Rz. 7

Mit dem Einverständnis aller Beteiligten, ggf. also auch dem der Beigeladenen, darf das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sinn der Regelung besteht darin, die Gerichte zu entlasten und das Verfahren im Interesse der Beteiligten zu vereinfachen und zu beschleunigen (vgl. BSGE 44 S. 292). Eine Beschleunigung ergibt sich in der Praxis namentlich dadurch, dass auf Sachen, in denen die Beteiligten ihr Einverständnis nach § 124 Abs. 2 erteilt haben, kurzfristig als Ersatz zurückgegriffen werden kann, wenn eine zur mündlichen Verhandlung geladene Sache wegen Verhinderung eines Beteiligten kurz vor dem Verhandlungstag aufgehoben werden muss und die Möglichkeit einer Nachladung nicht mehr besteht. Sinnvoll ist die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aber nur, wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt (vgl. BSG, Beschluss v. 20.8.2009, B 14 AS 41/09 B). Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 ist (mit dem entsprechenden Einverständnis) auch dann noch möglich, wenn bereits eine mündliche Verhandlung in der Sache vertagt worden ist (vgl. BVerwG, Buchholz 428, § 4 VermG Nr. 50; wegen der Besetzung des Spruchkörpers vgl. § 129). Auch wenn ein Gerichtsbescheid (§ 105) vorangegangen ist können die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung in der zweiten Instanz verzichten, denn gegen den Willen der Beteiligten muss keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden (vgl. Sächsisches LSG, Urteil v. 6.5.2010, L 3 AS 588/09). Entsprechendes gilt, wenn bereits in erster Instanz nach § 124 Abs. 2 entschieden worden ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.2.2014, L 9 AL 233/13). Eine bestimmte Form ist für die Einverständniserklärung nicht vorgeschrieben (vgl. BSG, Die Kriegsopferversorgung 1968 S. 179; BAG, NZA 1994 S. 381; BGH, NJW 2007 S. 349). Ob fernmündlich auf die mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ist streitig (ausführlich zum Streitstand: Hauck, in: Henning, SGG, § 124 Rz. 35; Dolderer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 101 Rz. 22; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, § 101 Rz. 6: "Schriftform"; Störner, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VwGO, § 101 Rz. 7). Die h. M. lässt die fernmündliche Erklärung ausreichen, wenn die Identität des Erklärenden feststeht und die Erklärung vom zuständigen Urkundsbeamten oder Richter wortgetreu aufgenommen und nach Vorlesen vom Erklärenden genehmigt wird; es bietet sich auch die Bestätigung durch ein Fax des Gerichts an. Weil sich heute durch Fax und unter Umständen E-Mail des Beteiligten eine Unsicherheiten ausschließende und deshalb vorzuziehende schriftliche Erklärung ähnlich schnell herbeiführen lässt, besitzt diese Frage keine große praktische Bedeutung mehr.

 

Rz. 8

Wegen seiner weit reichenden Folgen muss das Einverständnis ausdrücklich, unzweideutig und vorbehaltlos sein (BSG, Urteil v. 19.12.1991, 12 RK 49/91; BSG, Beschluss v. 9.4.2019, B 1 KR 81/18 R: Auslegung der Erklärungen des Klägers; Beispiel für Unklarheit im Zusammenhang mit § 155: BSG, Beschluss v. 3.6.2009, B 5 R 306/07 R) und vor der Entscheidung erteilt werden. Eine nachträgliche Billigung der Beteiligten kann den Mangel nicht heilen (vgl. BSG, NJW 1962 S. 566; Zeihe, SGG, § 124 Rz. 6; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 124 Rz. 4a; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 101 Rz. 7; a. A. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, § 101 Rz. 5). Wird der Verzicht mit bestimmten Umständen verknüpft, gilt er als Verzicht unter Vorbehalt und ist damit unwirksam (vgl. BFH, Urteil v. 31.8.2010, VIII R 36/08). Auch wenn das Einverständnis in eine Entscheidung nach § 124 Abs. 2 grundsätzlich bedingungsfeindlich ist, sind innerprozessuale Bedingungen – z. B. Einverständnis für den Fall des Widerrufs eines Widerrufsvergleichs - möglich (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 8.12.2010, L 3R 282/09; Kopp/Schenke, VwGO, § 101 Rz. 5).

 

Rz. 9

Im Antrag, nach Lage der Akten zu entscheiden, kann das Einverständnis in eine Entscheidung nach Abs. 2 liegen (BVerfG, SozR § 124 D b Nr. 1). Ein erklärtes Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist ebenso wenig ausreichend wie ein stillschweigendes Einverständnis (vgl. Bay LSG, Urteil v. 24.9.2014, L 19 R 198/13). Das LSG Bremen (Breithaupt 1999 S. 789; ebenso SG Hildesheim, Urteil v. 30.9.2010, S 26AS 578/07) meint, die Erklärung, mit einer "Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid einverstanden" zu sein, eröffne den Weg zu einem Urteil ohne mündliche Verhandlung, weil der Zusatz "durch Gerichtsbescheid" lediglich eine Erweiterung, nicht eine Einschränkung des Einverständnisses bedeute, als nicht nur auf die mündliche Verhandlung, sondern auch auf die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter verzichtet werde. Diese Auffassung verkennt, dass die Tragweite der Erklärungen eine andere ist. Ist die Berufung gegen den Gerichtsbescheid nicht gegeben, kann der Kläger Antrag auf mündliche Verhandlung stellen (§ 105 Abs. 2 Sat...

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