Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Revisionszulassung

 

Leitsatz (NV)

1. Rechtsfragen, die sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten oder keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung erkennen lassen, sind nicht klärungsbedürftig.

2. Mit dem Überzeugungsgrad der Lösungen, die Rechtsprechung und/oder Literatur zu einer Rechtsfrage entwickelt haben, wächst die Darlegungslast im Zulassungsrecht.

3. Daß, worin und warum die formellen Anforderungen an eine Zustellung nach § 3 VwZG formstrenger sind als bei anderen Zustellungsarten, insbesondere bei der in § 5 VwZG geregelten, kann als hinreichend geklärt gelten. Das BFH-Urteil I R 16/95 (BFHE 179, 202, BStBl II 1996, 301) enthält hierzu keine tragenden, über den dort entschiedenen Fall hinausreichenden Aussagen.

4. Kein Klärungsbedarf besteht auch hinsichtlich der prozessualen Folgen, die sich für eine Klage gegen eine Arrestanordnung daraus ergeben, daß die zu sichernde Geldforderung durch (vollstreckbaren) Steuerbescheid geregelt wird, und hinsichtlich des Umstands, daß Amtshilfe (§ 111 AO 1977) typischerweise außerhalb der "eigentlichen" Zuständigkeiten geleistet wird.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 111, 122, 324; VwZG §§ 3, 5, 11; FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 115 Abs. 2, 3 S. 3

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdegegner, das Finanzamt A I (FA I), hatte auf Grund der vorläufigen Ergebnisse einer Steuerfahndungsprüfung am 5. Februar 1992 zur Sicherung von Einkommensteuerforderungen für 1982 bis 1985 in einer vorläufigen Höhe von ... DM eine Arrestanordnung erlassen und darin den dinglichen Arrest in das Vermögen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) angeordnet.

Diese Arrestanordnung, welche die Steuerfahndungsstelle des FA I mit Schreiben vom 5. Februar 1992 (am gleichen Tage) an die Vollstreckungsstelle des Finanzamtes A II (FA II) "mit der Bitte um Vollzug" weitergeleitet hatte, war am 6. Februar 1992 von einem Vollziehungsbeamten des FA II der Ehefrau des Klägers in einem an diesen adressierten Umschlag in der gemeinsamen Wohnung gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt worden. -- Auf der Vorderseite des Umschlags sind als absendende Dienststelle (durch Stempelaufdruck) das FA II und das aus der damaligen Steuernummer des Klägers gebildete Geschäftszeichen angegeben.

Gegen die Arrestanordnung, mit deren Hilfe das FA II eine Arresthypothek hatte eintragen sowie Einrichtungsgegenstände, Bankguthaben und Forderungen hatte pfänden lassen, war am 27. Februar 1992 beim Finanzgericht (FG) Klage gegenüber dem FA I erhoben worden.

Das hierdurch eröffnete Klageverfahren hat das FA I am 24. August 1992 in der Haupt sache für erledigt erklärt, nachdem es auf Grund der Ergebnisse der Steuerfahndungsprüfung am 18. August 1992 geänderte Einkommensteuerbescheide für 1982 bis 1985 erlassen hatte, die für jeden Veranlagungszeitraum eine höhere Steuerschuld aus wiesen als in der Arrestanordnung angenommen.

Der Kläger hielt an seinem ursprünglichen Klagebegehren fest, begehrte in erster Linie weiterhin Aufhebung der Arrestanordnung, die er für nichtig bzw. mangels ordnungsgemäßer Zustellung für unwirksam hielt, nur hilfweise Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit nach § 100 Abs. 1 Satz 4 bzw. nach § 41 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das FG hat die Klage abgewiesen, dabei den Hauptantrag als unzulässig, die Hilfsanträge als unbegründet angesehen und die Revision nicht zugelassen.

Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung, Divergenz und Verfahrensfehler geltend. Wegen der Einzelheiten seiner Darlegungen wird auf die Beschwerdeschrift und den Schriftsatz vom 16. September 1996 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, die Revision gegen das angefochtene Urteil zuzulassen.

Das FA I beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben bzw. nicht ausreichend dargetan (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht zu erkennen: Die vom Kläger aufgezählten Rechtsfragen ergeben durchweg keinen Klärungsbedarf, teils weil sie sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen, teils weil sie keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung haben oder aber weil sie als geklärt anzusehen sind (Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 115 Rz. 7 ff., m. w. N.):

-- Letzteres gilt vor allem für die vom Kläger im Zusammenhang mit der Zustellung aufgeworfenen Formfragen: Daß die formellen Anforderungen bei der Zustellung per Postzustellungsurkunde nach § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) strenger sind als im hier zu beurteilenden Fall der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 5 VwZG, auch bei Ersatzzustellung nach § 11 VwZG, folgt schon aus dem Gesetz. Für die Zustellung durch Postzustellungsurkunde sind bestimmte besondere formelle Wirksamkeitsvoraussetzungen ausdrücklich (in § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG) normiert, weil -- wie ebenfalls schon der Textvergleich deutlich macht -- dort Gegenstand der Zustellung die "Sendung" (s. auch § 195 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --), bei der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis oder der Ersatzzustellung dagegen das "Schriftstück" selbst ist. Zudem sind die Unterschiede beider Zustellungsarten und die Folgerungen, die hieraus für die Rechtsanwendung zu ziehen sind, durch Literatur und Rechtsprechung hinreichend herausgearbeitet worden (s. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 19. Juni 1991 I R 77/89, BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826, m. w. N.; speziell zur Bedeutung der Geschäftsnummer im Fall des § 3 VwZG als einzigem urkundlichen Bindeglied zwischen Sendung, Postzustellungsurkunde und Schriftstück: BFH-Urteil vom 12. Januar 1990 VI R 137/86, BFHE 160, 103, BStBl II 1990, 602, m. w. N.), so daß auch aus diesem Grund insoweit kein Klärungsbedarf besteht.

Die übrigen Ausführungen des Klägers zu diesem Punkt wenden sich gegen die Richtigkeit des FG-Urteils und sind daher unbeachtlich (s. Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 58, 62).

-- Im wesentlichen dasselbe gilt für die Einwände des Klägers gegen die Abweisung seines Hauptantrags als unzulässig: Daß sich das Verfahren gegen eine Arrestanordnung in der Hauptsache erledigt, wenn die gemäß § 324 der Abgabenordnung (AO 1977) zu sichernde Geldforderung durch (vollstreckbaren) Steuerbescheid geregelt wird, kann ebenso als hinreichend geklärt gelten (s. BFH-Urteile vom 30. Juli 1975 I R 153/73, BFHE 116, 495, BStBl II 1975, 857; vom 7. Juli 1987 VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702, und vom 27. Juli 1994 II R 109/91, BFH/NV 1995, 322, jeweils m. w. N.) wie die Folgerungen für die Position des Rechtsuchenden (dazu vor allem BFH in BFH/NV 1987, 702). Neue recht liche Erkenntnisse sind hierzu nach der Beschwerdeschrift nicht zu erwarten (zur gesteigerten Darlegungspflicht in solchen Fällen: BFH-Beschluß vom 19. Juli 1996 I B 44/95, BFH/NV 1997, 124, m. w. N.) -- auch nicht im Hinblick auf die behauptete Nichtigkeit: Abgesehen davon, daß -- zumindest für dieses Verfahren -- in Übereinstimmung mit dem FG von der Rechtmäßigkeit der Arrestanordnung auszugehen ist (s. o.), steht die Anfechtbarkeit auch nichtiger Verwaltungsakte außer Frage (dazu näher: Gräber, a.a.O., Rz. 56 vor § 40, § 41 Rz. 22), so daß es auch im Rahmen des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auf den Grad der Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Hoheitsmaßnahme nicht ankommt.

-- Auch die übrigen Darlegungen zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO führen nicht zum Erfolg:

-- Daß Amtshilfe ein Tätigwerden außerhalb der "eigentlichen" Zuständigkeiten typischerweise voraussetzt und § 111 AO 1977 hierfür die konkrete Rechtfertigung gab, bedarf keiner weiteren Erörterung;

-- grundsätzlich Neues zum Thema Verwirkung ist im Streitfall ebensowenig zu erwarten wie zum Bestimmtheitserfordernis des § 119 Abs. 3 AO 1977.

