Buch ausschließlich ein Stück seiner Wissenschaft, weswegen eine private Veranlassung der Anschaffung nicht von Gewicht sein könne, kann der Senat in dieser Allgemeinheit nicht folgen. Denn bei der Anschaffung von Büchern der hier genannten Art erscheint schon wegen ihres allgemeinen Interesses eine Verflechtung privater Motive mit –behaupteten– beruflichen Gründen geradezu zwangsläufig zu sein. Daher kann der im Vergleich zu einem Lehrer weitere Aufgabenkreis des Wissenschaftlers und Hochschullehrers, im besonderen seine Forschungstätigkeit, nur dahin führen, daß nach einer Einzelprüfung der streitigen Literatur bei dem Wissenschaftler möglicherweise mehr Bücher als Arbeitsmittel anzuerkennen sind als vergleichsweise bei einem Lehrer. Das setzt aber voraus, daß auch der Wissenschaftler im einzelnen nachweist, daß er das fragliche Werk tatsächlich für eine bestimmte Forschungsarbeit oder für eine bestimmte Lehrveranstaltung verwendet hat.

Hierfür genügt nicht allein die Angabe eines bestimmten Spezialgebietes, wie etwa –wie im Streitfall– die der „Theorie und Praxis des Romans”. Denn wenn ein in diesem Bereich tätiger Wissenschaftler einen Roman liest, ohne ihn beruflich zunächst weiterzuverwenden, so liegt darin noch keine wissenschaftliche Betätigung und es ist nicht schon deswegen die Anschaffung beruflich veranlaßt. Es muß vielmehr im einzelnen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden, daß das jeweilige Buch zum konkreten Einsatz bei der wissenschaftlichen oder lehrenden Tätigkeit angeschafft worden ist. Das kann nach Ansicht des Senats etwa dadurch geschehen, daß der Kläger die Themen seiner im Streitjahr mit Hilfe der streitigen Literatur durchgeführten Forschungsarbeiten und Lehrveranstaltungen angibt oder belegt, daß er das betreffende Buch in doppelter Ausführung besitzt (BFHE 106, 59, BStBl II 1972, 723). Sofern es sich bei dem in Rede stehenden Buch nicht um spezielle Fachliteratur handelt und der Kläger die berufliche Veranlassung der Anschaffungskosten in diesem Sinne nicht wenigstens glaubhaft machen kann, sind der jeweilige Kaufpreis bzw. die entsprechenden Absetzungen für Abnutzungen nicht als Werbungskosten abziehbar (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17; BFH-Urteil vom 8.Februar 1974 VI R 326/70, BFHE 111, 341, BStBl II 1974, 306).

Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen, damit es die entsprechenden Feststellungen tatsächlicher Art nachholt. Dabei wird es den Kläger möglicherweise zu veranlassen haben, auch zu den bisher vom FA als Arbeitsmittel anerkannten Büchern, sofern es sich nicht um reine Fachliteratur handelt, Verwendungsnachweise der oben bezeichneten Art beizubringen. Denn dem FG-Urteil ist nicht zu entnehmen, daß das FA den konkreten Verwendungszweck der von ihm als Arbeitsmittel anerkannten Literatur geprüft hat. Hat es eine solche Prüfung unterlassen, wäre der entsprechende Werbungskostenabzug nur gerechtfertigt, wenn der Kläger bei der erneuten Verhandlung der Sache vor dem FG die erforderlichen Nachweise erbringt. Kann er das nicht, ist der entsprechende Betrag gegen die aus dem Klagebegehren ggf. anzuerkennenden Beträge unter Beachtung des sog. Verböserungsverbots gegenzurechnen (vgl. BFH-Beschluß vom 17.Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1343933

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