Rz. 11

Die Einverständniserklärung ist Prozesshandlung und wird mit Zugang bei Gericht wirksam. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs fordert es nicht, den Prozessbeteiligten, bei denen wegen Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren angefragt worden ist, vom Eingang der Zustimmungserklärung der anderen Beteiligten Mitteilung zu machen (BVerwG, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 233; Zeihe, SGG, § 124 Anm. 6 ff.; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, § 101 Rz. 7). Der Beteiligte ist an seine Prozesserklärung gebunden, auch wenn die anderen Beteiligten noch nicht ihr Einverständnis erteilt haben (vgl. Zeihe, SGG, § 124 Rz. 6b; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 101 Rz. 3; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, § 101 Rz. 7; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, § 101 Rz. 7; Störmer, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VwGO, § 101 Rz. 8; Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 101 Rz. 10; a. A.: freier Widerruf bis zum Eingang der Verzichtserklärungen der übrigen Beteiligten: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 124 Rz. 3d m. w. N. vor allem aus älterer Rspr.; wohl auch BSG, Beschluss v. 14.10.2005, B 11a AL 45/05 B; Dolderer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 101 Rz. 27; Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, § 127 Rz. 7; Peters/Sauter/Wolff, SGG, § 124 Rz. 50). Diese Meinung verkennt, dass der Verzicht gegenüber dem Gericht und nicht gegenüber den anderen Beteiligten ausgesprochen wird, sodass es für die Frage der Widerruflichkeit nicht darauf ankommen kann, ob die anderen Beteiligten ebenfalls schon ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. Schübel-Pfister, a. a. O., Rz. 7). Verweigert ein anderer Beteiligter sein Einverständnis, ist nach allgemeiner Meinung auch der Beteiligte, der seinen Verzicht erklärt hatte, nicht mehr gebunden (vgl. Schübel-Pfister, a. a. O., Rz. 7). Stirbt der nicht vertretene Rechtsmittelführer nach Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, aber bevor die Entscheidung beschlossen worden ist, darf diese erst getroffen werden, wenn der Rechtsnachfolger das Verfahren aufgenommen hat (BSG, Urteil v. 28.2.1991, 4 RA 90/90).

 

Rz. 12

Die Einverständniserklärung ist als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums anfechtbar und im Grundsatz auch nicht widerrufbar (BSG, SozR 3-1500 § 124 Nr. 4; BSG, Beschluss v. 11.11.2004, B 9 SB 19/04 B; vgl. aber auch Rz. 14).

 

Rz. 13

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Verzicht auf die mündliche Verhandlung sich im Zweifel nicht auf den gesamten Prozess bezieht, sondern regelmäßig nur für die nächste Entscheidung wirkt (ausführlich dazu Dolderer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 101 Rz. 25 ff.; anders jedoch beim Einverständnis nach § 155 Abs. 3, 4: BSG, Beschluss v. 16.6.2016, B 13 R 25/16 B, mit Anm. Keller, jurisPR-SozR 23/2016 Anm. 5). Wenn diese Entscheidung nicht das abschließende Urteil ist, wird i. d. R. die Einverständniserklärung durch jede gerichtliche Entscheidung verbraucht, welche die Entscheidung wesentlich sachlich vorbereitet (vgl. BSG, SozR 1500 § 124 Nr. 2 und 3; BVerwGE 14 S. 17; BGHZ 17 S. 118). Ein Verbrauch durch eine Entscheidung wird z. B. angenommen durch einen Beweisbeschluss (BVerwGE 14 S. 17; OVG Münster, DVBl. 1999 S. 480), die Ablehnung eines Beweisantrags (BVerwG, NJW 1995 S. 2303, 2308), die Anberaumung eines Erörterungstermins (vgl. BFH, Urteil v. 31.8.2010, VIII R 36/08), durch die Ladung zur mündlichen Verhandlung (vgl. BSG, Beschluss v. 11.4.2013, B 2 U 359/12 B), wenn neue Beweismittel eingeführt werden (vgl. BSG, SGb 1979 S. 428; BVerwG, NVwZ-Beilage 1996 S. 26; OVG Münster, DVBl. 1999 S. 480). Das Einverständnis der Beteiligten in eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung wirkt nicht für die Entscheidung über einen Antrag auf Ergänzung dieses Urteils (§ 140) fort. Die Wirkung des Verzichts hat sich nämlich mit dem Erlass des Urteils erschöpft (vgl. Redeker/von Oertzen, § 120 Rz. 5; a. A. Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider/Bier, § 120 Rz. 8).

 

Rz. 14

Auch in Fällen einer wesentlichen Änderung der Prozesslage, die nicht durch eine Entscheidung im oben beschriebenen Sinne herbeigeführt worden ist, wie z. B. bei einer Änderung der Gesetzeslage oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder bei erheblichem wesentlich neuem Vorbringen, nimmt die h. M. (BSG, Urteil v. 6.10.1999, B 1 KR 17/99 R; BSG, Beschluss v. 11.11.2004, B 9 SB 19/04 B; BSG, Urteil v. 17.12.2009, B 3 P 5/08 R; BVerwG, NJW 1969 S. 252; BVerwG, DÖV 1996 S. 700; BAG, NJW 2009 S. 1163) einen "Verbrauch" an, ebenso wenn Behördenauskünfte eingeholt werden (BSG, SozR 1500 § 124 Nr. 3); differenzierend bei Einholung von Auskünften: Zeihe, § 124 Rz. 6c, oder wenn Akten beigezogen wurden (BSG, SozR 3-1500 § 124 Nr. 4; allerdings nicht, wenn die Akten bereits als Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens bekannt waren, vgl. BSG, Beschluss v. 26.8.2005, B 9a V 23/05 B). Einen "Verbrauch" infolge wesentlicher Änderung der Prozesslage nimmt...

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