Weiteres OLG sieht Diesel-Verkauf als  sittenwidrige Schädigung

Nach dem OLG Frankfurt, reiht sich nun auch das OLG Stuttgart in die Phalanx der kundenfreundlichen Oberlandesgerichte ein, bei der Bewertung der von VW in älteren Dieselfahrzeugen verwendeten Schummelsoftware. Bittere Pille allerdings auch hier: Anrechnung einer Entschädigung für gezogene Nutzungen.

In dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall hatte eine Käuferin von einem Gebrauchtwagenhändler einen VW Tiguan 2.0 I TDI erworben, der über einen Dieselmotor der Baureihe EA 189 EU 5 verfügte. Dieser war mit der bekannten Manipulationssoftware ausgestattet, die die Situation des Rollen-Prüfstandes erkennt.

Schadenseintritt beim Dieselkauf tritt mit Kaufabschluss ein 

Das vom Kraftfahrtbundesamt vorgeschriebene Softwareupdate hatte die Käuferin an dem Fahrzeug durchführen lassen. Wie das OLG Frankfurt sah auch das OLG Stuttgart in der eingebauten Manipulationssoftware einen Schaden der Käuferin. Die Eigenschaften des Fahrzeuges hätten bei dessen Erwerb nicht den vertraglich vorausgesetzten Eigenschaften entsprochen. Zum für die Bewertung des Schadens entscheidenden Zeitpunkt des Kaufs habe eine Rücknahme der Zulassung ebenso wie ein erheblicher Wertverlust gedroht.

Softwareupdate ändert nichts am Schaden

Wie schon das OLG Frankfurt bewertete das OLG Stuttgart den späteren Einbau des Software-Updates nicht als nachträgliche Schadensbehebung.

Auch mit dem Softwareupdate sei nicht zu 100 % gesichert, dass das Fahrzeug auf Dauer im Straßenverkehr problemlos und EU-weit genutzt werden könne. Zudem könne VW nicht hundertprozentig ausschließen, dass das Softwareupdate sich auf lange Sicht nachteilig auf die Leistungsfähigkeit des Motors und dessen Haltbarkeit auswirken könne.

Täuschung von VW schlägt beim Gebrauchtwagenkauf auf Kunden durch

Die Täuschung der Verbraucher über die Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte durch VW wirkt sich nach Auffassung des OLG auch beim Kauf eines Gebrauchtfahrzeuges aus. Die maßgeblichen Fahrzeugdaten, auf die der Kunde beim Kauf vertraue, stammten ja nicht vom Gebrauchtwagenhändler, sondern vom Autohersteller VW. Der Händler gebe die von VW erstellten Daten an den Käufer lediglich weiter.

VW nutze dabei bewusst die Situation aus, dass Autokäufer auf die Richtigkeit und Zuverlässigkeit behördlich erteilter Genehmigungen vertrauen und die von den Behörden zugrunde gelegten Messverfahren in der Regel nicht hinterfragen.

Unkenntnis müsste VW darlegen und beweisen

Das OLG hatte auch keinen Zweifel daran, dass das Unternehmen VW bei der Täuschung der Kunden vorsätzlich handelte. Nach Auffassung des OLG widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass maßgebliche Vorstände von VW über die Verwendung der Manipulationssoftware keine Kenntnis gehabt haben sollen.

Eine Entscheidung von solcher Tragweite wie die Verwendung einer Manipulationssoftware treffe kein Techniker alleine. Vor diesem Hintergrund treffe VW zumindest eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, plausibel vorzutragen, dass der Konzernvorstand von diesen Maßnahmen nichts gewusst habe. Eine solche Darlegung sei nicht erfolgt.

Bittere Pille Nutzungsentschädigung

Auch das OLG Stuttgart geht in seiner Entscheidung allerdings davon aus, dass der Kunde sich für gezogene Nutzungen einen Abzug von seiner Rückforderung gefallen lassen muss. Dabei geht das OLG von einer erwartbaren Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km aus und berechnet hiernach anteilig den Ersatz für gezogene Nutzungen.

(OLG Stuttgart, Urteil v. 24.9. 2019, 10 U 11/19).

Hintergrund: Das OLG Braunschweig schwimmt bisher gegen den Strom

Ähnlich kundenfreundlich haben erst kürzlich das KG Berlin (KG Berlin, Urteil v. 26.9.2019, 4 U 77/19) und das OLG Oldenburg entschieden. Das OLG Oldenburg hat dem Kunden neben einem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises eine Verzinsung des gezahlten Kaufpreises in Höhe von 4 % seit dem Kauf zugesprochen (OLG Oldenburg, Urteil v. 2.10.2019, 5 U 47 19).

Das für die Entscheidung über die gegen VW eingereichte Musterfeststellungsklage zuständige OLG Braunschweig zeigte sich zumindest in der Vergangenheit deutlich verständnisvoller gegenüber der von VW vertretenen Rechtsposition und lehnte bisher in Einzelklagen eine Bewertung des Verhaltens von VW als arglistige Täuschung und sittenwidrige Schädigung des Kunden ab (OLG Braunschweig, Urteil v. 19.2.2019, 7 U 134/17). Im Musterfeststellungsverfahren hat der dortige Senat allerdings eine nochmalige sorgfältige Prüfung dieser Frage in Aussicht gestellt.

Kommt es jetzt endlich zu einer Klärung durch den BGH?

Beide Seiten des Stuttgarter Verfahrens haben angekündigt, Rechtsmittel beim BGH einzulegen. Dies nährt die Hoffnung, dass es doch noch zu der seit langem ersehnten höchstrichterlichen Klärung der entscheidenden Streitfragen kommen könnte. Mit einem Hinweisbeschluss hatte der BGH Anfang des Jahres bereits klargestellt, dass die mit einer Schummelsoftware ausgestatteten Fahrzeuge mangelhaft sind und ein Anspruch auf Nachlieferung auch dann nicht ausscheidet, wenn zwischenzeitlich ein Modellwechsel stattgefunden hat (BGH Hinweisbeschluss v. 8.1.2019, VIII ZR 225/17). Offen gelassen hat der BGH

  • die Frage der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung,
  • das Problem, ob das Softwareupdate den Fahrzeugmangel nachträglich beseitigt
  • sowie die Frage der Anrechnung einer Entschädigung für gezogene Nutzungen.

Eine zügige Beantwortung dieser entscheidungserheblichen Fragen wäre auch für die vor dem OLG Braunschweig laufende Musterfeststellungsklage von Bedeutung, dürfte aber im Zweifel nicht mehr rechtzeitig für das Musterfeststellungsverfahren erfolgen.