2. Divergenz i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nicht gegeben bzw. nicht in der erforderlichen Weise dargetan. Eine solche Abweichung setzt voraus: Es muß dieselbe Rechtsfrage für zumindest vergleichbare Sachverhalte anders entschieden worden sein (Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 17 und 21 ff.; BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 1992 III B 28/91, BFH/NV 1993, 610, und vom 1. Juli 1996 VIII B 113/95, BFH/NV 1997, 26, jeweils m. w. N.). Das trifft, bezogen auf das angefochtene Urteil, im Verhältnis zu keiner der in der Beschwerdebegründung aufgeführten BFH-Entscheidungen zu, und zwar zumeist schon deshalb nicht, weil die in Frage stehenden höchstrichterlichen Rechtssätze in ihrem entscheidungserheblichen Inhalt von einer (nachstehend erörterten) Ausnahme abgesehen § 3 VwZG betreffen, während hier ein Fall des § 5 VwZG zu beurteilen war, der weniger formstreng ausgestaltet ist. Daran ändert auch nichts, daß von § 11 VwZG Gebrauch gemacht wurde: Die Ersatzzustellung ist namens- und funktionsgemäß als Ausnahme von der Regel der Zustellungsvariante zu begreifen, die sie ersetzt (ersetzen darf), verändert aber im übrigen deren Voraussetzungen nicht.

Auch zum BFH-Urteil vom 25. Oktober 1995 I R 16/95 (BFHE 179, 202, BStBl II 1996, 301), der einzigen vom Kläger in diesem Zusammenhang benannten Entscheidung, die nicht zu § 3 VwZG ergangen ist, besteht keine Divergenz: Zunächst einmal betraf sie einen Fall der öffentlichen Zustellung (§§ 14, 15 VwZG). Zum anderen finden sich dort zwar auch Aussagen zu den "Mindestanforderungen" und "allgemeinen Formen der Zustellung von Steuerbescheiden" und in diesem Zusammenhang auch zur Bedeutung der Geschäftsnummer; dies war jedoch nicht entscheidungserheblich, weil dort letztlich der Gesichtspunkt der Heilbarkeit nach § 9 Abs. 1 VwZG ausschlaggebend war.

Daß die generellen Formerfordernisse tangiert seien, denen jede Art der Zustellung im Unterschied zur allgemeinen Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsakts genügen muß (vgl. § 122 Abs. 1 bis Abs. 4 AO 1977 einerseits und § 122 Abs. 5 AO 1977 andererseits), wird vom Kläger zwar behauptet, aber nicht in der erforderlichen Weise dargetan.

3. Auch die gerügten Verfahrensmängel sind nicht geeignet, die Revisionszulassung zu rechtfertigen:

-- Wenn das Schreiben an das FA I vom 29. Oktober 1991 im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich erwähnt ist, bedeutet dies nicht, daß sein Inhalt nicht zur Kenntnis genommen wurde; im übrigen war er aus der insoweit allein maßgeblichen Sicht des FG (Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 34, 65 und § 120 Rz. 39, m. w. N.) nicht entscheidungserheblich (s. FG-Urteil S. 17 ff.).

-- Im Grunde nichts anderes gilt für die angeblich nicht bzw. nicht in der vom Kläger für richtig gehaltenen Weise berücksichtigten Provisionsrechnungen, die das FG aus mehreren, in der Urteilsbegründung ausführlich dargelegten Gründen nicht als vollständige und ausreichende Grundlage für die zu schätzenden Einnahmen des Klägers gewertet hat.

4. Die Rüge schließlich, der Nichtabhilfebeschluß des FG sei vor Ablauf der Rechtsmittelfrist ergangen, ist schon deshalb unbeachtlich, weil sie erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben wurde und neues Vorbringen enthält (Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 55). Außerdem sind hierdurch schützenswerte Rechte des Klägers nicht berührt (vgl. Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 66, § 130 Rz. 7).

 

Fundstellen

Haufe-Index 422368

BFH/NV 1997, 740

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