Rz. 48

Wegen der allgemeinen sozialhilferechtlichen Zielsetzung, wonach akuten Notlagen begegnet werden muss, ist es erforderlich, auch für Eilfälle und ungeklärte Sachverhalte eine für alle Beteiligten unmittelbare, wenn auch vorläufige Zuständigkeit zu begründen. Das bezweckt Abs. 3 Satz 3 mit der Zuweisung der Zuständigkeit in diesen Fällen an den örtlichen Träger des tatsächlichen Aufenthaltes. Die endgültige Lastenverteilung erfolgt dann über Kostenerstattung nach § 106 Abs. 1. Zu unterscheiden sind drei Anwendungsfälle:

  • Unklarheiten über gewöhnlichen Aufenthalt (Rz. 49 f.)
  • gewöhnlicher Aufenthalt nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln (Rz. 52) und
  • Eilfall (Rz. 53 f.).

2.8.1 Unklarheit über den gewöhnlichen Aufenthalt

 

Rz. 49

Steht innerhalb von 4 Wochen nicht fest, ob und (eigentlich "oder", so auch: Treichel/Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 32) wo der gewöhnliche Aufenthalt begründet worden ist oder ist ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, so tritt die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers ein, an dem der Betroffene seinen tatsächlichen Aufenthalt hat. Die vorläufige Zuständigkeit begründet eine sozialhilferechtlich umfassende Leistungspflicht (Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 31; OVG Hamburg, Beschluss v. 26.9.2000, 4 Bf 49/99). Klärt der danach zuständige Sozialhilfeträger den Sachverhalt vor Ablauf der 4 Wochen, so tritt seine vorläufige Zuständigkeit nicht ein, wenn der ermittelte Sozialhilfeträger seine Zuständigkeit anerkennt (Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 24). Die Vorschrift enthält für den Fall, dass fraglich ist, ob oder wo der gewöhnliche Aufenthalt vor der stationären Aufnahme begründet wurde, eine Sonderregelung, die § 43 SGB I vorgeht (LSG Bayern, Beschluss v. 9.1.2002, L 11 B 960/06 SO ER).

 

Rz. 50

Die Vorschrift kommt nicht zur Anwendung, wenn der Streit sich auf die Frage bezieht, ob der örtliche oder der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig ist, etwa bei Zweifeln über den stationären Charakter einer Hilfe. Hierfür ist § 43 Abs. 1 SGB I einschlägig, wonach der erstangegangene Träger vorläufig leistet (vgl. Rz. 78; Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 24; OVG Bremen, Beschluss v. 27.5.2005, S 2 B 80/05). Denn kann nicht festgestellt werden, ob ein Anspruch auf Leistung in einer stationären Einrichtung gegeben ist, weil gerade streitig ist, ob überhaupt eine Einrichtung dieser Art vorliegt, fehlt es an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Abs. 2 Satz 3. Deshalb entfällt die Sperrwirkung des § 37 Abs. 1 SGB I und der Weg nach § 43 Abs. 1 SGB I ist frei. Im Zweifel ist nach Landesrecht der örtliche Träger vorleistungspflichtig.

 

Rz. 51

Der Zeitraum von 4 Wochen rechnet von dem Zeitpunkt an, zu dem der angegangene Träger der Sozialhilfe Kenntnis von der Notlage erlangt (Hohm, in: Schellhorn e.a., SGB XII, § 98 Rz. 96). Zur Berechnungsweise vgl. Rz. 44.

2.8.2 Gewöhnlicher Aufenthalt nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln

 

Rz. 52

Diese Fallgestaltung war im alten Recht des BSHG nicht geregelt. Es war aber anerkannt, dass im Wege der Lückenfüllung auch hier die vorläufige Eintrittspflicht des Sozialhilfeträgers des tatsächlichen Aufenthaltsortes eintrat (Mergler/Zink, BSHG, § 97 Rz. 33). Nunmehr wird diese Fallgestaltung von Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich mit umfasst, so dass auch bei tatsächlich nicht vorhandenem oder aber nicht zu ermittelndem gewöhnlichem Aufenthalt der tatsächliche Aufenthalt Anknüpfungspunkt für die vorläufige Zuständigkeit ist. Bei Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthaltes geht die vorläufige Zuständigkeit in eine endgültige über (Treichel/Schoch, LPK-SGB XII, § 98 Rz. 36; Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 28; OVG Schleswig, Urteil v. 11.5.2005, 2 LB 68/04).

2.8.3 Eilfall

 

Rz. 53

Ein Eilfall liegt vor, wenn die Hilfeleistung keinen Aufschub duldet, weil der Leistungssuchende ansonsten erhebliche Nachteile erleiden würde. Dies ist immer dann zu bejahen, wenn ansonsten Obdachlosigkeit oder Hilflosigkeit oder gesundheitliche Beeinträchtigung des Betroffenen eintreten würde (ZSprSt. v. 13.2.1997, EuG 51 S. 334). Fährt ein Krankenwagen durch das Gebiet mehrerer Sozialhilfeträger, entsteht die Eilzuständigkeit immer wieder neu, sie wird nicht "verlängert" (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 28; OVG Schleswig, a. a. O.).

 

Rz. 54

Ein Eilfall i. S. d. Vorschrift liegt nicht vor, wenn ein anderer die dringend benötigte Hilfe tatsächlich bereits erbringt. Hier sind insbesondere die Fallgestaltungen des § 25 einschlägig, wonach dem sog. Eil- oder Nothelfer die von ihm erbrachten Aufwendungen im gebotenen Umfang zu erstatten sind (Treichel/Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 34; Hohm, in: Schellhorn e.a., SGB XII, § 98 Rz. 99). Denn in diesen Fällen liegt keine tatsächliche Gefährdung vor (Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 25; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 70). Der Erstattungsanspruch des Nothelfers ist an den Sozialhilfeträger zu richten, der bei rechtzeitiger Kenntnis der Notlage leistungspflichtig gewesen wäre (BVerwG, Urteil v. 14.6.2001, 5 C 21/00; vgl. auch Rz. 7...

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