Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine zulassungsfreie Revision wegen lückenhafter Urteilsgründe; Besetzung eines FG-Senats mit fünf Berufsrichtern nicht verfassungswidrig

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Spruchkörper ist in verfassungswidriger Weise überbesetzt, wenn es die Zahl seiner Mitglieder gestattet, in personell völlig verschiedenen Gruppen Recht zu sprechen (Anschluß an BVerfG-Beschluß v. 3. 2. 1965 2 BvR 166/64, BVerfGE 18, 344).

2. Eine lückenhafte Urteilsbegründung ist nur dann als Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zu werten, wenn nicht erkennbar wird, auf welche rechtlichen Entscheidungen sich die Entscheidung stützt.

 

Normenkette

AO §§ 125, 201 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5; GVG § 21g

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) durch Urteil vom 3. Dezember 1993 -- zugestellt am 30. Dezember 1993 -- abgewiesen. Gegen das Urteil hat der Kläger am 31. Januar 1994 Revision und Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wurde vom erkennenden Senat durch Beschluß vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger stützt seine Revision auf Verfahrensfehler i. S. des § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht statthaft und war als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

1. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Gesetzes vom 20. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2236, BStBl I 1994, 100) findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Im Streitfall ist die Revision vom FG nicht zugelassen worden. Da die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen wurde, fehlt es an der nach dem BFHEntlG erforderlichen Zulassung.

2. Die Revision erfüllt nicht die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision i. S. des § 116 Abs. 1 FGO.

a) Die gegen die Besetzung des FG erhobene Rüge ist nicht schlüssig erhoben.

Gegen die Besetzung des Senats eines FG mit fünf Berufsrichtern bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. In verfassungswidriger Weise ist ein Spruchkörper nur überbesetzt, wenn es die Zahl seiner ordentlichen Mitglieder gestattet, in personell völlig verschiedenen Gruppen Recht zu sprechen oder wenn der Vorsitzende drei Spruchkörper mit verschiedenen Beisitzern bilden kann (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 3. Februar 1965 2 BvR 166/64, BVerfGE 18, 344). Die Senate eines FG dürfen deshalb grundsätzlich nicht mehr als fünf ordentliche Mitglieder haben (BFH-Urteil vom 22. August 1968 IV R 199/66, BFHE 93, 506, BStBl II 1969, 37; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rz. 5). Diese Zahl ist im Streitfall auch nach dem Vortrag des Klägers nicht überschritten.

Tatsachen, aus denen sich eine Verletzung des § 21 g des Gerichtsverfassungsgesetzes ergeben könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 24. März 1964 2 BvR 42/63 u. a., BVerfGE 17, 294).

b) Die angefochtene Entscheidung ist mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).

aa) Es trifft zwar zu, daß das Übergehen eines selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittels als fehlende Urteilsbegründung gewertet werden kann (BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1989 III R 49/89, BFH/NV 1991, 288 m. w. N.). Es muß sich aber um einen eigenständigen Klagegrund oder um Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, die den gesamten Tatbestand einer mit eigenständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bilden (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Mai 1990 IV R 69/89, BFH/NV 1991, 540 m. w. N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 25).

Die vom Kläger beantragten Zeugenbeweise erfüllen diese Voraussetzung nicht. Mit den beantragten Zeugenaussagen sollte die betriebliche Veranlassung der vom Kläger aufgenommenen Kredite bewiesen werden. Insoweit handelte es sich nicht um eigenständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel, sondern um komplementäre Beweismittel im Rahmen einer Vielzahl von verwerteten Beweismitteln. Im übrigen sind die Beweisanträge entgegen der Annahme des Klägers vom FG nicht mit Stillschweigen übergangen worden. Auf den S. 20 und 23 des angefochtenen Urteils hat das FG die Anträge jeweils mit Begründungen abgelehnt.

bb) Die Rüge fehlender Urteilsgründe ist insoweit nicht formgerecht erhoben, als der Kläger rügt, das FG sei auf seine ab September 1993 eingereichten Schriftsätze ohne Begründung nicht eingegangen.

Hiermit wird nicht das Fehlen einer rechtlichen Begründung im angefochtenen Urteil gerügt, sondern ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz FGO. Verstöße gegen § 96 Abs. 1 FGO begründen jedoch keine zulassungsfreie Revision i. S. des § 116 Abs. 1 FGO (vgl. BFH-Beschluß vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325, 327).

cc) Das Urteil ist auch insoweit mit Gründen versehen, als das FG die Anregung des Klägers auf Durchführung eines Erörterungstermins abgelehnt hat. Das FG hat auf S. 28 des Urteils in knapper, aber ausreichender Form dargelegt, daß es im Hinblick auf die Erörterung des Streitstoffs in der mündlichen Verhandlung einen zusätzlichen Erörterungstermin nicht für zweckdienlich hielt.

dd) Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Finanzbedarf (S. 17 bis 18) und zur Feststellungslast (S. 22 bis 23) genügen den Anforderungen an eine Urteilsbegründung.

Das FG war nicht verpflichtet, sämtliche Überlegungen des Klägers in seiner Entscheidung anzusprechen. Dies gilt insbesondere auch für den unzutreffenden Vortrag des Klägers, eine Verletzung des § 201 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) mache den im Anschluß an die Betriebsprüfung ergangenen Feststellungsbescheid nichtig gemäß § 125 AO 1977. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren (BFH-Beschluß vom 9. Januar 1990 VII R 77/89, BFH/NV 1990, 663). Eine lückenhafte Begründung ist nur dann als Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zu werten, wenn nicht erkennbar wird, auf welche rechtlichen Überlegungen sich die Entscheidung stützt (BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417).

Soweit der Kläger die Begründung als solche für anfechtbar hält, ist die Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig begründet. Angriffe gegen die Stichhaltigkeit der Begründung können nicht mit einer Verfahrensrevision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO geltend gemacht werden (vgl. BFH in BFH/NV 1991, 325, 327; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Tz. 24 m. w. N.).

Soweit der Kläger mangelndes rechtliches Gehör, Verstöße gegen die Denkgesetze oder gegen den Akteninhalt rügt, handelt es sich nicht um Gründe, die zur Zulassungsfreiheit der Revision führen können (§ 116 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420366

BFH/NV 1995, 690

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