Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßrechtliche Verwirkung

 

Leitsatz (NV)

Die Befugnis zur Begründung der Revision ist, falls die Monatsfrist des § 120 Abs. 1 FGO mangels ordnungsmäßiger Zustellung der Vorentscheidung nicht zum Tragen kommt, nach Ablauf eines Jahres verwirkt.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Das FG wies mit Urteil vom 10. August 1982 die Klage der Klägerin ab. Es übersandte dieses Urteil formlos der im Ausland ansässigen Klägerin. Mit Schreiben vom 25. November 1982 - eingegangen beim FG Hamburg am 30. November 1982 - legte die Klägerin - vertreten durch eine Rechtsanwaltssozietät - Revision ein und beantragte gleichzeitig Einsichtnahme in die Gerichtsakten. Von der ihnen ermöglichten Akteneinsicht machten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin jedoch keinen Gebrauch. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1983 fragte die Geschäftsstelle des erkennenden Senats bei den Prozeßbevollmächtigten an, ob sie noch beabsichtigten, ihre Revision zu begründen. In ihrer Antwort vom 19. Dezember 1983 baten die Prozeßbevollmächtigten, die ihnen gesetzte Frist bis zum 20. Januar 1984 zu verlängern, da sich der Sachbearbeiter bis 9. Januar 1984 in Urlaub befinde; anschließend werde unverzüglich zur Anfrage des BFH Stellung genommen. Eine Revisionsbegründung ist bisher nicht eingegangen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Die Revision ist nicht begründet worden und entspricht daher nicht einem zwingend vorgeschriebenen Erfordernis des Revisionsverfahrens (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Allerdings kommt die dort vorgeschriebene Frist von einem Monat nicht zum Tragen, weil die Zustellung des Urteils unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften vorgenommen worden ist (§ 53 Abs. 2 FGO i. V. m. §§ 9 Abs. 2, 14 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Das bedeutet indessen nicht, daß die Klägerin ohne zeitliche Begrenzung in einem solchen Fall noch ihre Revisionsbegründung nachholen kann.

Es ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, daß die Befugnis zur Anrufung der Gerichte im Einzelfall der prozeßrechtlichen Verwirkung unterliegen kann (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 1972 2 BvR 255/67, BVerfGE 32, 305; BFH-Urteil vom 14. Juni 1972 II 149/65, BFHE 106, 134; Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. Juni 1972 2 Rw 62/70, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1972, 2103; Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 2. November 1961 2 AZR 66/71, Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 1 zu § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches ,,Prozeßverwirkung"). Die Rechtsprechung hat allerdings gefordert, daß der jeweilige Kläger während eines bestimmten Zeitraums unter solchen Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (BVerfGE 32, 305, 308). Hierfür genügt die Kenntnis des Klägers von seiner Verpflichtung, tätig zu werden.

Die Klägerin bzw. ihre Prozeßbevollmächtigten (deren Handeln ihr zuzurechnen ist) sind zur Einreichung der Revisionsbegründung von der Geschäftsstelle des erkennenden Senats ausdrücklich aufgefordert worden. Sie haben um Verlängerung der in dieser Aufforderung gesetzten Frist bis zum 20. Januar 1984 nachgesucht. Dieses Datum ist seit mehr als einem Jahr verstrichen. Eine Revisionsbegründung ist bisher dennoch nicht eingegangen.

Als Zeitpunkt der prozessualen Verwirkung wird in der Rechtsprechung der Ablauf eines Jahres angenommen (vgl. BFHE 106, 134, 137 und die Hinweise dort). Dies ist auch der Zeitraum, den der Gesetzgeber in den vergleichbaren Fällen einer fehlenden oder unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung zur Ausübung prozessualer Rechte einräumt (vgl. § 55 Abs. 2 FGO, § 58 Abs. 2 VwGO, § 234 Abs. 3 ZPO). Der Senat hält diesen Zeitraum ebenfalls für eine zutreffende Begrenzung. Geht man hiervon aus, so war die Revisionsbegründungsfrist spätestens mit Ablauf des 20. Januar 1985 verstrichen. Die Jahresfrist gilt sowohl für die Einlegung als auch für die Begründung der Revision (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Februar 1968 III C 20/67, NJW 1968, 1153).

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 29

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Hartz, ABC-Führer Lohnsteuer (Schäffer-Poeschel). Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge