1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 129, der im Wesentlichen § 112 VwGO und § 309 ZPO entspricht, ist Ausfluss der Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit. Das Verfahren einschließlich der Beweisaufnahme (§ 117) soll im Grundsatz vor den Richtern stattfinden, die die Entscheidung fällen. Sichergestellt werden sollen damit vor allem sachliche Richtigkeit, Gerechtigkeit und Ausgewogenheit des Urteils (vgl. Kopp/Schenke, § 112 Rn. 1). Die Vorschrift dient aber auch der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs und der Wahrung des gesetzlichen Richters (vgl. BVerwG, DÖV 1976 S. 606; BGHZ 61 S. 370; Kopp/Schenke, a. a. O.).

2 Rechtspraxis

2.1 Anwendungsbereich

 

Rz. 2

§ 129 findet keine Anwendung auf Entscheidungen durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2) oder nach Lage der Akten (§ 126), und zwar auch dann nicht, wenn in der Sache in einem früheren Termin bereits mündlich verhandelt worden war (vgl. BSG, Beschluss v. 16.2.2006, B 7a AL 246/05 B; BSG, SozSich 1989 S. 313; BVerwG, Buchholz 310 § 112 Nr. 11; BVerwG, NVwZ 1985 S. 562; BVerwG, NVwZ 1990 S. 58; BFHE 90, 82). Denn das Urteil ergeht dann nicht mehr aufgrund der früheren Verhandlung, so dass es auf die Besetzung in dem früheren Termin nicht ankommt (BSG, Beschluss v. 26.8.2005, B 9a V 13/05 B; BSG, SozR Nr. 4 zu § 124 SGG; vgl. auch BVerwG, NJW 1985 S. 562; kritisch von Gräber/von Groll, § 103 Rn. 4). Die richtige Besetzung der Richterbank richtet sich in diesem Fall nach dem Geschäftsverteilungsplan (Art. 101 GG i. V. m. §§ 21e, 21g GVG) im Zeitpunkt der Beratung der schriftlichen Entscheidung (BSG, SozSich 1989 S. 313). Etwas anderes soll nach der Rspr. des BVerwG höchstens gelten, wenn mit der Verfahrensrüge (nach § 112 VwGO) im Einzelnen substantiiert dargelegt wird, dass in dem Urteil nicht lediglich der Inhalt der Akten, sondern auch ein aus den Akten nicht ersichtlicher Umstand berücksichtigt worden ist, der in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde. Nur in einem solchen Fall liege insoweit dem ergangenen Urteil die mündliche Verhandlung mit der Folge zugrunde, dass ein Richterwechsel zwischen der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Urteils jedenfalls nicht frei von Bedenken sei (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 112 VwGO Nr. 11; BVerwG, Buchholz 310 § 112 Nr. 6). Es dürfte sich in einem solchen Fall aber im Kern nicht um ein Problem der Besetzung der Richterbank handeln, deren Veränderung ja z. B. im Falle des Ausscheidens eines Richters unvermeidbar ist, sondern vielmehr regelmäßig um eines der freien Beweiswürdigung und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 128). Das Gericht darf bei der Beweiswürdigung nämlich nur das verwerten, was auf der Wahrnehmung aller an der Entscheidung beteiligten Richter beruht oder aktenkundig ist und wozu sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. z. B. BSG, Beschluss v. 17.8.2006, B 12 KR 79/05 B; siehe auch Rz. 4 und Kommentierung zu § 128).

 

Rz. 3

Für Beschlüsse, die nach mündlicher Verhandlung ergehen, gilt § 129 gemäß § 142 Abs. 1 entsprechend.

2.2 Richterwechsel

 

Rz. 4

Der im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Grundsatz der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung, wonach die mündliche Verhandlung in der Instanz eine Einheit ist, auch wenn sie in verschiedenen Terminen stattgefunden hat (vgl. Rohwer-Kahlmann, § 124 Rn. 4) ist für § 129 ohne Relevanz. Denn "dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung" i. S. d. Vorschrift ist bei mehreren Terminen zur mündlichen Verhandlung stets der letzte (vgl. BVerwG, NJW 1986 S. 3155; BVerwG, NVwZ 1999 S. 657; BFH/NV 2011, 615; Zeihe, § 129 Rn. 4; Kopp/Schenke, § 112 Rn. 2). § 129 verlangt daher nicht, dass an allen Terminen dieselben Richter (gemeint sind in § 129 Berufsrichter und – so ausdrücklich § 112 VwGO – ehrenamtliche Richter) teilnehmen. Der Richter kann zwischen Erörterungstermin und Verhandlungstermin, aber auch zwischen 2 Verhandlungsterminen wechseln. Möglich ist ferner, dass ein Richter an der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2, § 126) mitwirkt, der an einer vorangegangenen mündlichen Verhandlung nicht beteiligt gewesen ist (vgl. BSG, SozR Nr. 4 zu § 124; BSG, SozSich 1989 S. 313). Auch der Richterwechsel zwischen Termin zur Beweisaufnahme und letzter mündlicher Verhandlung ist nicht ausgeschlossen. Der neue Richter muss aber im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung umfassend über das Ergebnis der vorausgegangen mündlichen Verhandlung(en) informiert werden (§ 128). Die Verlesung der Niederschrift über die Beweisaufnahme in einem früheren Termin ist nicht zwingend erforderlich. In der Regel genügt es, wenn der Vorsitzende bzw. Berichterstatter über das Ergebnis der bisherigen Verhandlung und Beweisaufnahme berichtet und die Beteiligten dazu nochmals Stellung nehmen können (vgl. BVerwG, NJW 1986 S. 3155; BVerwG, NVwZ 1990 S. 58; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 129 Rn. 2c; Kopp/Schenke, § 112 Rn. 4). Die mitwirkenden Richter können insbesondere während der Beratung über alle entscheidungserheblichen Umstände informiert werden. Insofern spricht aufgrund der Bindung des Richters an...

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