Rz. 3

Liegen die unter Rz. 2 genannten Voraussetzungen vor, kann das Gericht nach Lage der Akten entscheiden. Die Entschließung, nach Lage der Akten entscheiden zu wollen, ist eine prozessleitende Verfügung und gemäß § 172 Abs. 2 nicht mit der Beschwerde anfechtbar (Zeihe, § 126 Rz. 2a). Weil im Falle einer Entscheidung nach Aktenlage das Urteil ohne mündliche Verhandlung ergeht (vgl. BSGE 28 S. 151), ist das Urteil nicht zu verkünden, sondern gemäß § 133 zuzustellen (vgl. wegen der Frage des Wirksamwerdens des Urteils nach Aktenlage und wegen der Gewährung rechtlichen Gehörs Rz. 17 bis 21 zu § 124 und Rz. 8, 9 zu § 133 sowie unten Rz. 4).

 

Rz. 4

Erscheint nur ein Beteiligter, kann das Gericht trotz dessen Antrags, nach Lage der Akten zu entscheiden, mit dem erschienenen Beteiligten einseitig mündlich verhandeln und das Urteil verkünden (vgl. Zeihe, SGG, § 126 Rz. 2a; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 126 Rz. 4). Die Darstellung des Sachverhalts darf dabei nach der Rechtsprechung des BSG auch dann nicht unterbleiben, wenn der erschienene Beklagtenvertreter "im Hinblick auf die Abwesenheit des Klägers" hierauf verzichtet und der Vorsitzende darauf hingewiesen hatte, "dass die ehrenamtlichen Richter bereits vorab über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt" worden seien (vgl. BSG, Beschluss v. 15.1.2011, B 5 R 261/10 B; mit kritischer Anm. Legde, SGb 2012 S. 110). Das Gericht kann die mündliche Verhandlung aber auch ohne Beteiligte unter Beschränkung auf die Darstellung des Sachverhalts durchführen (str., vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 126 Rz. 4; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 126 Anm. 4; Zeihe, SGG, § 126 Rz. 1c, 2c; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 129 Rz. 6; Hauck, in: Hennig, SGG, § 126 Rz. 2 und 20; Kopp/Schenke, VwGO, § 103 Rz. 3; Dolderer, in Sodan/Ziekow, VwGO, § 102 Rz. 63; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.7.2010, L 19 AL 55/10; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil v. 14.12.2017, L 5 KR 11/16). Nach anderer, heute überholter Ansicht handele sich es um eine "Scheinverhandlung", die abzulehnen sei (vgl. Krasney/­Udsching, VII Rz. 163; Niesel, SGb 1976 S. 214). Krasney/Udsching meinen etwa, § 126 lasse zwar an sich auch in einem solchen Falle die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu, das Gericht solle aber stets nach Lage der Akten entscheiden. Sie gehen allerdings auch von der Annahme aus, dass bei einem Urteil nach § 126 die im Termin bestehende Prozesslage (also nicht der Zeitpunkt der Abgabe des Urteils zum Zwecke der Zustellung) maßgebend sei und dass das Gericht die Möglichkeit habe, die Wirksamkeit "durch Verkündung des Urteils nach der mündlichen Verhandlung" herbeiführen zu können (Krasney/Udsching, a. a. O., VII Rz. 211). Dazu ist jedoch festzustellen, dass nach ganz h. M. eine mündliche Verhandlung gerade nicht stattfindet, wenn nach Lage der Akten entschieden wird, dass das Urteil nicht zu verkünden, sondern zuzustellen ist (§ 133; BSGE 28 S. 151) und dass ferner die Differenzierung hinsichtlich des für die Gewährung rechtlichen Gehörs maßgebenden Zeitpunkts bei Urteilen nach § 124 Abs. 2 einerseits und § 126 andererseits wohl nicht der h. M. entspricht (vgl. etwa BSG, Urteil v. 23.11.1971, 8 RV 161/70; vgl. auch die Komm. in Rz. 17 bis 21 zu § 124). Für die Durchführung einer auf die Darstellung des Sachverhalts (dies ist nach der Rspr. des BVerwG mangels Verzichts der Beteiligten unentbehrlich, vgl. BVerwG, NJW 1984 S. 251 unter Hinweis auf BSG, NJW 1968 S. 1751) beschränkten mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der (vom Termin benachrichtigt gewesenen) Beteiligten, die nach dem Gesetzeswortlaut zulässig ist und die prozessualen Rechte der Beteiligten nicht beeinträchtigt, sprechen vor allem praktische Gesichtspunkte. Für das Gericht besteht vor allem der Vorteil, das Urteil verkünden zu können und damit wirksam werden zu lassen. So ist ausgeschlossen, dass durch weiteren Sachvortrag vor Herausgabe der Entscheidung zum Zwecke der Zustellung (vgl. dazu die Komm. in Rz. 17 ff. zu § 124 und Rz. 8 f. zu § 133) eine wesentliche Änderung der Prozesslage zur erneuten Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zwingt. Konsequenz der Gegenauffassung wäre zudem, dass ein geladener Zeuge wegen des Fernbleibens der vom Termin benachrichtigten und über die beabsichtigte Beweisaufnahme unterrichteten Beteiligten (vgl. §§ 127, 128 Abs. 2) nicht vernommen werden könnte. Letztlich ist also nicht ersichtlich, weshalb den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die für die Verwaltungsgerichte und Finanzgerichte (vgl. BVerwG, NJW 1984 S. 251; BFH, Beschluss v. 15.12.2004, VIII B 181/04) selbstverständliche und notwendige Möglichkeit, in Abwesenheit aller Beteiligter nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden, dadurch genommen sein sollte, dass § 126 die Möglichkeit ("kann") zur Entscheidung nach Lage der Akten eröffnet.

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